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In ihrer Jugend liefen sie Sturm gegen autoritäre Obrigkeiten, propagierten die freie Liebe und pilgerten nach Woodstock. Heute sind die einstigen Revoluzzer im Ruhestand, lassen sich aber das gesellschaftliche Engagement nicht nehmen. Die Bereitschaft zur Freiwilligenarbeit nimmt zu, sowohl bei Älteren wie bei jungen Erwachsenen, stellt jetzt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) fest. Der Gesellschaft erwachsen daraus große Chancen, allerdings sollte die Politik bestmögliche Voraussetzungen zu deren Verwirklichung schaffen, fordern die Autoren.
Die Studie untersucht die Entwicklung freiwilliger Arbeit seit den 1990er-Jahren mittels repräsentativer Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Demnach engagieren sich gegenwärtig 22 Millionen Helferinnen und Helfer unentgeltlich für eine Sache, der ihnen am Herzen liegt. Der Anteil ehrenamtlich tätiger Bürger (ab 17 Jahren) stieg zwischen 1990 und 2017 von 27 auf 32 Prozent. Regelmäßige Aktivitäten erfuhren dabei mehr Zulauf als gelegentliche Einsätze.
Es fällt auf, dass ältere und alte Menschen heutzutage stärker engagiert sind als frühere Generationen. Die 68er-Generation (1941-1954 geboren) steht für eine deutlich stärkere Hinwendung alter Menschen zum Ehrenamt: „Die 68er-Generation, also jene Personen, die in ihrer Jugend die damaligen Studentenproteste miterlebt haben, neigen eher dazu, im Ruhestand ein Ehrenamt auszuüben oder neu aufzunehmen als Generationen, die vorher in Rente gegangen sind“, stellt Studien-Mitautorin Luise Burkhardt fest. Ein Grund dafür ist die Wertschätzung aktiven Alterns in der heutigen Zeit, die Tatsache, dass der Ruhestand hohe Anerkennung als Lebensphase des Nachholens, Ausprobierens und Neubeginns nach Karriere und Familiensorge genießt.
Auch aus anderen Altersgruppen lässt sich Erfreuliches vermelden. Die Generation Mitte, Menschen zwischen 30 und 59 Jahren, zeigt die höchste Engagement-Quote. Hier schlägt wohl die starke Eltern-Mitwirkung in Kindergarten und Schule zu Buche, vermuten die Studienautoren. Positiv fällt auch der steigende Trend bei jungen Erwachsenen im Alter zwischen 17 und 29 Jahren auf. Der Anteil der Engagierten stieg hier zwischen 1990 und 2017 von 26 auf 33 Prozent.
Der Zuwachs beim Ehrenamt zwischen 1990 und 2017 wird noch in weiteren Aspekten deutlich: Der Anteil ehrenamtlich tätiger Frauen stieg von 21 auf 30 Prozent und liegt damit nur noch geringfügig unter dem der Männer (33 %). Außerdem legten die Bürger kleiner Kommunen weit mehr zu als Großstädter (von 32 auf 37 % vs. 24 auf 26 %).
In Ostdeutschland betrug der Anteil der Ehrenamtlichen 28 Prozent, also rund vier Mio. Menschen, in Westdeutschland 33 Prozent bzw. 18 Mio. Menschen (2017). Zwischen 1990 und 1999 erlebte Ostdeutschland einen scharfen Rückgang der freiwilligen Engagements, eine Folge des tiefgreifenden Wandels der Organisations- und Vereinslandschaft. Dieser Negativtrend drehte nach der Jahrtausendwende positiv.
Eine starke Steigerung von über zehn Prozentpunkte auf 33 Prozent wird bei der Altersgruppe jener Menschen erkennbar, die unmittelbar vor dem Ruhestand stehen oder bereits eingetreten sind (60-76 Jahre). Auch die Hochaltrigen sind sehr aktiv: In der wachsenden Gruppe von Menschen ab 77 Jahren nahm der Anteil seit 2009 um 14 Prozentpunkte auf heute 23 Prozent zu. „Insgesamt zeigt sich, dass sich insbesondere die Personen über 65 Jahre heute stärker engagieren als noch vor 20 bis 30 Jahren“, bilanzieren die DIW-Forscher. Dies schlage sich in einem Anstieg von drei auf sieben Millionen Engagierten in den vergangenen 30 Jahren nieder.
Jetzt geht die geburtenstarke Babyboomer-Generation, die zwischen 1955 und 1969 geboren wurde, schrittweise in den Ruhestand – für die Freiwilligenszene eine gute Nachricht, weil diese Generation einen vergleichsweise hohen Anteil an der Gesamtbevölkerung hat und bereits ein überdurchschnittliches Engagement zeigt. „Für die Zivilgesellschaft ist diese zahlenmäßig große Gruppe von besonderem Interesse, da sie eine potenzielle Ressource an freiwillig Engagierten darstellt, die ihre neu gewonnene Zeit in das Gemeinwohl investieren könnten“, schreiben die Autoren der DIW-Studie.
Die Bedeutung der Freiwilligenarbeit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wird zunehmend erkannt, wie sich bereits an der kürzlich erfolgten Gründung der „Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ zeigt. Sie soll ehrenamtlich tätige Organisationen mit Rat und Tat unterstützen, vor allem in strukturschwachen und ländlichen Regionen. Um Motivation und Potenzial einer offensichtlich wachsenden Zahl engagementbereiter Bürger zu fördern, bedarf es freilich weiterer Maßnahmen durch die Politik, fordern die Autoren. Ohne allzu konkret zu werden, zählen sie dazu die niedrigschwellige und flexible Gestaltung ehrenamtlicher Aktivitäten, eine finanziell angemessene Ausstattung erfolgreicher Initiativen sowie den Ausbau entsprechender Informations- und Serviceangebote. Eines müsse aber auf jeden Fall vermieden werden: Das Ehrenamt dürfe nicht zum Lückenbüßer eines untätigen Sozialstaats werden.
Luise Burkhardt / Jürgen Schupp, Wachsendes ehrenamtliches Engagement: Generation der 68er häufiger auch nach dem Renteneintritt aktiv
Luise Burkhardt, „Die Politik sollte allen Menschen ermöglichen, sich zu engagieren“ (Interview)
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