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Digitalisierung hilft Vereinen und kann damit ganze Dörfer beleben – so lautet die Kernaussage der aktuellen Studie „Vereinssterben in ländlichen Regionen – Digitalisierung als Chance“, die von der Förderinitiative „digital.engagiert“ beauftragt worden ist. Hinter „digital.engagiert“ stehen der Stifterverband, eine Gemeinschaftsinitiative von Unternehmen und Stiftungen, und der amerikanische Internetgigant Amazon. Ihre These: Der Bestand der Vereine in ländlichen Regionen hierzulande ist – vor allem wegen des demografischen Wandels – gefährdet. Die Nutzung digitaler Technologien kann jedoch helfen, die Probleme zu überwinden, mit denen die Vereine in ihrer täglichen Praxis konfrontiert sind.
Zunächst ein paar Zahlen: Seit 2006 haben sich rund 15.500 Vereine in ländlichen Regionen (Dörfern, Gemeinden, Kleinstädten) aufgelöst und wurden aus den Vereinsregistern gelöscht. Dabei sind die neuen Bundesländer stärker betroffen als die alten: Insbesondere Brandenburg, aber auch ländliche Regionen in Sachsen und Sachsen-Anhalt weisen vergleichsweise hohe Anteile gelöschter Vereine auf. Gründe für den Rückgang sind eine schrumpfende und zunehmend überalterte Bevölkerung auf dem Land – „die Vereine ziehen mit den Menschen in die Stadt“, so die Studienautoren. Insgesamt verzeichnet etwa jeder fünfte Verein (22%) in Dörfern und kleinen Gemeinden Rückgänge bei den Engagiertenzahlen, in den Städten sind es 14 Prozent.
Gleichzeitig gibt es in Deutschland so viele Vereine wie nie zuvor: bundesweit sind es mehr als 600 000. Fast jeder zweite Bundesbürger ist laut ZiviZ-Survey 2017 (ZiviZ: Zivilgesellschaft in Zahlen) Vereinsmitglied, und aktuell sind noch immer rund 43 Prozent der Vereine in ländlichen Regionen verortet (2012: 46 %).
Auf dem Land liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten in den Bereichen Sport und Freizeit sowie Bevölkerungs- und Katastrophenschutz. „Das Ausdünnen der Vereinsstrukturen schwächt jedoch die Voraussetzungen, die in Regionen mit alternder, abwandernder und schrumpfender Bevölkerung Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt ermöglichen“, heißt es in der Studie.
Wichtig seien daher entsprechende Strukturen auf kommunaler Ebene: Neben Investitionen in den Breitbandausbau und WLAN-Verfügbarkeit müssten verstärkt zivilgesellschaftliche Infrastrukturen und Engagement-Netzwerke vor Ort gefördert werden. „Kommunen, Freiwilligenagenturen und andere sind wichtige Anlaufstellen für lokale Zivilgesellschaften. Sie sollten befähigt werden, diese Aufgabe auch im Thema Digitalisierung kompetent auszufüllen“, fordern die Autoren.
Als Best-Practice-Beispiel nennt die Studie eine Sharing-Plattform für die Arbeit der „Tafel“ im hessischen Ginsheim-Gustavsburg: Dort werden Sachspenden über eine Online-Plattform automatisiert und passgenau vermittelt, der Verwaltungsaufwand dadurch deutlich minimiert. Entlastung für die Ehrenamtler soll auch die „Digitale Geschäftsstelle“ bieten – ein Pilotprojekt des LandesSportBunds Niedersachsen: Hier können viele Aufgaben über Cloud-Lösungen erledigt werden. Dabei werden IT-Infrastrukturen und -Dienstleistungen genutzt, die nicht auf lokalen Rechnern vorgehalten, sondern als Dienst gemietet werden und auf die über ein Netzwerk (z. B. Internet) zugegriffen wird. Optimierte Arbeitsprozesse durch moderne Kommunikationswege könnten Vereine attraktiver für neue, jüngere Ehrenamtler machen. So seien zum Beispiel Cloud-Lösungen gerade für Vereine in ländlichen Räumen, die für ihre Tätigkeiten oft größere Distanzen überwinden müssten, eine sinnvolle Lösung, heißt es in der Studie.
Auch wenn zwischen 2006 und 2016 rund 15.500 Vereine auf dem Land aufgelöst wurden: Bei bundesweit mehr als 600.000 Vereinen kann von einem „Vereinssterben in ländlichen Regionen“ nur bedingt die Rede sein.
Es ist richtig, dass durch die Überalterung viele Vereine Mitglieder einbüßen, doch stellt sich auch die in der Studie nicht näher beleuchtete Frage, welche Art von Vereinen sich vielleicht „überlebt“ und aus diesem Grund aufgelöst haben. Möglicherweise sind der Männergesangverein oder die Landfrauenvereinigung heute schlicht nicht mehr zeitgemäß.
Sicher kann Vereinsarbeit durch Digitalisierung vereinfacht und modernisiert werden – die Zeichen der Zeit haben vermutlich die meisten Vereine erkannt und bemühen sich entsprechend. Professionelle Hilfe wäre hier in jedem Fall sinnvoll, doch stellt sich die Frage, wer sie den Vereinen zur Verfügung stellt. Hier sollte vor allem die öffentliche Hand tätig werden, weniger private Unternehmen oder der Großkonzern Amazon, der weltweit der Cloud-Dienstleister Nummer eins ist.
In erster Linie sind und bleiben Vereine jedoch Orte des analogen Netzwerkens – ihr Charme liegt gerade in dem „echten“ Miteinander und der realen Nähe, die ihre Mitglieder zueinander haben.
Patrick Gilroy / Holger Krimmer / Jana Priemer, u. a. Vereinssterben in ländlichen Regionen – Digitalisierung als Chance, Förderinitiative „digital engagiert“ (Auftraggeber), Berlin 2018, 24 Seiten, Download.
Tipps zur Digitalisierung der Vereinsarbeit gibt auch der Bundesverband deutscher Vereine & Verbände e.V.: www.bdvv.de/aufgaben-referate/medien-digitalisierung/
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