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Bürger der EU-Länder blicken mehrheitlich optimistisch in die eigene Zukunft, die künftige Entwicklung ihres Landes hingegen beurteilen sie grau bis schwarz. Sie haben also mehr Vertrauen in das persönliche Wohlergehen als in die Prosperität von Staat und Gesellschaft. Diese Diskrepanz zieht sich durch alle Länder, sozialen Gruppen und Altersstufen. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung spricht vom „Optimismus-Paradox“. Wie erklärt sich dieser Widerspruch, welchen Einfluss hat er auf das politische Verhalten?
Für die Studie wurden Ende 2019 repräsentativ knapp 13.000 EU-Bürger befragt. Wie schon bei vorherigen Bertelsmann-Analysen zu Globalisierung, Populismus und Europäischer Union geht es auch hier um die Erforschung sozialpsychologischer Grundhaltungen in der EU-Bevölkerung. Das Optimismus-Paradox erklären die Autorinnen mit Bezug auf die „Risikogesellschaft“, ein Begriff des Sozialwissenschaftlers Ulrich Beck (1944-2015).
Vor dem Hintergrund des tiefgreifenden sozialen Wandels, der rasanten technologischen Entwicklung und der Globalisierung zeichnen sich Risikogesellschaften demnach durch eine wachsende Sorge um ihre eigene Zukunft aus – Risiken, Unsicherheit und Verlustängste prägen den öffentlichen Diskurs. Die Kluft zwischen einer optimistisch beurteilten persönlichen Situation und dem pessimistisch gezeichneten Bild einer abstiegsgefährdeten Gesellschaft könnte der Studie zufolge aus einem Gefühl der Ohnmacht angesichts komplexer Entwicklungen außerhalb des eigenen Alltags rühren.
Bestimmender Trend der Umfrage ist die Tendenz, der eigenen Kraft mehr zu vertrauen als der Gesellschaft. Einige Ergebnisse:
Die Autorinnen sehen einen zweifachen Zusammenhang zwischen der Befragung und der danach einsetzenden Corona-Krise. Zunächst gehen die aktuellen wirtschaftlichen Probleme mit erheblich gedämpften Zukunftsaussichten für das eigene Land einher.
Überdies bilden das Optimismus-Paradox und die anhaltende Pandemie ein riskantes Spannungsfeld, meinen die Autorinnen. Der anfänglich breite Konsens in der Corona-Politik sei vorüber. Stattdessen könnten großer persönlicher Optimismus („Mir wird schon nichts passieren“) und geringes Vertrauen in die Gestaltungskraft der Politik einen sorglosen Umgang mit den Verhaltensregeln in der Pandemie sowie Proteste gegen die politisch verordneten Krisenmaßnahmen befeuern, fürchten sie. „Auch eine Schwächung in den Glauben an die gemeinschaftliche Kraft im Angesicht dieser Gesundheits-Krise ist zu erwarten.“
Regierungen stehen vor der schwierigen Aufgabe, die Bürger durch eine transparente, argumentativ überzeugende Politik mit auf den Weg durch die Krise zu nehmen. Dazu gehöre, das überzogene Vertrauen der Menschen in ihre eigene Widerstandskraft direkt anzusprechen und zugleich die wichtige Rolle der Bürger beim Schutz der Gesellschaft zu betonen. Es gelte, die Handlungsfähigkeit des Staates hervorzuheben und jede einzelne Maßnahme zu begründen. „Sobald wir die gegenwärtige Krise überstanden haben werden, lässt sich aus diesen Erfahrungen vielleicht eine Strategie gegen den Verlust an Vertrauen und Glaubwürdigkeit ableiten, den Politiker seit vielen Jahren erleben“, hoffen die Wissenschaftlerinnen.
Catherine E. de Vries / Isabell Hoffmann, Das Optimismus-Paradox. Individuelle Selbstgefälligkeit versus gesellschaftlicher Pessimismus,
hg. v. Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh 2020, 36 Seiten
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