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Das Wundermittel gegen Abwanderung und Alterung entlegener Landstriche des Ostens wurde noch nicht entdeckt. Der kooperative Dorfladen, das ambulante Versorgungsmodell oder die mobile Sparkasse mögen den Niedergang abfedern, dem Sog der großen Städte setzen sie aber nichts entgegen. Könnten neue Formen urbanen Landlebens eine Trendwende einleiten? Fast unbemerkt sprießen in Ostdeutschland zahlreiche experimentelle Projekte aus dem Boden, bei denen sich digitale Arbeit, Landleben und oft alternative Wohnformen miteinander verbinden. Eine aktuelle Studie widmet sich dieser Entwicklung.
Das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung (BI) und das Beratungsinstitut Neuland21 nehmen eine „kreative urbane Szene“ als Träger der neuen Landbewegung in den Blick: Keine Aussteiger auf der Suche nach dem zivilisationsfernen Refugium, keine bauspargeförderten Kleinfamilien am Rande urbaner Speckgürtel, die es dann als Pendler doch wieder in die City zieht. Sondern stressgeplagte Großstadtmenschen, junge Familien auf der Flucht vor boomenden Mieten, Tüftler und Kreative. Allesamt Menschen, die sich nach einem familiären Leben in größeren kooperativen Gruppierungen sehnen, die Raum für Entfaltung und Experiment brauchen. Vor allem aus Berlin, aber auch aus anderen expandierenden Städten lockt es sie in renovierungsbedürftige Gutshöfe, denkmalwürdige Landhäuser und stillgelegte Fabriken draußen auf dem Land. Damit tragen sie zur Wiederbelebung verödender Ortskerne bei und machen mit neuen Ideen (z. B. Klimawerkstatt, Car-Sharing, Perma-Kulturgärten, Öko-Tourismus) die Dörfer attraktiver.
Die Studie stellt 18 Projekte in den östlichen Flächenländern vor, bei denen die „digitale Arbeit als Umzugshelfer“ fungiert. Zahlreiche Projekte liegen in Brandenburg, einige im Leipziger Umland. Viele Beteiligte verdienen ihr Geld in Wissens- und Kreativberufen, als Architekten, Ingenieure, Journalisten, Wissenschaftler und Kulturmanager. Sie können ihre berufliche Arbeit ortsflexibel im Homeoffice ausüben. Manche schaffen mit ihren Geschäftsideen neue Arbeitsplätze und Nachfrage vor Ort (Gästebetrieb, Tagungen, Werkstätten), allen ist die digitale Vernetzung zwischen Landidyll und Stadtszene wichtig. Einige Beispiele:
Das Landprojekt Alte Mühle Gömnigk: Diese alte Wassermühle mit 18 Hektar Land und mehreren Gebäuden, im Brandenburger Landkreis Potsdam-Mittelmark gelegen, wurde zum Zuhause von 30 Erwachsenen und Kindern. Zum Gelände gehören Gästehaus, Coworking-Space, Veranstaltungsmöglichkeiten, Gewächshäuser und Werkstätten. Solar- und Wasserkraft tragen zum Hofbetrieb bei.
Der Hof Prädikow in Prötzel (Märkische Schweiz) ist einer der größten Vierseithöfe Brandenburgs. 45 Genossenschaftsmitglieder haben dem einst leerstehenden Anwesen neues Leben eingehaucht, langfristig sollen dort bis zu 150 Menschen wohnen. Geplant sind die Erweiterung um Coworking Space, Dorfscheune, Werkstätten und ein Kita-Café.
Die Denk- und Produktionsort Libken im uckermärkischen Gerswalde ist ein ehemaliger LPG-Plattenbau, den die Initiatoren mittels eines Vereins zu einem Wohn-, Kunst- und Kulturort für sich und die Alteingesessenen umgebaut haben. Derzeit leben dort zehn Bewohner, bis zu 30 Künstler und Gäste finden ebenfalls Platz.
Die Kulturfabrik Meda in der Oberlausitz geht auf eine ehemalige Nudelfabrik zurück. Die Bewohner und ein Verein organisieren Kino, Konzerte, Workshops und betreiben ein Gästehaus.
Das Benediktinerkloster Posa in Zeitz wird von 15 Bewohnern und einem Unterstützerkreis aus Leipzig betrieben. Das alte Klostergelände mit Weinberg und Streuobstwiesen wartet mit Kulturprojekten, Festivals, Werkstätten und einem Gästehaus auf. Temporäre Arbeitsplätze sollen gestressten Menschen etwa aus Leipzig und Halle eine kreative Auszeit ermöglichen.
Die Studie schließt mit Empfehlungen an die beteiligten Akteursgruppen, was zu tun ist, damit alle voneinander profitieren.
Kreative Städter möchten Landluft atmen – ob aus hoffnungsvollen Beispielen ein starker Trend zugunsten demografisch angeschlagener Regionen wird, steht noch dahin, betonen die Studienautoren. Sicher ist aber, dass die Lust aufs Land für einige Dörfer eine große Chance birgt. „Die neuen Bewohner bereichern nicht nur das Dorfleben, sie bringen auch viele neue Ideen aus den Städten mit und stoßen damit nicht selten eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Modernisierung der Dörfer an.“
Manuel Slupina / Reiner Klingholz / Silvia Hennig u. a.: Urbane Dörfer. Wie digitales Arbeiten Städter aufs Land bringen kann. Hg.: Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung und Neuland21, Berlin 2019, 59 Seiten, Download
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