Suche
Kaum jemand zweifelt daran, dass die Eingliederung von mehr als einer Millionen Menschen seit 2015 in Alltag, Bildungssystem und Arbeitsmarkt einem Langstreckenlauf gleicht, der noch Jahre andauern wird. Hinzu kommen Integrationsdefizite von Einwanderern aus weiter zurückliegenden Jahren. Eine Riesenaufgabe, die überhaupt nur durch breites bürgerschaftliches Engagement zu bewältigen ist. Freiwilligenangebote – vom Flüchtlingscafé bis zum Nachhilfezirkel – leisten dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Ebenso gefragt sind neue Ideen, um der komplexen Herausforderung gerecht zu werden. Hier setzt der Deutsche Integrationspreis der Hertie-Stiftung an. Dieser noch junge Preis, erstmals 2017 vergeben, zeichnete jüngst beispielgebende Initiativen mit insgesamt 250.000 Euro aus. Die ersten beiden Plätze gingen an innovative Gesundheitsprojekte.
Bereits in der Bewerbungsphase kam den Teilnehmern die Kombination von Stiftungspreisgeld und Crowdfunding zugute. Zunächst traten 32 Initiativen auf der Crowdfunding-Plattform Startnext an. 27 Ideen erreichten oder übertrafen sogar ihr Fundingziel. Mehr als 10.000 Spender brachten dabei 380.000 Euro auf. Weitere 140.000 Euro vergab die Hertie-Stiftung an die Projekte mit den meisten Unterstützern. Eine Jury mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Medien nahm dann die Bewertung für den Integrationspreis vor. „Wichtige Kriterien waren Wirkungspotenziale, Skalierbarkeit, Bedarfsorientierung und vor allem die aktive Mitwirkung von Geflüchteten“, erläuterte Carmen Jacobi von der Stiftung. Sechs Finalisten konnten ihr Projekt am Tag der Preisverleihung vor der Jury präsentieren; aus diesem Kreis wurden live drei Preisträger bestimmt.
Wohnung, Sprache, Arbeit: Wer seine Heimat verloren hat, der steht in der neuen Heimat vor grundlegenden Herausforderungen. Spezielle Frauen-Anliegen wie Gesundheit, sexuelle Aufklärung, Verhütung und Selbstbestimmung gehen da schnell unter. Anab Mohamud (25) weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig diese Themen sind – für jede einzelne Frau, ihre Familie und das Ankommen hierzulande. Die Gründerin von Space2groW kam 2015 selbst als Geflüchtete aus Somalia nach Deutschland: In ihrem Projekt gehen eigens geschulte Frauen mit Fluchthintergrund auf ebenfalls Betroffene in ihren Communities zu, bieten Beratung und Workshops zu Familienplanung und Gesundheit an. „Selbstbestimmt Entscheidungen zu fällen über den eigenen Körper und in der eigenen Familie ist eine Grundvoraussetzung für alle weiteren Schritte in die Gesellschaft hinein“, heißt es in der Laudatio. Das Projekt, das bereits erfolgreich in Berlin umgesetzt wird, soll jetzt deutschlandweit ausgebaut werden.
Alptraum in der Notaufnahme: Ärzte und Patienten können sich nicht verständigen, lebenswichtige Zeit verrinnt. Und das nur, weil sie unterschiedliche Sprachen sprechen. Das wollten zwei junge Ärzte, die Kinderärztin Lisanne Knop und der Allgemeinarzt Korbinian Fischer, nicht länger hinnehmen. „Unser telefonischer Dolmetscherdienst etabliert ein bundesweites Netzwerk von freiwilligen Sprachmittlern, das rund um die Uhr erreichbar ist“, erklärt Lisanne Knop die Idee. Diese Laiendolmetscher beherrschen neben Deutsch eine Sprache, die viele Migranten und Flüchtlinge sprechen, etwa Arabisch, Farsi, Dari, Rumänisch, Russisch, Türkisch. Weitere Sprachen sollen hinzukommen. Die Helfer hinterlegen ihre Bereitschaftszeiten bei den Plattformbetreibern, bei einem Anruf aus der Klinik werden sie gemäß dem jeweiligen Sprachwunsch mit einem Patienten verbunden. Sprachbarrieren bei der Anmeldung, Anamnese oder während der Behandlung können so in Echtzeit überwunden werden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin unterstützte Triaphon mit einer Anschubfinanzierung, heute trägt sich der Service durch Spenden und eine kostengünstige Abrechnung pro Anruf. Die Helfer bekommen eine Aufwandsentschädigung. Die Pioniere Knop und Fischer hoffen auf eine großflächige Übernahme des Dienstes durch Kliniken und die Ausweitung auf Arztpraxen und Rettungsdienste.
Ziel dieser Initiative ist, engen Angehörigen von bereits hier lebenden Geflüchteten aus Syrien den Familiennachzug zu ermöglichen. Die Aufnahmeprogramme einiger Bundesländer lassen das zwar grundsätzlich zu, sehen aber die hohe Hürde der finanziellen Absicherung durch eine Bürgschaft vor. Bei „Flüchtlingspaten Syrien“ kann man mit zehn Euro pro Monat Pate werden und zur Übernahme von Bürgschaften beitragen. Damit werden nachgekommene Angehörige unterstützt, z. B. durch Finanzierung des Fluges nach Deutschland, der Wohnung und des Lebensunterhalts. Mehr als 50 Ehrenamtliche organisieren Sprachkurse und Familienlotsen und leisten Beratung bei Jobsuche und Aufnahme eines Studiums. „Jeder Einzelne kann auf diese Weise dazu beitragen, schnell und konkret Menschenleben zu retten (...). Selbst mit einem kleinen Beitrag macht Ihr Menschen glücklich und führt Familien zusammen“, wirbt der Verein in seinem Crowdfunding-Aufruf. Jeder Geflüchtete, der eine Ausbildung oder Arbeit aufnimmt, macht seinen Platz frei, so dass weitere Kinder, Ehepartner oder Großeltern gerettet werden können. Das Projekt verhalf bisher mehr als 250 Menschen, aus dem Bürgerkriegsland Syrien nach Deutschland zu kommen, bundesweit 200 Bürgen greifen auf Beiträge von 4.500 Paten zurück.
An der Spitze ist die Luft dünn – auch die weiteren drei Finalisten freuen sich über Unterstützung von zusammen 10.000 Euro. Die Projekte „Camp One Tandem Workshops“ (Coaching), „Hacker School PLUS“ (IT-Kompetenz) und „Teachers on the Road“ (Deutschkurse/Alltagsorientierung) stehen für kreative Freiwilligenarbeit gemeinsam mit und für Geflüchtete. Aktuell ruft die Hertie-Stiftung zur Bewerbung für den diesjährigen Deutschen Integrationspreis auf. „Geplant ist eine Ausweitung der Zielgruppe“, berichtet Carmen Jacobi. „Der thematische Fokus liegt weiterhin auf Geflüchteten und Menschen mit Migrationshintergrund. Der Preis soll zudem auch innovative Integrationsprojekte für andere benachteiligte Gruppen einbeziehen.“ Ziel sei ein respektvolles Miteinander und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft. Bewerbungen sind noch bis 23. Januar 2019 möglich. Teilnehmen können gemeinnützige Organisationen, private Initiativen, Vereine und Sozialunternehmen online oder per Video.
Informationen zur Bewerbung:
www.deutscher-integrationspreis.de/bewerbung
www.facebook.com/deutscherintegrationspreis
www.startnext.com/pages/deutscher-integrationspreis
Die Preisträger 2018:
www.space2grow.de
www.triaphon.org
www.fluechtlingspaten-syrien.de
Weitere Informationen
Gemeinnützige Hertie-Stiftung:
www.ghst.de/deutscher-integrationspreis/
Digitalisierung
Im Dickicht der Selbstverwaltung
Integration
Kreative Ideen, damit das Ankommen gelingt
Gesundheitswirtschaft
„Interessenvertretung spielt eine zentrale Rolle!“
Fundraising
Deutscher Spendenrat: „Wir geben das klassische Spenden nicht verloren!“
Gesellschaft
Im Alter ohne Kinder: Weder einsam noch verbittert
Nachhaltigkeit
Wohnbegleitende Dienstleistungen: Teilen und Umwelt schützen
Integration
Migrantenorganisationen in Deutschland
Buchempfehlung
Die Top Ten der Zukunftsliteratur
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail