Als zentrale Themen der Sicherung der Pflegeinfrastruktur sind die Personalgewinnung sowie die Mitarbeiterbindung von herausgehobenem Interesse. Seit Jahren sind die anhaltenden Probleme der Personalsituation in der Pflege insgesamt bekannt und gut dokumentiert (Bundesagentur für Arbeit 2022). Sie wirken sich zunehmend begrenzend auf Wachstum und einen Ausbau der Kapazitäten in der Pflegebranche aus. Die Corona-Pandemie hat dies, der öffentlichen Wahrnehmung zufolge, noch deutlich verschärft und es werden vielfach Themen und Thesen zur Pflege benannt, die einer empirischen Überprüfung jedoch nicht immer standhalten.
Fehlende pflegerische Berichterstattung
Die Pflege ist nicht nur eine der größten Berufsgruppen in Deutschland, die Pflegebranche selbst ist seit Jahren ein zentraler und wichtiger Wirtschaftsfaktor mit deutlichen Wachstumssteigerungen. In der Gesundheitswirtschaftlichen Gesamtrechnung (GGR) des Bundesministeriums für Wirt- schaft wird ausgeführt, dass jeder fünfte Euro der Bruttowertschöpfung der medizinischen Versorgung in der Pflege erbracht wird (Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz). Ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen erzeugten 2021 zusammen eine Bruttowertschöpfung in Höhe von 45,5 Milliarden Euro. Die wachsende Bedeutung der Pflege korrespondiert dabei jedoch nicht mit einer Verbesserung der Datenlage in der Analyse zur Situation in der Pflege in Deutschland insgesamt. Eine bundesweite Pflegeberichterstattung liegt weiterhin nicht vor. Unter anderem aus diesem Grunde sind in der Pflege zahlreiche Mythen und Fehlinterpretationen verbreitet, die sich nur mit einem erheblichen Aufwand datengestützt versachlichen lassen und kon- trolliert werden können.
Personalaufbau statt Berufsflucht
Im Zuge der Pandemie wurde insgesamt eine meist negative und problematisierende Berichterstattung über die Pflege geführt. Unbestritten haben Pflegende gerade in der Corona-Pandemie erheblich unter zusätzlichen Belastungen gestanden. Die Pandemie hat auch zu Krisen im Selbstverständnis und in der Berufsausübung geführt (Wildgruber et al. 2020). In zahlreichen Beiträgen wurde eine Berufsflucht, ein sogenannter „Pflexit“, beschrieben. An dieser Diskussion haben sich einige Printmedien, aber auch Forscherteams beteiligt (Gräske et al. 2021). Befürchtet wurde unter anderem, dass Pflegende das Berufsfeld pandemiebedingt wechseln oder dass junge Pflegende nicht in den Beruf einmünden. Mit dem Übergang der Pandemie in eine endemische Phase und auf der Basis der nun vorliegenden Entwicklung der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten kann eine erste Bilanz gezogen werden.
Betrachtet man die Kennzahlen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege im Zeitverlauf, so ergibt sich bundesweit ein eher stabiles Bild. Die Bundesagentur für Arbeit weist für die Zeiträume 2020 bis 2022 (jeweils Juni) in keinem Bundesland einen Rückgang der Beschäftigung auf. Im Gegenteil: In den meisten Bundesländern ist in den Jahren der Pandemie ein weiterer Beschäftigungszuwachs festzustellen. Der Aufbau erfolgte zwar überwiegend nur moderat, aber eine Berufsflucht kann nicht konstatiert werden. Insgesamt waren im Juni 2022 über 26.424 mehr Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflegende beschäftigt als im Juni 2020.
Eine besondere Ausweitung der Stellen im Pflegebereich insgesamt kann dabei in der Krankenhausversorgung festgestellt werden. Waren 2019, vor der Pandemie, laut Krankenhausstatistik noch 314.370 Vollkräfte im Pflegedienst in den allgemeinen Krankenhäusern registriert, stieg die Zahl 2020 auf 331.293 und 2021 auf 339.749 an.
Der an dieser Stelle exemplarische Hinweis auf die Beschäftigung in der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege gilt überwiegend auch für die fachexaminierten Personen in der Altenpflege. In zehn Bundesländern stieg die Anzahl der Beschäftigten moderat an oder blieb tendenziell in der Zeit der Pandemie stabil; in sechs Bundesländern sank sie geringfügig (um jeweils unter einem Prozent). Eine Ausnahme stellt hier Bayern dar; hier sank die Anzahl der Beschäftigten um 1.024, was einem Rückgang um 2,4 Prozent entspricht. In 2022 waren in der Altenpflege, auf der Ebene des Fachkraftniveaus, 275 mehr Altenpflegende sozialversicherungspflichtig beschäftigt als in 2020. Ein „Pflexit“, wie befürchtet, ist auch hier nicht auszumachen. Steigerungen der Anzahl der Beschäftigten in der stationären Pflege lassen sich zwischen 2019 und 2021 ebenso ausmachen wie in der ambulanten Pflege. Ermittelt werden kann auch, dass im Tätigkeitsbereich der körperbezogenen Pflege eine Zunahme in beiden Sektoren zu verzeichnen ist. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass, anders als im Krankenhausbereich, auch die Anzahl der Einrichtungen stieg und dass eine differenzierte Betrachtung der einzelnen Berufsqualifikationen noch nicht vorgenommen werden kann, da nicht aus allen Bundesländern die differenzierten Daten der Pflegestatistik 2021 vorliegen.
Arbeitslosigkeit bleibt niedrig
Als ein weiterer Indikator einer möglichen Berufsflucht kann die Arbeitslosigkeit näher untersucht werden. Hier ist mit einer Zunahme zu rechnen, wenn Tausende Pflegende dem Beruf den Rücken kehren würden. Sie würden sich arbeitssuchend melden, um Leistungen zu beziehen. Eine Veränderung der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt aber lässt sich in der Altenpflege in den Jahren der Pandemie nicht feststellen. Dies gilt für die westlichen wie die östlichen Bundesländer gleichermaßen. Gemessen an der jeweiligen Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Altenpflege ergeben sich rechnerisch weder nennenswerte Arbeitslosenquoten, noch kann hier eine Arbeitsmarktreserve festgestellt werden.
In der Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege ist zwar ein Zuwachs insgesamt zu beobachten (bundesweit von 4.460 auf 5.033), aber auch dies liegt einerseits in der Langzeitbetrachtung (ab 2014) im Schwankungsrahmen und bildet kein nennenswertes Potenzial angesichts einer Beschäftigtenzahl von rund 822.000.
Diskussion
Es scheint so zu sein, dass Effekte der Pandemie auf die Personalentwicklung insgesamt ggf. medial oder in Diskussionen überschätzt wurden und werden oder sich schlichtweg anders darstellen als in einer generellen Berufsflucht, einem „Pflexit“. So steht noch aus, die differenzierten Entwicklungen der Teilzeitquoten im Zeitverlauf zu analysieren. Vorstellbar ist, dass sich hier größere Dynamiken abbilden und die Tendenz zur Teilzeit weiter steigt. Auch dies würde eine Kapazitätsverringerung darstellen, die ggf. auch pandemiebedingt beschleunigt wurde.
Im Rahmen dieser ausschnitthaften Betrachtung sollte verdeutlicht werden, warum es relevant erscheint, sich differenzierter mit Kennzahlen zu beschäftigen, um eine Versachlichung der Diskussionen zu erzielen. Weiterhin fehlt es an einheitlichen und differenzierten Analysen wie einer Bundespflegeberichterstattung. In einzelnen Bundesländern hat man sich dieser Thematik zugewendet und bemüht sich, über kleinräumige Analysen im Rahmen von Monitoringverfahren die Entwicklung der Pflegeinfrastruktur, die Qualifikation sowie die Beschäftigungsentwicklung in der Pflege zu erfassen (Vereinigung der Pflegenden in Bayern (VdPB) 2021; Niedersächsisches Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung 2021; Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen 2021). Hier entstehen regional an Kennzahlen ausgerichtete Diskurse, die eine strukturierte Analyse ermöglichen und aus denen handlungs- und planungsrelevante Schlüsse gezogen werden können.