Suche
Ein Gespenst geht um, nicht nur in Europa: das Gespenst des Populismus. Brexit, Trump, Orbán, AfD – noch nie schlug der Begriff solche Wellen wie in diesen Tagen. Meist abwertend benutzt und oft Anlass für politischen Streit. Ist der Populist ein Politiker, der Unzufriedenheit, Ängste und Konflikte schürt, um fette Wähler-Beute zu machen? Oder jemand, der einfach nur Stimmungen in der Bevölkerung einfängt? Könnte es sein, dass immer nur die Anderen populistisch sind? Pünktlich zur Bundestagswahl am 24. September präsentiert die Bertelsmann Stiftung eine Studie zum Thema.
Darin geht es nicht um Politiker und Parteien, sondern um die Bürger. Die Publikation untersucht, wie populistisch die Wahlberechtigten hierzulande eingestellt sind und welche Auswirkungen das auf die anstehende Wahl hat. Drei repräsentative Umfragen zwischen 2015 und 2017 mit jeweils mehr als 1.600 Wahlberechtigten liefern die empirische Basis. Als populistisch gilt in der Studie, wer sich zu acht im Fragebogen vorgegebenen Thesen bekennt. Eine Kostprobe: „Die Bürger sind sich oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele“; „Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden“; „Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht“.
Den Thesen ist gemein, dass sie für Volkssouveränität werben, sich gegen das Establishment richten und eine anti-pluralistische Stoßrichtung haben. Damit folgt der Populismus, wie die Autoren ihn definieren, folgenden Ideen:
Populistische Einstellungen sind der Studie zufolge in Deutschland weit verbreitet, sie artikulieren sich aber nicht als radikale Systemkritik. Knapp 30 Prozent der Wahlberechtigten (29,2 %) äußern eine populistische Einstellung, doch jeweils mehr als ein Drittel lehnt solche Positionen ab (36,9 %) oder stimmt ihnen nur teilweise zu (33,9 %). Eindeutig ist der Zusammenhang von Populismus und Bildung: Je niedriger Bildungsstand und Einkommen, desto größer der Anteil populistisch urteilender Wahlbürger. Personen mit maximal Hauptschulabschluss und einem Einkommen von weniger als 1.500 Euro pro Monat zeigen die höchsten Zustimmungswerte zu populistischen Aussagen.
Der Populismus entzieht sich dem klassischen Rechts-Links-Schema. Mehr als ein Drittel der populistisch eingestellten Wähler (11,2 %) ordnet sich selbst in der politischen Mitte ein. „Anteilig sind Menschen mit rechten politischen Einstellungen jedoch häufiger populistisch eingestellt als Menschen aus dem linken Teil des Spektrums oder aus der politischen Mitte“, schreiben die Studienautoren.
Der Populismus in Deutschland äußert sich vergleichsweise moderat. Die Befragten bekennen sich mehrheitlich zu Demokratie (85 %) und EU (69 %), kritisieren jedoch, dass die Demokratie nicht richtig funktioniere (52 %) und die EU-Integration zu weit gegangen sei (79 %). „Die meisten Populisten in Deutschland sind keine Feinde der Demokratie, sondern enttäuschte Demokraten.“
Aus dieser Erkenntnis schlussfolgert die Studie: Eine Zuspitzung populistischer Positionen finde keine Zustimmung beim Wähler, Slogans wie der Ruf nach „Entmachtung der Eliten“ wirke sich sogar nachteilig auf die Chancen der Kandidaten aus. Anders verhalte es sich bei den Positionen „mehr Europa“, „mehr Umverteilung“ und „weniger Flüchtlinge“. Damit könne man beim Wähler am besten landen. Kaum hingegen mit Themen wie Umweltschutz, Wirtschaftspolitik und Globalisierung.
Die Flüchtlingspolitik ist gemäß der Befragung auch in diesem Jahr wahlentscheidend, ergibt aber ein differenziertes Mobilisierungspotenzial. Die Wähler von CDU/CSU, SPD, FDP, Grünen und Linken sprechen sich zwar gegen die Aufnahme „sehr vieler Flüchtlinge“ aus, eine Wahlaussage nach weiterer Beschränkung der derzeit moderaten Aufnahme oder nach der Abschiebung von Flüchtlingen beschert diesen Parteien aber keinen zusätzlichen Zuspruch. „Die Übernahme rechtspopulistischer Abschiebeforderungen würde also die eigene Wählerschaft der CDU/CSU ebenso wenig binden wie die der SPD“, stellt die Studie fest. Ganz anders sieht es für die AfD aus. Mit ihrer restriktiven Flüchtlingsprogrammatik kann sie als einzige Partei ihre Wählerschaft gezielt mobilisieren.
Bei der CDU/CSU haben die nicht populistischen Wähler einen Anteil von bis zu 60 Prozent. Weniger als 20 Prozent der Populisten würden die Union wählen. Bei der SPD sind beide Lager annähernd gleich stark. Die AfD sei hingegen eine eindeutig rechtspopulistische Partei, urteilen die Autoren. 60 Prozent ihrer Wähler stammten aus dem extrem rechtspopulistischen Segment. „Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal und das entspricht ihrem Programm und ihren Kandidaten.“
Alles halb so wild bei den grundvernünftigen Deutschen? Eine kritische Diskussion der Studie sollte zum einen die acht Thesen aufs Korn nehmen: Ist das Plädoyer etwa für Volksabstimmungen oder die Feststellung von Bürgerferne der Politik wirklich schon ein markanter Populismusindikator oder nicht eher ein Impuls für mehr Partizipation?
Einen weiteren Kritikpunkt äußert Parteienforscher Prof. Oliver Treib von der Universität Münster. Er hält das Fazit der Studie für zu optimistisch, wie er in der Rhein-Neckar-Zeitung begründet: „Die Studie unterschätzt nach meiner Einschätzung das Potenzial der Menschen mit populistischen Ansichten. Ich denke, dass es mehr als ein Drittel sind, wie in der Studie angegeben. Wir kommen aber leider an bestimmte Gruppen nicht heran.“ Genau hier lauern denn auch methodische Fallstricke der Studie: Menschen mit kaum salonfähigen Meinungen nehmen an solchen Studien meist nicht teil.
Robert Vehrkamp / Christopher Wratil, Die Stunde der Populisten? Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017, Bertelsmann Stiftung, Juni 2017, 79 Seiten.
Gesundheit
Reha-Roboter hilft heilen: Zora rockt die Kinderklinik
Pflege
Kleines „e“ mit großer Wirkung: Neue Technologien in der Pflege
Digitalisierung
Selbstbestimmt im Alter: Weg mit der digitalen Lücke!
Integration
Zukunft im Quartier: Teilhabe statt Polarisierung
Bildung
Stiftung Aktive Bürgerschaft: Engagement macht Schule
Kinder- und Jugendhilfe
Beim Nachwuchs hört die Trennung auf
Gesellschaft
Populismus: Wie anfällig sind die Deutschen?
Buchempfehlung
Martin Grunwald: Homo Hapticus. Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail