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Ältere Menschen in Deutschland fühlen sich vielfach nicht fit im Umgang mit dem Internet und der digitalen Welt, ergab die kürzlich veröffentlichte Studie „Digital souverän?“ der Bertelsmann Stiftung. Dabei könnten digitale Angebote Älteren dabei helfen, so lange wie möglich selbstbestimmt im eigenen Zuhause zu bleiben. Die Erkenntnis ist nicht neu: Seit Jahren wird zum digitalen Verhalten von Seniorinnen und Senioren geforscht, wurden Leuchtturmprojekte etabliert. Es fehle jedoch immer noch an einem flächendeckenden Angebot, kritisiert Herbert Kubicek, Direktor der Stiftung Digitale Chancen und fordert einen „Masterplan Senioren ans Netz“.
In der Gruppe der über 70-Jährigen hält sich nur etwa jeder Dritte für sicher oder sehr sicher im Umgang mit dem Internet, bei den 60- bis 69-Jährigen sind es 41 Prozent, besagt die Bertelsmann-Studie. Eine intensivere Vermittlung von Know-how sei daher dringend erforderlich. „Dabei bieten digitale Anwendungen gerade der älteren Generation große Chancen: Zum Beispiel, weil sie die notwendigen Dinge des täglichen Lebens online bestellen, wenn sie nicht mehr mobil sind, oder mit der Familie und Freunden per Smartphone kommunizieren können.“ Auch das Institut für Arbeit und Technik (IAT) kommt in seiner aktuellen Publikation „Selbstzweck oder Nutzenstiftung? Digitalisierung im Alter“ zu diesem Schluss: Digitale Kompetenzen im Alter seien kein Selbstzweck, sondern notwendig, um Funktionseinbußen zu kompensieren und digitale Elemente im Alltag bewältigen zu können.
Tatsächlich gibt es bereits eine Reihe von entsprechenden Angeboten: So wurde im März 2019 in Gelsenkirchen der bundesweit erste Digital-Kompass-Standort eröffnet. Ältere Menschen werden dort kostenlos im Umgang mit Handy, Tablet und PC geschult. Der Digital-Kompass ist ein Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (BAGSO) und Deutschland sicher im Netz e.V. in Partnerschaft mit der Verbraucher Initiative. Bis 2021 sollen deutschlandweit 75 Standorte etabliert werden.
Bei der BAGSO ist zudem die Servicestelle „Digitalisierung und Bildung für ältere Menschen“ angesiedelt, die auf der im Mai 2018 online gegangenen Plattform www.wissensdurstig.de Infos und Best-Practice-Modelle zum Thema vorstellt. Zum Beispiel den auf YouTube erschienenen „LernKanal für Ältere“, der diverse Kurzvideos mit Bedienungserklärungen rund um Tablet, PC und Co anbietet. Oder den „Wegweiser durch die digitale Welt für ältere Bürgerinnen und Bürger“ (2017). Die Servicestelle präsentiert außerdem Leuchtturmprojekte in mehreren Bundesländern, die Seniorinnen und Senioren bei der Nutzung digitaler Medien unterstützen sollen. Auch die Bertelsmann Stiftung nennt Projekte und Initiativen wie die Stadtteilbibliothek Köln-Kalk oder die „Versilberer-Partys“ des Vereins Wege aus der Einsamkeit e.V. in Berlin.
Doch so hilfreich eine seniorenorientierte Online-Plattform für den Einstieg in die digitale Welt sein kann – sie ist doch immer erst der zweite Schritt, so das IAT: „Das beste Online-Angebot hilft nicht, wenn es nicht regelmäßig genutzt und aktiv mitgestaltet wird.“ Hauptgrund für die Nichtnutzung sind technisch-strukturelle Barrieren: So gibt es noch immer keine flächendeckende Versorgung mit Breitbandinternet – vor allem in ländlichen Regionen. Und auch Altenheime und Seniorenwohnanlagen sind internettechnisch oft weiße Flecken, kritisiert die Petition „Kostenfreies W-LAN in allen Altenheimen und Seniorenwohnanlagen“.
Ein weiterer Grund für die Nichtnutzung sind unzureichende digitale Kompetenzen, mangelnde Akzeptanz und Sorge um Unkontrollierbarkeit. Dabei stehen Ältere der Technik nicht grundsätzlich skeptisch gegenüber, sondern haben durchaus Interesse an digitalen Angeboten – wie die 2017 veröffentlichte Studie „Digital mobil im Alter – Tablet PCs für Senioren“ der Stiftung Digitale Chancen und Telefónica Deutschland zeigt. Im Rahmen der Studie konnten rund 300 ältere Menschen acht Wochen lang ein Tablet ausprobieren. Am beliebtesten war die E-Mail-Funktion, gefolgt von der Informationssuche nach Fahrplänen öffentlicher Verkehrsmittel. „Viele Ältere sagten, dass digitale Anwendungen für sie nicht brauchbar bzw. zu kompliziert seien. Das hat sich nach acht Wochen Erfahrung mit Tablet PC und Internetnutzung geändert“, so das Fazit.
Unterstützung ist also wichtig – doch wie könnte eine entsprechende Assistenzinfrastruktur aussehen? Informatikprofessor Herbert Kubicek schlägt einen Masterplan Senioren ans Netz vor – mit Leihtablets und Gratisschulungen in Alten- und Pflegeheimen, Internethilfe in Nachbarschaftsinitiativen und Seniorentreffs und Digitalassistenten, die Ältere zu Hause besuchen. Die Autoren der Bertelsmann-Studie sehen vor allem die Kommunen in der Pflicht – gemeinsam mit anderen Akteuren wie sozialen Trägern, Volkshochschulen und Bibliotheken sowie einer engagierten Zivilgesellschaft. Laut IAT sieht sich derzeit jedoch nur etwa die Hälfte aller Kommunen in Deutschland gut auf die Herausforderungen der Digitalisierung vorbereitet – auch wenn der Mehrwert durchaus gesehen wird.
Ein flächendeckendes Angebot ist daher wohl auf Jahre nicht in Sicht. Zeit, in der der demografische Wandel von selbst die Gegebenheiten verändern wird: Denn die heute 65- bis 75-Jährigen haben bereits als junge Erwachsene Erfahrungen mit Technisierung im Alltag gesammelt – anders als die Hochaltrigen. „Die Generationenlücke schließt sich und mittlerweile nutzen auch über 70-Jährige zu 45 Prozent regelmäßig das Internet. Insbesondere dessen mobile Nutzung nimmt bei den älteren Generationen deutlich zu“, heißt es bei Bertelsmann. Zunehmen wird auch der Anteil der Frauen bei der Internetnutzung, stellt die IAT-Studie fest: Ist bei den Hochaltrigen der Männeranteil derzeit noch mehr als doppelt so hoch wie der Frauenanteil, gibt es in der Gruppe der 50-59-Jährigen keine Unterschiede mehr in der Nutzung des Internets.
Julian Stubbe / Samer Schaat / Simone Ehrenberg-Silies, Digital souverän? Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter, Bertelsmann Stiftung 2019, 78 Seiten, Download
Michael Cirkel / Peter Enste, Selbstzweck oder Nutzenstiftung? Digitalisierung im Alter, Forschung aktuell 07/2019, Institut für Arbeit und Technik, 18 Seiten, Download
Studie „Digital mobil im Alter“. So nutzen Senioren das Internet – Zentrale Befunde einer Studie, Stiftung Digitale Chancen und Telefonica Deutschland, 2017, 47 Seiten
www.digital-mobil-im-alter.de
BAGSO-Projekt Servicestelle Digitalisierung und Bildung für Ältere
Internetportal der BAGSO für Bildungsveranstaltungen:
www.wissensdurstig.de
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