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Herausgeber Björn Wendt, Michael Walter, Marcus B. Klöckner
Westend Verlag Frankfurt 2019, 500 Seiten
Politikverdrossenheit, sinkende Wahlbeteiligung und eine besorgniserregende Kluft zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und „denen da oben“ ist nicht neu. Unter dem Titel The Power Elite schrieb der US-amerikanische Soziologe Charles Wright Mills vor über 60 Jahren über die Gesellschaft und die Macht der amerikanischen Eliten. Das Buch „Die Machtelite“ erschien 1956 zunächst in Amerika, sechs Jahre später wurde es ins Deutsche übersetzt. Der Politikwissenschaftler Björn Wendt von der Universität Münster, der Soziologen Michael Walter und der Journalisten Marcus B. Klöckner haben Die Machtelite jetzt neu herausgegeben. Für sie hat das Buch auch 60 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Brisanz verloren.
Charles Wright Mills galt als streitbarer Soziologieprofessor, der bis zu seinem frühen Tod mit 46 Jahren an der Columbia University in New York lehrte. Für die einen war der Wissenschaftler ein postmoderner Cowboy, für die anderen ein amerikanischer Utopist. Nicht nur seine Kollegen forderte es heraus, dass der kritische Gesellschaftswissenschaftler sich wenig um gesellschaftliche Konventionen scherte: Der 1962 verstorbene Soziologe rauchte und trank gerne, renovierte als talentierter Handwerker seine Häuser selbst und liebte ausgedehnte Reisen im VW-Bus. Wright Mills war dreimal verheirat, hatte zahlreiche Affären, arbeitete wie ein Besessener.
So beschreiben die drei Herausgeber den unangepassten Professor, der als einer der ersten die Machtelitentheorie begründete. „Mills war ein sehr unbequemer Soziologe, ein echter Querdenker, sein persönliches Auftreten hat sicher auch eine Rolle gespielt, dass er nicht überall wohlgelitten war“, sagt Mitherausgeber Marcus Klöckner im Gespräch mit unserer Autorin. „Ein Soziologe, der mit Lederjacke auftaucht und mit dem BMW- Motorrad zu seinen Vorlesungen vorfährt, der ist eben auf den ersten Blick unkonventionell.“ Viel entscheidender ist für den Journalisten aus Kaiserslautern, dass Wright Mills vor allem „grundlegende Sachverhalte hinterfragt hat, von denen viele einfach nicht wollten, dass sie hinterfragt werden“.
Heute gilt Die Machtelite als Standardwerk der kritischen Elitenforschung, vor 60 Jahren wurde es hierzulande kaum wahrgenommen. In seinem Hauptwerk beschäftigt sich der radikale Denker mit den bestehenden Herrschafts- und Machtverhältnissen. Wright Mills analysierte, dass „Die Machtelite“ der Vereinigten Staaten ein kompliziertes Gebilde war, dass aus einem Machtdreieck bestand: Aus politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten.
Der Wissenschaftler beobachtete in seinen komplexen Studien: Die meisten besuchten die gleichen Eliteuniversitäten, waren Mitglieder der gleichen exklusiven Klubs, heirateten oftmals innerhalb ihres engen Umfelds. Als potenzielle Mitglieder der Machtelite nahm der Soziologe alten Oberschichten der Provinzstädte und der Metropolen in den Fokus, Stars, Topmanager von Großkonzernen, hohe Militärs und politische Führer. Meist handelt es sich um weiße Männer der akademisierten Oberschicht. „Inspirierend, klug und wortgewaltig entzaubert Wright Mills vor allem die vorherrschende Illusion, dass alle Macht vom Volk ausgeht“, schreibt Marcus Klöckner.
„Man kann direkt die Parallele zu heute ziehen“, so der Journalist, „es gibt einen grundlegenden Konsens auf Seiten vieler Eliten, vieler mächtiger Personen, dass wir zwar sehr gut ausgebaute demokratische Strukturen haben“. Aber dass Wright Mills mit seiner Machtelitentheorie diese grundlegend hinterfragt hat, „damit ist er bei vielen angeeckt, das dürfte heute nicht anders sein“. Für Marcus Klöckner war Wright Mills „auch tatsächlich seiner Zeit voraus“, nicht zuletzt, weil er „mit sehr kritischem soziologischem Blick die bestehenden sozialen Realitäten analysiert hat“.
Marcus Klöckner nennt das Buch einen „unbequemen Klassiker“. Denn das Ziel von Wright Mills war: Strukturen und Sinnzusammenhänge so gut nachvollziehbar zu machen, dass die verborgenen Mechanismen der Macht aufgedeckt werden. „Macht ist für Mills stets mit der Gesellschaftsstruktur als Ganzes verbunden“, schreibt der Herausgeber. Von daher ist es für das Buch „kein Zauberwerk“. Wright Mills hat „einfach die sozialen Realitäten beschrieben, sodass wir heute noch nachvollziehen können, dass sich an den grundlegenden Demokratiedefiziten seit vielen Jahrzehnten nichts geändert hat“. Für Marcus Klöckner werden „die Erosionen innerhalb der Demokratien“ sichtbar, die seiner Meinung nach „vorhersehbar waren“.
Die Beschreibung der Machtelite basiert auf einer Trilogie der amerikanischen Macht- und Gesellschaftsstruktur. Der Soziologe stützte sich dabei auf vorausgegangene Studien: Zum einen über die organisierte Arbeiterschaft. Ernüchtert stellte Wright Mills vor 60 Jahren fest: Gewerkschaften sind „keine radikale politische Kraft mehr, sondern vor allem am eigenen Machterhalt interessiert“. In der zweiten Studie fällt das Urteil des Wissenschaftlers über die Mittelschicht der Angestellten noch düsterer aus. Die fundamentale Entfremdung von der Arbeit ist für den gebürtigen Texaner gekoppelt an eine tiefreichende politische Entfremdung. Angestellte und Arbeiter sind für Wright Mills „entpolitisierte Massenmenschen“. Sie treten nicht mehr als Repräsentanten einer demokratischen Öffentlichkeit auf, sondern sind nur noch an banalem Vergnügen interessiert, diagnostiziert Marcus Klöckner.
Der Journalist geht davon aus, „dass es heutzutage durchaus kritisches Potential in vielen Ländern gibt“. Gemeint sind Bürgerinnen und Bürger, die wahrnehmen, dass ihnen „eine Illusion vermittelt“. Das Gleichgewicht der Kräfte entspricht nicht der Realität. „Aber weil sie keinen Zugang zu den öffentlichen Diskursplätzen haben, werden sie nicht gehört“, sagt Marcus Klöckner, „und das hat Mills wunderbar dargelegt, das ist heute noch genauso“. Die Diagnose der Ohnmacht der zeitgenössischen Massenmenschen bilden für die Herausgeber das Zentrum des großangelegten Porträts der amerikanischen Nachkriegsgesellschaft und ihrer Machtverhältnisse. Ihrer Meinung hat sich „eine Machtelite formiert, die sich aufgrund ihrer Stellung über alle anderen sozialen Gruppen erhebt“. Sie verfügt über „historisch beispiellose Machtmittel und untergräbt so demokratische Prozesse auf vielfältige Weise“. Angesichts dieser überbordenden Machtfülle fragt Marcus Klöckner: Wer verfügt in einer Demokratie über Macht?
Für den Herausgeber Klöckner haben wir es „mit einer Art Konglomerat an Eliten zu tun, die ganz oben an der Spitze stehen, an den Kommandostellen“. „Und die Gefährlichsten verfügen über enorme Entscheidungsgewalt“. Wright Mills beschreibt das für den Journalisten „wunderbar“ an einem sehr drastischen Beispiel: „Die Atombombe auf Hiroshima wurde im Namen der Vereinigten Staaten abgeworfen, aber die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger haben dem niemals zugestimmt. Das war eine Entscheidung, die in einem sehr kleinen Kreis getroffen wurde.“ Für Marcus Klöckner führt dieses Beispiel eindrücklich vor Augen, „was Macht bewirken kann“.
Wright Mills schreibt: „An den Spitzen der Großbürokratien hat sich durch die Verwandlung der USA in eine „permanente Kriegswirtschaft und private Konzernwirtschaft im Zuge der Weltkriege und ihrem Aufstieg zur globalen Supermacht eine Machtelite herausgebildet, die vor allem den Konzernreichen, hohen Militärs und Führungskreisen unvorstellbare Macht gibt“ (S.32). Sie sind eng vernetzt, sehr konservativ und haben die gleichen Interessen, die sie auch unbedingt schützen. Wenn sie wollten, „könnten sie Städte über Nacht dem Erdboden gleichmachen“.
Für Marcus Klöckner hat der Soziologe Mills „wunderbar die Entwicklung beschrieben vom lokalen hin zum nationalen zum internationalen“. Seiner Meinung nach sehe man, wie sich die Machteliten auch heute noch auf internationaler Ebene vernetzt. Sie treffen sich, fern der Öffentlichkeit, auf Konferenz wie dem Weltwirtschaftsforum in Davos oder der elitären Bilderberg-Konferenz. Für Herausgeber Klöckner findet sich in dem Buch aus dem Jahr 1956 sogar „eine kleine, aber sehr dezidierte, schlagkräftige Medienkritik“: „Wenn man diese Medienkritik liest, hat man den Eindruck, Mills hat die heutigen Verhältnisse beobachtet.“ Wobei es einen grundlegenden Unterschied gibt zu Zeiten Mills: Die Digitalisierung und das Internet. „Heute können Bürger selbst mit ganz geringen Mitteln zum Sender werden, oder alternative Medien.“ Im Kontext der Machtelite gedacht, beobachtet der Journalist, „dass es der Machtelite aktuell sehr zusetzt, dass das Definitionsmonopol der großen Medien dabei ist zu zerbröseln“. Das sei im Sinne einer demokratischen Öffentlichkeit schon interessant, „diese Möglichkeiten gab es vor 50 Jahren eben noch nicht“.
Das erweiterte und neu aufgelegte Buch Die Machtelite liest sich – trotz einiger Anachronismen - hochaktuell. Erstaunlicherweise kommen einem beim Lesen unwillkürlich die heutigen Mega-Stars und Celebrities, Topmanager, amerikanische Kongressabgeordneten, Lobbyisten und Präsidenten in den Sinn, ebenso wie steinreiche Wirtschaftsbosse oder Angehörige der sogenannten Oberschicht. Mit seiner fundamentalen Kritik am demokratischen System und seinen Strukturen belegt Wright Mills, dass der Grundstein für viele aktuelle politische Fehlentwicklungen, die nahezu täglich in den Medien zu sehen sind, offenbar bereits vor 60 Jahren gelegt wurde.
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