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Altenheime, Pflegedienste und Kliniken suchen verzweifelt nach Pflegekräften, viele geflüchtete Menschen nach einem Berufseinstieg – die ideale Win-win-Situation? Pflegeunternehmen können ihren Personalnotstand durch die Einstellung von Geflüchteten abmildern, ist Christopher Schmidt vom Institut Arbeit und Technik (IAT) überzeugt. Allerdings ist diese Strategie kein Selbstläufer, wovon vor allem kleinere Einrichtungen ein Lied zu singen wissen. In seiner aktuellen Studie nennt der Arbeitsmarktexperte Hindernisse und Wegbereiter erfolgreicher Integration. Und warnt vor der Fixierung auf schnelle Lösungen: „Eine reine Qualifikations- und Zertifikatsorientierung greift zu kurz.“
Vorliegende Untersuchung basiert auf dem IAT-Projekt „SELMA – Selektivität und Mehrdeutigkeiten in Arbeitskulturen“ (2017/18) zur Integration Geflüchteter in den deutschen Arbeitsmarkt. Dort stehen die Pflege-, Handwerks- und IT-Branche im Fokus. Die folgenden Ergebnisse und Handlungsempfehlungen leiten sich aus Interviews mit Führungskräften der Pflegewirtschaft sowie angestellten und in der Ausbildung stehenden Geflüchteten ab.
Personalkräftebedarf und Pflegenotstand sind die Hauptgründe der befragten Unternehmen, Geflüchtete einzustellen oder es zu wollen. Ihr Ausbildungsangebot verbinden sie häufig mit der Hoffnung, Loyalität und Verbundenheit zum eigenen Haus zu schaffen. Auch die soziale und christliche Motivation, unterstützungsbedürftigen Menschen eine Chance zu geben, spielt eine Rolle.
Manche Geflüchteten wiederum möchten dem Unternehmen etwas zurückzugeben, was sie durch Lerneifer, Empathie und Disziplin unterstreichen. Häufig gilt ihnen die Pflege als Sprungbrett für das Medizinstudium, um an ihre bereits im Heimatland erworbenen Bildungsabschlüsse anzuknüpfen.
Insgesamt betrachten viele Befragte die Beschäftigung von geflüchteten Menschen als Bereicherung der interkulturellen Kompetenz der Belegschaft, ein Vorzug, der angesichts der zunehmenden kulturellen Heterogenität auch unter Pflegebedürftigen künftig mehr nachgefragt werden dürfte.
Wie nicht anders zu erwarten, zeigt die Befragung ein unterschiedliches Vorgehen kleiner und großer Unternehmen bei der Einstellung Geflüchteter. Kleinen Einrichtungen fehlen dafür größere personelle, finanzielle und zeitliche Ressourcen, größere Betriebe gehen diese Aufgabe eher mit Hilfe von eigens zuständigen Verantwortlichen oder Projektgruppen an und arbeiten auch mit Integrationsbeauftragten und Sozialarbeitern zusammen. Kleine Betriebe haben dennoch nicht weniger Chancen, sie müssen die Sache nur anders angehen, zeigt die Praxis: „Die Integration von Geflüchteten gelingt dort insbesondere durch eine ehrenamtliche Bereitschaft von Beschäftigten und Privatpersonen sowie durch Spendengelder, die es ermöglichen, nötige Vorkehrungen für einen gelungenen Einstieg, wie beispielsweise Sprachkurse, zu organisieren.“
Wie lernen sich interessierte Unternehmen und Geflüchtete kennen? Zunächst durch ehrenamtliche Organisationen, arbeitsmarktorientierte Initiativen wie das „Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ oder schlichtweg durch Mundpropaganda über Beispiele erfolgreichen Matchings. Häufig richten sich die Kontaktaktivitäten an Integrationscenter, Arbeitsagenturen und Jobcenter. Allerdings werde man bei diesen Behörden manchmal schon auf der Sachbearbeiterebene abgewiesen: Weil Geflüchtete keine institutionalisierte Pflegearbeit aus ihren Heimatländern kennen, sei das folglich kein für sie geeignetes Berufsfeld, so die wenig hilfreiche Begründung. Hier rät die Studie zu „Arbeitgeber-Castings“ und Basiskursen, zu Hospitationen und Praktika, um Interessenten den Pflegealltag und das deutsche Pflegesystem nahe zu bringen.
Bei niedrigen Anforderungen an die Bewerber, etwa um einen akuten Personalmangel zu beheben, seien vorzeitige Abbrüche und Enttäuschungen auf beiden Seiten programmiert, warnen die befragten Pflegepraktiker. „Um die Ausbildung erfolgreich zu absolvieren, zeigte sich, dass Geflüchtete die Sprache lernen, ein bestimmtes Bildungsniveau haben und sehr motiviert sein müssen.“ Der Wohnsitz solle nicht allzu weit vom Arbeitsplatz entfernt liegen bzw. mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein, um Verspätungen und Vorurteilen („Geflüchtete kommen zu spät“) vorzubeugen.
Den Arbeitgebern brennt die häufige Ungewissheit von Bleibeperspektive, Flüchtlingsstatus und Arbeitserlaubnis ihrer Mitarbeiter auf den Nägeln. Lange administrative Vorgänge und dysfunktionale Entscheidungen lassen sie vom „Verwaltungswahnsinnn“ sprechen und von dem „Gefühl, etwas Widerrechtliches zu tun“. Hier ist guter Rat nicht selten teuer: Erste praktische Abhilfe kann der Erfahrungsaustausch von Betroffenen aus der Branche bringen.
„Das Team vor Ort spielt eine große Rolle, um Leute für diesen Beruf zu erwärmen, zu begeistern oder abzuschrecken“, drückte es die befragte Projektleitung einer Altenpflegeschule aus. Ein typisches Problem ist laut Studie die Umdeutung von sprachlichen Kommunikationsproblemen zu Führungskonflikten. Gemeint sind strikte Anweisungen „von oben herab“, weil eine sachbezogene Problemlösung wegen mangelnder Sprachkenntnisse unterbleibt. Das sorge für Unmut.
Die neue generalistische Pflegeausbildung und das Pflegeberufegesetz lassen die zeitlichen und finanziellen Ressourcen für die Integration von Geflüchteten eher schrumpfen, äußern sich die Interviewpartner aus den Pflegeeinrichtungen kritisch. Insgesamt kommt die Studie zu dem Schluss, dass die Integration geflüchteter Menschen kein Wundermittel gegen den Personalmangel in der Pflege sei, was übrigens auch für die Anwerbung von Fach- und Führungskräften im Ausland gilt. Sie könne aber zur Milderung des personellen Engpasses beitragen, vor allem, wenn sich die Behörden stärker in eine gedeihliche Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern einbrächten und kleine Unternehmen bei der Einarbeitung und Begleitung der Geflüchteten auf ihrem Weg in den Pflegealltag unterstützten.
Christopher Schmidt, Integration von Geflüchteten in die Pflege – Erfahrungen aus der Praxis, Forschung Aktuell 5/2019, hg. von IAT, Gelsenkirchen 2018, 14 Seiten, Download
Siehe zum Thema auch BFS-Trendinfo 4/19:
Pflege
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