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Telemedizin steht vor dem Durchbruch – zu diesem Schluss kommt die kürzlich veröffentlichte Umfrage „Future Health 2018“ der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Danach wünschen sich drei Viertel der Deutschen mehr ärztliche Beratungsangebote im Internet. Rund 43 Prozent befürworten eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots, zum Beispiel bei chronischen Erkrankungen. Den Einsatz von Robotern oder Computern im Patientengespräch können sich viele vorstellen und sehen durchaus das Potenzial: keine Wege, keine Wartezeiten, Entlastung der Arztpraxen. Soweit das Wunschdenken. In der Praxis ist ein flächendeckender Durchbruch jedoch in weiter Ferne: Noch findet Telemedizin überwiegend in regionalen Modellprojekten statt.
Aktuelles Beispiel ist das Projekt „Telemedizin im ländlichen Raum“ in Schleswig-Holstein (Start: September 2018). Um den Patienten Anfahrtswege und Wartezeiten beim Augenarzt zu ersparen, wird dieser per Videotelefonie in die Praxis des Hausarztes geschaltet – Haus- und Facharzt besprechen dann in Anwesenheit des Patienten den Fall. Sieben Videotelefonie-Systeme sollen zunächst zum Einsatz kommen, beteiligt sind fünf Hausarzt-Praxen, die Augenarztzentren in Rendsburg und Tellingstedt liefern fachärztliche Expertise.
Ein weiteres Projekt in Schleswig-Holstein ist der „Telematik-Rucksack“, mit dem immobile Patienten zu Hause aufgesucht werden: Nichtärztliche Praxismitarbeiterinnen (NäPas) können mit der neuen Technologie Vitaldaten der Patienten wie Gewicht, Blutdruck oder EKG in die Praxis übermitteln. Via Tablet ist bei Bedarf ein Videokontakt mit dem behandelnden Hausarzt möglich. Umgesetzt werden die Telemedizin-Anwendungen von der Techniker Krankenkasse in Kooperation mit der Gesellschaft für integrierte ophthalmologische Versorgung Schleswig-Holstein (GIO), der Ärztegenossenschaft Nord, dem Hausärzteverband Schleswig-Holstein und dem Institut für Allgemeinmedizin am UKSH Campus in Lübeck.
Bereits im vergangenen Jahr sind in Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern zwei Modellprojekte im Bereich Dermatologie gestartet.
„Die technischen Möglichkeiten zum Einsatz von telemedizinischen Verfahren stehen heute zum größten Teil bereits zur Verfügung“, sagt Prof. Joachim Szecsenyi vom Uniklinikum Heidelberg. Die größere Herausforderung sei die Frage nach dem tatsächlichen patientenrelevanten Zusatznutzen: „Trotz zahlreich beschriebener Zukunftspotenziale der Telemedizin stellt sich ihr Nutzennachweis für die Patientenversorgung nach wie vor häufig als schwierig dar“, resümiert Szecsenyi. der gemeinsam mit Kollegen kürzlich das „Handbuch zur Qualitätsentwicklung in der Telemedizin“ herausgegeben hat. Der Nutzennachweis sei jedoch essentiell, wenn es um die Kostenerstattung durch die Krankenkassen gehe. Wichtig sei auch, bei der Entwicklung neuer Telematik-Anwendungen die Zielgruppe der Patienten im Auge zu behalten.
Wie die Patienten ticken, zeigt wiederum die PwC-Umfrage: So stimmen 94 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass bei schweren Erkrankungen ein persönlicher Kontakt zwischen Arzt und Patient unverzichtbar sei. Und: Mit zunehmendem Alter wird das direkte Gespräch zwischen Arzt und Patienten offenbar immer wichtiger. „Die Bürger sehen durchaus die Vorteile der Telemedizin – keine Wege, keine Wartezeiten, eine Entlastung der Arztpraxen –, aber sie bewerten telemedizinische Lösungen nicht als Ersatz für die direkte Beratung, sondern als ergänzendes Instrument“, heißt es in der PwC-Studie. Vor allem bei der Diagnose von Krankheiten erhoffe sich jeder Zweite einen Erkenntnisgewinn durch eine stärkere Technologisierung. Nahezu ebenso wichtig sei den Befragten eine bessere Kommunikation zwischen Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen.
Future Health 2018. Bevölkerungsumfrage zur Digitalisierung und Technologisierung im Gesundheitswesen, PwC 2018, 27 Seiten, Download.
Joachim Szecsenyi / Antje Miksch / Ines Baudendistel / Martina Kamradt, Praktisches Handbuch zur Qualitätsentwicklung in der Telemedizin“ – Wie kann ein Telemedizinprojekt nachhaltig gelingen? Universitätsklinikum Heidelberg 2018, 66 Seiten (ISBN 978-3-00-057701-7), Download
Weiterführende Links:
Telemedizin in Schleswig-Holstein
Telemedizin im ländlichen Raum
Telemedizin in Baden-Württemberg
Telemedizin in Mecklenburg-Vorpommern
TeleClinic Plattform
docdirekt
Telederm
Das Informationsportal vesta listet als zentrales unabhängiges Verzeichnis Telemedizin-Projekte und elektronische Anwendungen im Gesundheitswesen. Es löst bis Ende 2018 das bisherige „Deutsche Telemedizinportal“ ab.
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