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Nach der großen Flüchtlingszuwanderung ab Sommer 2015 hatten die Unterbringung und Versorgung von mehr als einer Million Menschen höchste Priorität. Inzwischen geht es nicht mehr um elementare Hilfe, sondern um nachhaltige Integration. Dem Arbeitsmarkt kommt dabei eine ganz besondere Bedeutung zu. Arbeit steht für Ankommen und Traumabewältigung, für Erfolg und Selbstbestimmung. Für die Mehrheitsgesellschaft geht es um sozialen Zusammenhalt, Wirtschaftswachstum und die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme. Wie steht es aktuell um die Arbeitsmarktintegration der Flüchtlinge, um Chancen und ungelöste Aufgaben? Matthias M. Mayer und Joscha Schwarzwälder vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung wagen eine Bestandsaufnahme.
Die meisten Flüchtlinge stehen dem Arbeitsmarkt erst nach und nach zur Verfügung. Bis zum Jahresende 2017 werden 560.000 Erwerbspersonen hinzukommen, schätzt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Zugleich besteht geringe Arbeitslosigkeit und anhaltendes Beschäftigungswachstum. „Generell sind die wirtschaftlichen Voraussetzungen zur Integration der Flüchtlinge damit gut“, urteilen die Wissenschaftler. „Es ist nicht zu befürchten, dass Zuwanderer einheimische Arbeitnehmer verdrängen.“
Dennoch dürfen die Schwierigkeiten der Arbeitsmarktintegration nicht schöngeredet werden. Die Beschäftigungsquoten von Flüchtlingen liegen der Untersuchung zufolge hinter denen der Allgemeinbevölkerung und auch anderer Zuwanderergruppen: „Migranten, die als Flüchtlinge ins Land kommen, haben deutlich seltener einen Job als Arbeitsmigranten.“ Ihr Risiko der Arbeitslosigkeit ist deutlich höher, sie benötigen mehr Zeit, um in Arbeit zu kommen. Nur acht Prozent der vor längerer Zeit nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge fanden im ersten Jahr ihres Aufenthalts eine Beschäftigung, nach fünf Jahren waren es knapp 50 Prozent, nach zehn Jahren 60 Prozent, nach 15 Jahren 70 Prozent. Zudem sind sie oft unterhalb ihres Qualifikationsniveaus beschäftigt.
Viele Hürden erschweren Flüchtlingen den Weg ins Erwerbleben. Neben rechtlichen und administrativen Hemmnissen spielen mangelnde Sprachkenntnisse und Qualifikationen eine große Rolle. Auch an der Schulbildung hapert es: 32 Prozent verfügen über einen weiterführenden Schulabschluss, 22 Prozent über einen mittleren Abschluss, viele Geflüchtete haben keine Schule oder nur eine Grundschule besucht. Nur 19 Prozent der erwachsenen Flüchtlinge können eine Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss nachweisen. „Die große Mehrheit der Flüchtlinge gilt damit in Deutschland als gering qualifiziert oder kommt – ohne weitere Qualifizierung – nur für Helfertätigkeiten in Betracht.“ Entsprechende Stellen sind hierzulande rar.
Damit wird deutlich: Ohne Qualifizierung auf breiter Front läuft nichts, vor allem, wenn mit der Integration zugleich Fachkräftelücken gefüllt werden sollen. In diese Richtung zielen vielfältige Bemühungen und Maßnahmen von Bund, Ländern und Kommunen sowie von Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Während Asylbewerber in früheren Jahren weitgehend mit einem Arbeitsverbot belegt waren und ihre Integration in den Arbeitsmarkt nicht angestrebt wurde, ist Letzteres heute zentrales Ziel der Politik – ein echter Paradigmenwechsel.
Dazu passt, dass Flüchtlinge bereits frühzeitig in beschäftigungsfördernde Maßnahmen einbezogen werden, zum Beispiel Integrationskurse, Praktika, Hilfen zur Arbeitsmarkt- und Berufsorientierung sowie Beratungsangebote für Betriebe.
Dänemark und Schweden verfügen bei der Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen über langjährige Erfahrungen, woraus sich wertvolle Erkenntnisse ergeben. Demnach machen umfangreiche und mehrjährige Sprachkurse nur bedingt fit für den Arbeitsmarkt, eher im Gegenteil. Zielführender ist die Verbindung von Spracherwerb und Arbeitserfahrung. „Im Idealfall sollte die Berufsorientierung bereits parallel zum Spracherwerb erfolgen, etwa durch eine Kombination aus Sprachkurs am Vormittag und einem Praktikum am Nachmittag“, schlagen die Autoren vor.
Kaum werde der Frage nachgegangen, inwieweit die regionale Verteilung der Flüchtlinge ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt beeinflusst, monieren die Autoren. Die Verteilung auf die Bundesländer nach dem Königsteiner Schlüssel zusammen mit der Einschränkung der Bewegungsfreiheit durch die dreijährige Wohnsitzauflage berücksichtige die regionalen Arbeitsmarktbedingungen zu wenig und könne sich daher als kontraproduktiv erweisen. Die Folge: „Flüchtlinge in strukturschwachen (...) Regionen sind damit benachteiligt und können sich schlechter integrieren. “ Auch Sprachkurse und andere Integrationsangebote verteilen sich nicht gleichmäßig über das Land.
Trotz guter Voraussetzungen für die erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt sei langer Atem gefragt, resümieren die Autoren. Das alles erfordere ein „realistisches Erwartungsmanagement“. Der Erfolg hänge wesentlich davon ab, ob es gelinge, Spracherwerb, Bildung und berufliche Qualifizierung mit einem frühen Berufseinstieg zu verbinden. Auch bei den Rahmenbedingungen gibt es einiges zu verbessern, etwa die Beschleunigung der Asylverfahren, die Öffnung der Integrationskurse sowie die Anerkennung informell erworbener Kompetenzen in den Herkunftsländern. „Entscheidend ist aber nicht zuletzt die anhaltende Bereitschaft von Wirtschaft und Zivilgesellschaft, Flüchtlinge als neue Mitarbeiter, Kollegen und Nachbarn aktiv in ihre Mitte aufzunehmen.“
Matthias M. Mayer / Joscha Schwarzwälder, Ankommen auf dem Arbeitsmarkt, in:
Flüchtlinge – zwischen Ankommen und Zusammenleben, Informationen zur Raumentwicklung (IzR), hg. vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Heft 2/2017, Seite 104-113
Die Beiträge der Ausgabe drehen sich um Fragen zum Asylsystem, der Wohnsitzregelung des Ankommens auf dem Arbeitsmarkt ebenso wie um Fremdenangst und das Potenzial ländlicher Räume.
Eine Leseprobe, Kartenmaterial und Hintergrundinformationen zu den Autoren hält das BBSR auf seiner Website www.bbsr.bund.de in der Rubrik „Aktuelle Veröffentlichungen“ bereit.
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