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Eine Bude im Gebüsch bauen, mit den Füßen im Matsch wühlen, Regenwürmer sammeln. Mit den Spielkameraden Verstecken spielen und Kreidebilder auf den Asphalt malen – solche Kinderwelten scheinen in ferne Vergangenheit entrückt. Heute wächst der Nachwuchs eher bewegungsarm auf, in geschützten Räumen und in einem von Erwachsenen durchgeplanten Alltag. Doch Kinder haben ein Recht auf spielerische Freiräume, idealerweise im Freien, meint Dr. Christiane Richard-Elsner aktuell in einem Fachaufsatz für die Konrad-Adenauer-Stiftung.
Ärzte beklagen eine Zunahme übergewichtiger Kinder, Grundschullehrer berichten von Konzentrationsmangel und Aggressivität in der Klasse. Doch kaum jemand komme auf die Idee, das freie Spiel als Teil der Lösung in Betracht zu ziehen, kritisiert Richard Elsner, Leiterin der interdisziplinären Arbeitsgruppe „Draußenkinder“ im ABA Fachverband: „Da hat eine Art Kulturwandel stattgefunden. Das Kinderspiel ist in der heutigen Mentalität nicht mehr verankert.“1) Die Sozialwissenschaften ordneten das Draußenspiel sogar einer längst überholten Tradition zu. „Stattdessen liegt der Fokus auf einer noch stärkeren Betreuung durch Fachkräfte und damit einer noch stärkeren Pädagogisierung.“
Diese Entwicklung hat mehrere Gründe. Der dichte Straßenverkehr beschränkt den kindlichen Bewegungsradius, intensive Raumnutzung in den Städten überlässt ihnen kaum noch wilde Flächen. Wohnen, Gewerbe, Freizeit und Mobilität sind planerisch zugewiesen, Grünflächen rar und nicht selten für Kinder verboten. Das zeitvergessene Spiel (Flow) ist dem „Spielen unter Termindruck“ gewichen, die stresserzeugende Abfolge von Events und Förderangeboten erfordert hohe Mobilität. Prägend ist das Kontrollbedürfnis verunsicherter Eltern: Frühe Erziehung zur Selbstständigkeit der Kinder kontrastiere mit dem mangelnden Vertrauen in deren Eigenständigkeit im Alltag, meint die Autorin.
Schon in der frühesten Geschichte bildete sich menschliches Spielhandeln in direkter Beschäftigung mit der natürlichen Umgebung heraus, formte das Grundmuster von Sinneserfahrungen, körperlicher Bewegung und sozialer Interaktion. „Beim Draußenspiel agieren Kinder unbeeinflusst von Erwachsenen in idealerweise anregungsreichen, naturhaften Freiräumen.“ Darin sieht Richard-Elsner einen evolutionsbiologischen Vorteil – Kinder machen sich gemäß ihrer persönlichen Entwicklung mit ihrer dinglichen und kulturellen Umwelt vertraut.
Körperliche Entwicklung: Bewegung fördert die Motorik, stärkt den Knochenbau und das Immunsystem, beugt Übergewicht, Haltungsschäden und Herz-Kreislauferkrankungen vor. Doch 70 Prozent der Kinder erfüllen nicht die von der WHO empfohlene Mindestanforderung von täglich einer Stunde mäßiger bis intensiver Bewegung. Die ausufernde Nutzung elektronischer Medien gilt wegen des damit verbundenen Tageslichtmangels als Ursache für den weltweiten Anstieg von Kurzsichtigkeit bei Kindern.
Sozialverhalten und Sprachkompetenz: Das Spiel übt soziale Situationen ein, ermuntert dazu, sich durchzusetzen, Kompromisse zu schließen, Regeln zu erproben. Dieser Prozess wird sprachlich ausgehandelt und verarbeitet.
Selbstwirksamkeit: Freies Spiel in einer abwechslungsreichen Umgebung, jenseits elterlicher Allgegenwart, stärkt die Erfahrung der Selbstwirksamkeit. Schlecht, wenn Kinder in den mittleren Kindheitsjahren (sechs bis zwölf Jahre) ihr großes Bewegungsbedürfnis nicht ausleben können: Die Autorin zitiert Forschungen, die eine Verbindung zur Zunahme psychischer Verhaltensauffälligkeiten ziehen.
Subjektive Raumerfahrung: Durch ungeregelte Bewegung konstruieren Kinder ihre „innere Landkarte“ – sie belegen ihre Raumwahrnehmung mit individuellen Gefühlen und begründen so eine lebenslange Orientierungsfähigkeit.
Risikokompetenz: Kinder suchen auf spielerische Art physische Risiken und wägen bewusst ab zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit und dem Streben nach Autonomie und Risikobewältigung. Der Alltag ist eine Abfolge von Risikoabschätzungen, das Spiel das ideale Training.
Der Kinderalltag hängt im Wesentlichen von den Freiräumen in einem lebendigen Wohnumfeld ab, lautet eine zentrale These der Publikation. Dazu gehören Streifräume und Spielräume. Streifräume ermöglichen selbstständige Fortbewegung zur Schule, zu Freunden zum Sportverein; Spielräume geben Gelegenheit zur kreativen Gestaltung.
„Mindestens so wichtig wie die Förderung von Digitalkompetenz ist die stärkere Berücksichtigung des Draußenspiels“, fordert Richard-Elsner. Dieses Ziel sollte künftig in die gesetzlichen Grundlagen für den Betrieb von Kindergärten und Ganztagsschulen einfließen.
1) NRZ vom 25.05.2018, Weltspieltag: Experten klagen: Kinder spielen nicht mehr draußen (am 07.10. 2018 abgerufen) www.nrz.de/region/mama-ich-geh-raus-spielen-id214385589.htm
Christiane Richard-Elsner, Draußen spielen – ein unterschätzter Motor der kindlichen Entwicklung, Analysen und Argumente Nr. 315/2018, hg. von der Konrad Adenauer Stiftung, St. Augustin, 12 Seiten, Download
Baldo Blinkert / Peter Höfflin / Alexandra Schmider / Jürgen Spiegel,Raum für Kinderspiel! Studie im Auftrag des Deutschen Kinderhilfswerkes über Aktionsräume von Kindern in Ludwigsburg, Offenburg, Pforzheim, Schwäbisch Hall und Sindelfingen, FIFAS-Schriftenreihe Bd. 12, Münster 2015 (ISBN 978-3-643-12944-4)
Andreas Raith, Beate Kohler, Kurt Gschwind (Hrsg.): Startkapital Natur. Wie Naturerfahrung die kindliche Entwicklung fördert, München 2014 (ISBN 978-3-86581-692-4)
Online-Plattform zur Förderung des Draußenspiels:
www.draussenkinder.info
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