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Familienfreundlichkeit steht bei vielen Unternehmen hoch im Kurs: Rund 74 Prozent halten dies für wichtig, ergab eine Umfrage des „Unternehmensmonitors Familienfreundlichkeit“ von 2016. Doch zwischen Theorie und gelebter Praxis klaffen offenbar deutliche Lücken: So schätzen Unternehmen ihre Firmenkultur oft viel familienfreundlicher ein, als ihre Beschäftigten dies tun. Wie lässt sich dieser „Kulturgap“ überwinden? Eine aktuelle Studie der Roland Berger GmbH im Auftrag des Bundesfamilienministeriums zeigt die Schwächen unternehmerischer Familienpolitik, nennt einige Best-Practice-Beispiele und gibt Handlungsempfehlungen.
Befragt wurden 300 Unternehmen (ab 15 Mitarbeiter) und 1.085 Beschäftigte im Frühjahr 2017. Die Ergebnisse zeigen eine starke Diskrepanz in der Wahrnehmung: Während sich beispielsweise 44 Prozent der Unternehmen als „sehr familienfreundlich“ bezeichneten, sahen dies nur 24 Prozent der Beschäftigten genauso. 59 Prozent der Unternehmen fanden, dass sie individuelle Bedürfnisse (Kinderbetreuung, Angehörigenpflege oder Fortbildung) häufig berücksichtigen – dem stimmten aber nur 19 Prozent der Mitarbeiter zu. Zwölf Prozent der Arbeitgeber gaben an, individuelle Bedürfnisse der Beschäftigten selten oder nie zu berücksichtigen – von den Arbeitnehmern empfanden das 42 Prozent.
Zunächst ist die Frage zu klären: Was wollen die Beschäftigten? Knapp zwei Drittel (62 %) der Arbeitnehmer wünschen sich Zuschüsse für die Kinderbetreuung und 42 Prozent betriebsinterne Kitas oder Belegplätze. Doch nur 19 Prozent der Firmen zahlen Zuschüsse für die Betreuung und 22 Prozent halten Kitaplätze vor. 69 Prozent der Beschäftigten würden gern im Home-Office arbeiten, 47 Prozent der Unternehmen bieten das an. „Obwohl die Unternehmen bestimmte Maßnahmen als wichtig erachten, bieten sie diese nicht an“, stellen die Autoren fest und führen das zum Teil auf mangelndes Know-how und fehlende finanzielle Mittel zurück.
Wenn die Vorgesetzten selbst familienfreundliche Angebote des Unternehmens nicht nutzen, interpretieren das die Beschäftigten oft als Signal fehlender Akzeptanz. So gab lediglich ein Drittel der Mitarbeitenden an, dass auch Führungskräfte Angebote wie Elternzeit oder Home-Office in Anspruch nehmen.
Oft hapert es auch schlicht an der Kommunikation: Zwar halten viele Unternehmen familienfreundliche Maßnahmen vor – beispielsweise für junge Väter oder Beschäftigte mit pflegebedürftigen Angehörigen – kommunizieren sie jedoch zu wenig oder nur auf Nachfrage.
Verbindliche Regeln erleichtern es den Beschäftigten, angebotene Maßnahmen auch tatsächlich in Anspruch zu nehmen, raten die Studienautoren. Wer zum Beispiel weiß, dass es für ihn oder sie eine Vertretung gibt, nimmt eher eine Auszeit. Sinnvoll sind auch konkrete Zielvorgaben für Führungskräfte, dass sie in ihrem Bereich zum Beispiel Home-Office oder Väter in Elternzeit aktiv fördern sollen.
Drei Typen von familienfreundlicher Unternehmenskultur unterscheiden die Studienautoren: Die Champions – meist ältere und größere (mehr als 500 Beschäftigte) Firmen aus der Digital- und Finanzwirtschaft sowie dem öffentlichen Dienst, die Soliden, oft mit vielen weiblichen Angestellten und häufig in den Branchen Information, Kommunikation und Erziehung anzutreffen; sowie die Nachzügler, tendenziell kleinere Unternehmen mit hohem Anteil manueller Tätigkeiten und eher geringem Frauenanteil.
Die Champions halten im Schnitt fünf bis sechs familienfreundliche Angebote vor – neben Elternzeit für Väter und Pflegeauszeit z. B. auch Fortbildungen oder Freistellungen für Ehrenämter. Die Führungskräfte dort nutzen häufig (53 %) Home-Office oder andere Vereinbarungen und kommunizieren die Angebote auch aktiv an die Beschäftigten. Etwa ein Drittel der Champions hat ein eigenes familienpolitisches Leitbild.
Die Soliden bieten meist Angebote für Arbeitszeit und -ort an, die aber oft zu wenig differenziert sind. Infos dazu gibt es nur auf Nachfrage, Führungskräfte leben Familienfreundlichkeit eher selten vor, es gibt nur wenig Verbindlichkeit der Angebote.
Die Nachzügler halten wenige bis gar keine Angebote vor, auf individuelle Bedürfnisse wird kaum eingegangen.
Sechs Handlungsempfehlungen für Unternehmen legen die Studienautoren vor:
Das Thema Familienfreundlichkeit ist bei den Unternehmen angekommen: Gaben 2003 lediglich 47 Prozent an, dass dies für sie wichtig sei, waren es 2016 rund 74 Prozent. Allerdings – und das wird in der Studie nicht kommuniziert – waren es 2010 sogar fast 80 Prozent der Unternehmen, denen Familienfreundlichkeit wichtig war. Hier gibt es also einen leichten Rückgang.
Nicht näher untersucht wurde, warum Unternehmen zwar häufig wissen, dass familienfreundliche Maßnahmen wichtig und sinnvoll sind, diese aber trotzdem nicht umsetzen. Mögliche Ursachen – genannt werden fehlendes Know-how oder fehlende finanzielle Mittel – werden nur angerissen. Hier wäre eine vertiefende Nachfrage sicher interessant. Für kleine Betriebe oder Firmen, die in der Fertigung tätig sind, sind Angebote wie Teilzeit, Pflegeauszeit oder Home-Office oft nicht leicht bzw. kaum umsetzbar.
Gut nachvollziehbar sind die aufgelisteten Handlungsempfehlungen der Studie, die Best Practice-Beispiele geben einen spannenden Einblick in gelebte familienfreundliche Unternehmenskultur.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend / Roland Berger GmbH: Familienfreundliche Unternehmenskultur, August 2017, 40 Seiten
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