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Jedes Jahr befragt das ifo-Bildungsbarometer Erwachsene nach ihrer Meinung zu Themen rund um Schule und Unterricht. In diesem Jahr wurden erstmals auch 14- bis 17-Jährige in die Erhebung einbezogen.* Eigentlich naheliegend, schließlich sind sie von der Bildungswirklichkeit direkt betroffen, gestand denn auch Ludger Wößmann, Mitautor der Studie, in einem Interview im Deutschlandfunk zu. Bereits die Bewertung der aktuell besuchten Schule sorgt für Überraschung: Fast die Hälfte der Schüler (49 %) vergibt die Noten 1 oder 2, bei den deutlich kritischeren Erwachsenen sind es nur 34 Prozent.
Auch bei weiteren allgemeinen bildungspolitischen Themen ist der Meinungsvergleich interessant. So spricht sich die Mehrheit der jungen Leute (64 %) gegen den Ausbau der Ganztagsschule aus, hingegen eine Mehrheit der erwachsenen Bevölkerung dafür (60 %). Grund könnte sein, dass das Ganztagsschulsystem Erwachsenen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Schule ermöglicht, vom Nachwuchs aber als Beschneidung seiner Freizeit empfunden wird, vermuten die Studienautoren. Unterschiedlich ist auch die Meinung, wofür zusätzliche öffentliche Gelder ins Schulsystem investiert werden sollten: Jugendliche plädieren eher für mehr Lehrmittel (49 %), Eltern mehrheitlich für kleinere Klassen (54 %).
Aspekte schulischer Leistungsorientierung wie bundesweit einheitliche Prüfungen, Notengebung und Sitzenbleiben sorgen in bildungspolitischen Reformdiskussionen regelmäßig für Kontroversen. Bemerkenswert: In diesem Bereich sind junge und ältere Befragte mehrheitlich derselben Meinung, aber in unterschiedlichem Ausmaß. Gegen die Abschaffung von Noten votieren 62 Prozent der Jugendlichen und 74 Prozent der Erwachsenen, Sitzenbleiben bei schlechten Leistungen findet Zustimmung bei 76 bzw. 83 Prozent. Ähnlich übereinstimmend ist das Meinungsbild zu bundesweiten Tests und Abschlussprüfungen.
Die Studienautoren schlussfolgern: „Argumente gegen ein leistungsorientiertes Schulsystem, die auf Überforderung von Jugendlichen abstellen, scheinen im Hinblick auf diese Ergebnisse wenig überzeugend.“
Wie sehr sollten digitale Medien den Unterricht gestalten und was bringt das überhaupt? Ein Dauerbrenner-Thema, eines, das bis in die Familien hinein als Kulturkluft zwischen Digital Natives und Digital Immigrants diskutiert wird. Umso aufschlussreicher, was das ifo-Bildungsbarometer dazu herausfand. Demnach wünschen sich 45 Prozent der 14- bis 17-Jährigen, mindestens die Hälfte der Unterrichtszeit am Computer zu arbeiten. Das kontrastiert – mehr oder minder erwartungsgemäß – mit der geringeren Sympathie der Erwachsenen für Computer in der Schule (19 %).
Noch schwerer wiegt, dass eine große Mehrheit der Jugendlichen (68 %) angibt, den Rechner in der Schule nur zwischen einmal wöchentlich und höchstens einmal im Monat hochzufahren. An dieser Kluft zwischen gewünschter und tatsächlicher Nutzung lässt sich ablesen, wie groß der digitale Nachholbedarf der Schulen ist – selbst unter Berücksichtigung der Einsicht, dass auch hier nicht alles pädagogisch sinnvoll ist, was technisch möglich wäre.
Ein weiterer Aspekt betrifft die digitale Kommunikation zwischen Schulen und Schülern bzw. deren Eltern, etwa zur Ankündigung von Tests oder zur Notenbekanntgabe. Junge Leute befürworten die Kontaktaufnahme der Schulen per digitaler Kommunikation mit ihnen selbst weitaus stärker (85 %) als mit den Eltern (58 %). Letztere jedoch möchten deutlich häufiger (64 %) mit den Schulen Kontakt halten. In diesem Unterschied drückt sich wahrscheinlich die ganz traditionell-analoge Spannung zwischen Jugendlichen und Eltern um Abgrenzung und paternalistische Fürsorge aus.
Ein Schwerpunkt des aktuellen Bildungsbarometers lag den Autoren zufolge bei Geschlechterfragen. Zum Beispiel zum getrennten Unterricht für Mädchen und Jungen: Rund drei Viertel der Jugendlichen (71 % der Mädchen, 73 % der Jungen) lehnen entsprechende Reformpläne ab. „Diese mehrheitliche Ablehnung unter den Jugendlichen ist konsistent damit, dass es keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege für die Effektivität getrenntgeschlechtlicher Schulen gibt“, resümiert die ifo-Studie.
Mädchen und Jungen sind sich auch weitgehend einig, dass Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau (88 % der Mädchen, 77 % der Jungen), Gewalt gegenüber Frauen (81 % bzw. 69 %), Machtmissbrauch an Frauen (81 % bzw. 67 %) und sexuelle Belästigung (87 % bzw. 76 %) im Unterricht weiterführender Schulen behandelt werden sollte. Mädchen liegen in ihrer Zustimmung durchgängig sogar um rund zehn Prozent höher. Und: Bei diesem Themenbereich unterscheiden sich die Meinungen der Jugendlichen nicht wesentlich von denen der Erwachsenen, macht die Studie deutlich.
Das aktuelle Studiendesign des Bildungsbarometers mit seiner Einbeziehung Jugendlicher kann durchweg als Fortschritt gelten. Damit können bildungspolitische Diskussionen und Reformvorhaben mehr Akzeptanz gewinnen. Deutliche Unterschiede zwischen Jugendlichen und Erwachsenen bei Fragen der Ganztagsschule, verbesserter Schulausstattung und digitaler Unterrichtsformen verdienen ebenso Beachtung wie die weitgehende Übereinstimmung der Generationen bei schulischer Leistungsorientierung und Geschlechterfragen. Leider ist laut Bildungsforscher Wößman derzeit noch offen, ob die hohen Hürden einer repräsentativen Befragung Jugendlicher – rechtliche Fragen, hoher Aufwand – auch künftig überwunden werden können.
*Das ifo Bildungsbarometer ist eine vom ifo Zentrum für Bildungsökonomik entwickelte jährliche Meinungsumfrage unter mehr als 4.000 repräsentativ ausgewählten Erwachsenen in Deutschland. Erstmals bezieht die diesjährige Erhebung auch 1.085 Jugendliche im Alter von 14 bis 17 Jahren ein.
Ludger Wößmann / Philipp Lergetporer / Elisabeth Grewenig / Sarah Kersten / Katharina Werner, Denken Jugendliche anders über Bildungspolitik als Erwachsene?
ifo Schnelldienst 17/ 2018, Seiten 31-45, Download
Vom selben Autorenteam zum Bildungsbarometer 2018:
Was denken die Deutschen zu Geschlechterthemen und Gleichstellung in der Bildung? – Ergebnisse des ifo- Bildungsbarometers 2018, ifo Schnelldienst 17/2018, Seiten 15-30, Download
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