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Deutschland vergreist – Gefahr für den Standort, Wohlstand ade! Die Diskussion um den demografischen Wandel hat in den vergangenen Jahren manches Schreckensbild heraufbeschworen. Sicher, den Kopf in den Sand zu stecken ist keine Option. Doch der Alarmknopf hat erst mal Pause: Bisher konnte Deutschland die Alterung der Gesellschaft durch eine höhere Erwerbsbeteiligung ausgleichen. Eine erfreuliche Entwicklung, die sich von der Öffentlichkeit fast unbemerkt vollzogen hat und den anhaltenden Konjunkturboom befeuert. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) analysiert die Lage, macht aber auch deutlich: Der positive Trend auf dem Arbeitsmarkt wird nicht endlos fortwirken. Politik und Wirtschaft sind gefragt, rechtzeitig gegenzusteuern.
Deutsche Statistiken legen bei der Messung der Erwerbsfähigkeit eine Altersspanne von 15 bis 64 Jahren zugrunde, die internationale Arbeitsorganisation (ILO) bis 74 Jahre. Doch egal, welche Methode man präferiert: Die Zahl der Menschen hierzulande im erwerbsfähigen Alter ist zwischen den Jahren 2000 und 2012 gesunken. „Anschließend kam es zu einem Anstieg, der die vorhergehenden Verluste längst nicht ausgleichen konnte“, schreiben die DIW-Ökonomen Karl Brenke und Marius Clemens. In Deutschland leben heute 62 Millionen erwerbsfähige Menschen zwischen 15 und 74 Jahre.
Ein Grund für diese Entwicklung ist die wachsende Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen. Zwar hat die Erwerbsbeteiligung in den meisten europäischen Ländern zugelegt, in Deutschland jedoch besonders stark. So stieg die Erwerbsquote bei den 55- bis 59-Jährigen von 80 auf 83 Prozent, bei den 60- bis 64-Jährigen von 48 auf 59 Prozent. „Der Anstieg bei den Frauen fiel dabei deutlich stärker aus.“ Kräftige Zuwächse zeigen sich – wenngleich auf niedrigem Niveau – bei Menschen, die das gesetzliche Rentenalter schon erreicht haben: „Das heißt, man arbeitet oftmals weiter, obwohl man eigentlich in Rente gehen könnte.“
Die Zuwanderung wirkt sich ebenfalls auf die Erwerbsbeteiligung aus. Bei EU-Ausländern in Deutschland war sie im Jahr 2016 höher als bei Deutschen. Diese Zuwanderer, oft unter 30 Jahre alt, weisen eine für den Arbeitsmarkt günstige Altersstruktur auf, günstiger noch als bei jungen Deutschen. Anders sieht es bei Zuwanderern aus Nicht-EU-Ländern aus. Hier lag die Erwerbsquote weit unter dem Durchschnitt. Ursachen sind die häufig fehlende Arbeitserlaubnis und das traditionelle Rollenbild, das Frauen vom Arbeitsmarkt fernhält.
Soweit der Rückblick. Wie aber steht es um das künftige Arbeitskräftepotenzial? Die Autoren erwarten eine „erhebliche Zunahme der Herausforderungen“, weil die Babyboomer ins Rentenalter kommen. Dieser Umbruch wird einen deutlichen Rückgang der Arbeitskräfte mit sich bringen. Das belegen fünf Modellrechnungen mit unterschiedlichen Szenarien (z. B. gleichbleibendes Erwerbsverhalten, Anstieg der Erwerbsquote, Wanderungsgewinne). Sogar eine besonders optimistische Variante, die sich an der Schweiz mit ähnlicher Wirtschaftsstruktur und höherer Erwerbsquote orientiert, kommt zum ähnlichen Ergebnis. Die Schlussfolgerung ist eindeutig: „In allen Szenarien schrumpft das Erwerbspersonenpotenzial bis 2040 – es variieren lediglich das Ausmaß und der Zeitpunkt, ab dem es zu einer Abnahme kommt.“
Dieses Fazit nimmt DIW-Forscher Brenke zum Anlass, den Akteuren in Politik und Wirtschaft entschlossenes Handeln zu empfehlen. Zum einen sei die Zuwanderung insbesondere von qualifizierten Menschen mit entsprechend hoher Erwerbsquote erforderlich. Man müsse dafür sorgen, die Politik der Vergangenheit nicht weiter fortzusetzen. „Das heißt, dass wir Humankapital über Frühverrentungsprogramme stilllegen. So etwas sollte man aufgeben; das passt nicht mehr in die Zeit.“ Die Autoren wenden sich ebenso gegen die „Rente mit 63“ als kontraproduktiv und gegen die Förderung der Altersteilzeit bei Steuern und Sozialabgaben.
Diese Positionen des arbeitgebernahen DIW überraschen nicht. Allerdings schweigt sich die Studie darüber aus, was die Unternehmen selbst gegen den von ihnen maßgeblich geförderten Trend zur Frühverrentung tun wollen.
Karl Brenke / Marius Clemens, Steigende Erwerbsbeteiligung wird künftig kaum ausreichen, um den demografischen Wandel in Deutschland zu meistern, in:
DIW-Wochenbericht Nr. 35, 08/2017, hg. von Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Seite 675 bis 685
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