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Am späten Abend schnell noch ein paar E-Mails an die Kollegen in die Tasten hacken, am Wochenende unverzichtbare Nach- oder Vorarbeiten durchziehen und im Urlaub den Kontakt ins Büro nie abreißen lassen: Manchem Chef mag das gefallen, bei den Betroffenen könnte jedoch eine krankhaft übersteigerte Arbeitslust vorliegen, die ihnen körperlich und psychisch schadet. Rund ein Zehntel der Beschäftigten hierzulande arbeitet suchthaft, besagt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie auf Basis repräsentativer Daten von 8.000 Erwerbstätigen. Was unterscheidet berufliches Engagement und persönlichen Ehrgeiz von krankmachender Arbeitswut, welche Personengruppen sind besonders gefährdet?
Smartphone und Homeoffice weichen die Grenzen zwischen Job und Feierabend, zwischen Erwerbsarbeit und Privatleben zunehmend auf, flexible Arbeitszeiten verstärken diesen Trend. Somit ist das Thema Arbeitssucht von hoher aktueller Bedeutung: „Suchthaftes Arbeiten ist kein Randphänomen, das nur eine kleine Gruppe von Führungskräften betrifft. Tatsächlich sind exzessives und zwanghaftes Arbeiten in allen Erwerbstätigengruppen verbreitet“, betonen die Studienautor*innen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) und der Technischen Universität Braunschweig.
Der US-Psychologe Wayne Oates beschrieb erstmals den Zusammenhang von Arbeit und Sucht (1971). Er zog Parallelen zum Alkoholismus und sprach von „workaholism“. Auch Arbeitssüchtige oder Workaholics leiden unter Kontrollverlust, steigern die Dosis und kämpfen mit Entzugserscheinungen. Eine gesunde Balance zwischen Arbeits- und Privatleben schaffen sie nicht. Dem liegt das zwanghafte Streben nach Selbstwirksamkeit, Anerkennung im Beruf und Karriere zugrunde. Der große Unterschied zwischen beiden Suchtvarianten: Entgrenztes Arbeiten gehört wie auch die Spielsucht zu den nichtstoffgebundenen Süchten. Typische Begleitsymptome sind körperliche Beeinträchtigungen wie Bluthochdruck, Schlafstörungen und Kopfschmerzen sowie soziale Isolation. Arbeitssucht führt häufig in den Burnout, eine Arbeitsunfähigkeit infolge von Erschöpfung und Depression.
Die Autor*innen vorliegender Studie sind davon überzeugt, dass die Arbeitssucht hierzulande nur schwach erforscht ist. Da mag auch an der Schwierigkeit der Begriffsbestimmung liegen: Zum einen schwingt bei der Charakterisierung als Workaholic auch die Bewunderung für Leistungsbereitschaft und Aufopferung mit, zum anderen liegen der beruflichen Leidenschaft und dem Karrierestreben eine hohe Wertschätzung der Arbeit in unserer Gesellschaft zugrunde. Die Forscher*innen orientieren sich an gängigen Klassifizierungen zur Arbeitssucht und legen Kriterien wie übermäßig lange Arbeitszeiten, Perfektionismus, Unfähigkeit zum Delegieren, Work-Life-Konflikt, fehlende Arbeitsfreude und die Unfähigkeit zur Entspannung zugrunde.
9,8 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten gemäß der Erhebung „suchthaft“, 33 Prozent „exzessiv“, aber nicht zwanghaft. Eine Mehrheit von 54,9 Prozent arbeitet hingegen „gelassen“. Mit seiner Quote der Arbeitssüchtigen liegt Deutschland nahe an den Ergebnissen anderer Länder. Weitere zentrale Erkenntnisse:
Arbeitssucht kann schlimme Folgen haben. Für den Einzelnen stellt sie ein Gesundheitsrisiko dar und raubt Lebensqualität, dem Unternehmen kann sie eine Minderung der Arbeitsqualität und Arbeitsausfälle bescheren. „Das Phänomen suchthafter Arbeit ist damit neben gesundheits- und arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten auch aus gesellschaftlicher Perspektive hochgradig bedeutend.“
Weitere Info
Beatrice van Berk / Christian Ebner / Daniela Rohrbach-Schmidt, Wer hat nie richtig Feierabend? Eine Analyse zur Verbreitung von suchthaftem Arbeiten in Deutschland, Zeitschrift Arbeit 3/2022, April 2022, Seiten 257-282
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www.degruyter.com/document/doi/10.1515/arbeit-2022-0015/html
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