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Welches Potenzial haben ländliche Räume zur Integration von Flüchtlingen? Je nach Blickwinkel sind die Antworten sehr unterschiedlich. Kurze Wege, soziale Nähe und ein entspannter Wohnungsmarkt stehen für günstige Vorzeichen. Erfolgreiche Integration mildert hier sogar die negativen Folgen des demografischen Wandels ab. Es kann aber auch ganz anders kommen. Wo Verkehrsverbindungen schlecht sowie Sprachkurse und Arbeitsplätze rar sind, ist Eingliederung schwierig. Mal abgesehen davon, dass soziale Nähe nicht automatisch mit gesteigerter Willkommenskultur einhergeht. Eine Bestandsaufnahme der Robert Bosch Stiftung will es genau wissen: Wie haben Landkreise und Gemeinden die Aufnahme und Integration bewältigt, welche Herausforderungen stellen sich künftig?
Die Zuwanderung in ländliche Regionen hat geringere Ausmaße als in städtische Zentren und begann später. „Damit ist auch die Erfahrung mit kultureller und religiöser Vielfalt noch jüngeren Datums“, konstatiert die Studie. Zugleich sind strukturschwache ländliche Siedlungsräume vergleichsweise stärker vom demografischen Wandel betroffen – die Bevölkerung stagniert, schrumpft und altert dort schneller als anderswo. In Kleinstädten und Dörfern ist mehr freier Wohnraum verfügbar, auf dem Arbeitsmarkt spielt das Handwerk eine größere Rolle. Institutionen und Konzepte zur Integration sind mitunter schwächer entwickelt als in den urbanen Zentren. Dafür ist das öffentliche Leben stärker durch persönliche Kontakte und durch Vereine als Träger sozialen Engagements geprägt.
Die Studie basiert auf einer Befragung von 95 Akteuren und Institutionen der praktischen Flüchtlingsintegration in sieben Landkreisen mehrerer Bundesländer entlang der ehemals deutsch-deutschen Grenze.* Ziel des Projekts war es, Kriterien für ein Förderprogramm der Bosch Stiftung zu gewinnen. Der Wert der Erhebung besteht im großen Fundus an Stellungnahmen zur Situation vor Ort. Nicht die großen Fragen der Flüchtlingspolitik stehen zur Diskussion, sondern Erfahrungen und Positionen aus dem Alltag – vom Nahverkehr über die Lage auf dem Arbeitsmarkt bis zur Rolle des Ehrenamts. Wichtige, von den Befragten genannte praktische Zukunftslösungen in einzelnen Integrationsbereichen sind im Folgenden beispielhaft aufgelistet.
Großen Stellenwert in der Befragung nahm die Frage ein, wie die zugewiesenen Menschen langfristig in das Leben auf dem Land integriert werden können. Um den Trend zur Abwanderung in die Metropolen zu unterbinden, bietet sich ein ganzes Bündel von Maßnahmen an: Mehr Familien als Einzelpersonen in ländliche Räume unterbringen, von Beginn an soziale Teilhabe in Nachbarschaften und Vereinen ermöglichen, Angebote für Mobilität (Bürgerbus, Fahrdienst) und Arbeitsplätze schaffen. Mittel- und langfristig sollte der Eigentumserwerb ermöglicht werden, ähnlich den Wohnungsbauprogrammen für Flüchtlinge und Vertriebene in den 1950er Jahren in der Bundesrepublik.
Die Steuerung und Finanzierung von Sprach- und Integrationskursen liegt überwiegend in der Zuständigkeit des Bundes. Dennoch könnten die Kommunen ihren engen Handlungsspielraum durch bessere Koordination des bestehenden Angebots und durch Bereitstellung zusätzlicher Kurse aus Eigen- und Drittmitteln nutzen, meinen Teilnehmer der Erhebung. Überdies sollten Kommunen darauf drängen, dass Ausbildungs- und berufspraktisches Wissen stärker in den Spracherwerb der Integrationskurse einfließt, u.a. in Kooperation mit Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern.
Dieser Kernbereich der Integration braucht nicht nur einen langen Atem, viele Stellschrauben liegen auch hier außerhalb kommunaler Zuständigkeit. Zwei konkrete Maßnahmen jedoch können angepackt werden, legt die Bosch-Studie nahe: die stärkere Zusammenarbeit von (Berufs-) Schulen und Betrieben sowie eine konzertierte Aktion, um Arbeitsmarkterfahrungen durch (langfristige) Praktika zu sammeln. Wichtig für das Gelingen ist dabei eine kontinuierliche Begleitung der Flüchtlinge. Neben dem Einsatz zusätzlicher öffentlicher Mittel ist dies ein geeignetes Betätigungsfeld für ehrenamtliches Engagement.
Überlegungen für die Zukunft konzentrieren sich laut Bosch-Studie darauf, überall dort, wo das noch nicht geschehen ist, die Zuständigkeiten für Migration, Flucht und Integration zusammenzufassen und Zuständigkeiten zu bündeln. Nützlich wäre die Schaffung von Einrichtungen zum Austausch von Projektideen, wie es das für viele Städte mit den Kommunalen Qualitätszirkeln zur Integrationspolitik längst gibt. Sinnvoll ist der Erhebung zufolge auch eine engere Abstimmung zwischen den Leistungsbereichen der Verwaltung (Sozialbehörde, Jobcenter) und den meist in die Wohlfahrtsverbände ausgelagerten Migrationsberatungen.
Bisherige Erfahrungen machen deutlich, dass engagierte Bürger in ihrem Tun qualifiziert und gestärkt werden wollen. „Um ehrenamtliches Engagement zu leisten, brauchen die Engagierten selbst Beratung, Supervision und Raum für Reflexion.“ Flüchtlinge bedürfen ebenfalls der Ermutigung zum freiwilligen Einsatz – ihre Rolle als kulturelle Mittler sollte nach Möglichkeit stärker in das kommunale Geschehen eingebunden werden.
Viele der in der Bosch-Studie genannten Integrationserfordernisse gelten nicht nur für ländliche Räume, sind hier aber aufgrund spezifischer Chancen (mehr Wohnraum) und Schwierigkeiten (mangelnde Mobilität) und Erwartungen (demografischer Aufschwung) charakteristisch. Allerdings sind ländliche Räume heterogen. Das gilt bereits hinsichtlich der Zugehörigkeit der ausgewählten Landkreise zur einstigen Bundesrepublik oder zur DDR, ein Unterschied in der sozioökonomischen Entwicklung, der bis heute nachwirkt. Auch unabhängig davon weisen ländliche Räume Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt, beim Wohlstand und bei der Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen auf, die den Integrationserfolg wesentlich mitbestimmen. Nichtsdestotrotz stellt die Publikation eine umfassende Bedarfsanalyse der Hürden und Chancen ländlicher Integration dar, die den Akteuren und Institutionen nicht nur vor Ort wertvolle Anstöße geben können.
*Beteiligt waren die Landkreise Coburg (Bayern), Harz (Sachsen-Anhalt), Lüchow- Dannenberg (Niedersachsen), Goslar (Niedersachsen), Ludwiglust-Parchim (Mecklenburg-Vorpommern), Prignitz (Brandenburg) und Vogtlandkreis (Sachsen).
Befragt wurden 95 Akteure und Institutionen aus kommunaler Politik und Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft im Zeitraum von März bis Mai 2017.
Rainer Ohliger / Raphaela Schweiger / Lisa Marie Veyhl, Auf dem Weg zur Flüchtlingsintegration im ländlichen Raum. Ergebnisse einer Bedarfsanalyse in sieben Landkreisen, Robert Bosch Stiftung, 2017, 38 Seiten
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