Suche
Rekordhitze, Waldbrände, Flutkatastrophen, neue Infektionskrankheiten: Der Klimawandel bedroht nicht nur unsere natürlichen Lebensgrundlagen, er kann auch zur mentalen Belastung führen. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) stellt klar: „Die Klimakrise ist auch eine Krise der psychischen Gesundheit“.1) Neue Begriffe wie „Klima-“ bzw. „Krisenangst“ und „Eco-Anxiety“ greifen dieses Phänomen auf, Google verzeichnet beim Suchbegriff „Klimaangst“ von 2020 bis 2021 einen Anstieg von 565 Prozent. Vielschichtige Aspekte, Ursachen und Auswege bedürfen der Klärung, wobei die Forschung hierzulande erst in den Anfängen steckt.
„Angst vor dem Klimawandel zu haben, ist aus unserer Sicht eine völlig rationale Reaktion, weil alles darauf hindeutet, dass das Leben in den nächsten Jahrzehnten schwieriger wird“, sagt Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie an der Universität Koblenz-Landau. Eine solche Angst sei „nicht pathologisch“ und „nicht vergleichbar mit der völlig irrationalen Spinnenangst“.2)
Weithin bekannt sind psychische Belastungen bei Menschen, die direkt mit einer Naturkatastrophe oder einem Klimaextrem konfrontiert werden bzw. waren. Betroffene der Flut an Ahr und Erft leiden bis heute anposttraumatischen Belastungsstörungen. Häufige Krankheitsbilder sind Angststörungen, Phobien, Alkoholmissbrauch und Depressionen. Und laut einer US-Studie zur Auswirkung des verheerenden Hurrikans Katrina von 2005 hat sich die Suizidrate in den betroffenen Gegenden danach verdoppelt.3)
Auch länger anhaltende Extremtemperaturen können Menschen aus dem Gleichgewicht bringen. Nach einer Studie des World Wildlife Fund (WWF) erleben Arbeitende bei Temperaturen über 26 Grad eine Leistungsminderung von bis zu zwölf Prozent. Hitzeperioden haben somit erhebliche volkswirtschaftlichen Auswirkungen.4)
Darüber hinaus machen sich Extremwerte auf dem Thermometer noch auf andere Weise bemerkbar: Sie aktivieren Stresshormone, fördern Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Das Umweltbundesamt widmet sich in einer 20-seitigen Broschüre dem Themenbereich Klimawandel, Gesundheit und Extremhitze mit Erläuterungen und Tipps.5)
Anders verhält es sich mit der Klimaangst: Dabei handelt es sich nicht um eine psychische Erkrankung mit klinischer Diagnostik, sondern um einen Stressfaktor mit dem Grundgefühl von Sorge und Furcht, ein Krisenbewusstsein, das von Gefühlen der Trauer, Aggression, Bedrohung und Hilflosigkeit begleitet sein kann. „Als Stressfaktor hat der Klimawandel in seinen Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden einige Gemeinsamkeiten mit anderen Stressoren wie etwa der Verlust eines Angehörigen oder des Arbeitsplatzes, eine schwere Krankheit, eine Trennung oder Scheidung, Unfälle, Gewalterfahrungen oder berufliche Belastungen“, berichtet Autorin Marion Sonnenmoser bei aerzteblatt.de. Mit einem großen Unterschied: „Phasen der Trauer oder starker beruflicher Belastungen gelten als überwindbar oder therapeutisch behandelbar, während der Klimawandel als kaum umkehrbar angesehen wird und es noch keine therapeutischen Ansätze für diejenigen gibt, die unter ihm leiden“.6)
Klimaangst grassiert besonders unter jungen Menschen. Das verdeutlicht bereits das Durchschnittsalter der Fridays-For-Future-Bewegung und wird durch eine großangelegte Studie der britischen Bath University (2021) bestätigt. Die Untersuchung umfasst zehn Länder, darunter Großbritannien, Frankreich, USA, Australien, Brasilien und Indien. Von den 10.000 Befragten im Alter von 16 bis 25 Jahren gaben 60 Prozent an, wegen des Klimawandels „besorgt“ oder „sehr besorgt“ zu sein. Mehr als die Hälfte war sogar überzeugt, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei.7)
Diese Überzeugung muss man nicht teilen, klar ist aber, dass man als Einzelne*r nur wenig gegen den Klimawandel und seine Auswirkungen auszurichten vermag. Zwar kann man weniger fliegen, konsumieren und Fleisch essen und stattdessen mehr Fahrrad fahren, Verpackungsmüll vermeiden und Second-Hand-Mode tragen. Aber was bringt das schon, fragen sich viele. Klimaangst kann wie jede Angst lähmend oder motivierend wirken – der Umweltpsychologe Reese plädiert für Letzteres. „Die Klimaangst wird etwas sein, womit wir lernen müssen umzugehen“, sagt er. Die Angst sei sachlich begründet, rüttelte die Menschen wach und schärfe ihr Bewusstsein für die Klimafolgen. Entscheidend sei, die Angst in Handlungsmotivation zu überführen.8)
Menschen mit psychischer Belastung durch den Klimawandel könnten ein gutes Stressmanagement, Methoden der Trauerbewältigung oder ein Resilienztraining helfen, ihre Ängste zu überwinden, rät Autorin Sonnenmoser. Wichtig sei, das Thema zu „entkatastrophisieren“ und negative Emotionen zu regulieren – damit die Betroffenen „einen konstruktiven persönlichen Umgang damit finden“.9)
Eine wirksame Bewältigung von Klimaangst besteht im gemeinsamen Anpacken: Die Möglichkeiten reichen von der Mitarbeit in einer Klima- und Umweltschutzinitiative vor Ort über die Gründung einer Energiegenossenschaft bis zum kritischen Dialog mit Amtsträger*innen. Sich zu engagieren, lindere das Ohnmachtsgefühl, ermögliche ein positives Feedback und könne helfen, sich und ganze Gemeinschaften auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten, rät Psychiater David Pollak von der Portland University in den USA. „Es ist immens wichtig, dass Individuen, Familien, Organisationen, ganze Städte und Gemeinden lernen, mit den negativen Folgen des Klimawandels umzugehen, ohne sich, anderen Menschen und der Umwelt zu schaden“, sagt der Wissenschaftler.10)
Weitere Informationen
1) Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), Psychologische Expertise als Grundlage für die Bewältigung der Klimakrise nutzen!
https://www.bdp-verband.de/fileadmin/user_upload/BDP/aktuelles/Statement_PDF/20211006_bdp_stellungnahme_psychologie-und-klima.pdf
2) Themenschwerpunkt Hitze: „Angst vor dem Klimawandel zu haben, ist rational“, NZZ Magazin, 23.7.2022
und: www.heise.de/tp/features/Klimaangst-Eine-voellig-rationale-Reaktion-7204516.html
3) Psychologin über Flutopfer, „Inbegriff von Ohnmacht und Schrecken“ www.tagesschau.de/traumata-flutopfer-101.html
Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG)
https://www.klimawandel-gesundheit.de/psychische-gesundheit/
4) ebd.
5) Klimawandel und Gesundheit, hg. v. Umweltbundesamt
www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/479/publikationen/190617_uba_fl_tipps_fur_sommerliche_hitze_und_hitzewellen_bf_0.pdf
6) Marion Sonnenmoser, Klimawandel und psychische Gesundheit: Ein relativ neuer Stressfaktor, Mai 2020
www.aerzteblatt.de/archiv/213960/Klimawandel-und-psychische-Gesundheit-Ein-relativ-neuer-Stressfaktor
7) Caroline Hickman / Elizabeth Marks u.a., Climate anxiety in children and young people and their beliefs about responses to climate change: A global survey
www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(21)00278-3/fulltext
8) s. Anm. 2
9) s. Anm. 6
und: www.heise.de/tp/features/Klimaangst-Eine-voellig-rationale-Reaktion-7204516.html
10) zit. nach Thomas Müller, Psychische Folgen des Klimawandels: Öko-Angst und Hitzestress
https://link.springer.com/article/10.1007/s15005-021-1988-3
(Alle Links am 20. 10. 2022 aufgerufen)
Gesundheit
Wenn der Klimawandel auf die Seele schlägt
Nachhaltigkeit
Soziales Nachhaltigkeitsbarometer 2022: Die Klima- und Verkehrswende aus Sicht der Bürger*innen
Zivilgesellschaft
Hass im Netz: Schärfere Gesetze, mehr Zivilcourage
Management
Im Raumschiff der Bullshit-Kommunikation: Nur Geschwätz oder höhere Weisheit?
Bildung
Mehr Teilhabe durch Chancenpatenschaften
Buchempfehlung
Top Ten der Zukunftsliteratur
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail