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Jeder achte Pflegebedürftige in Deutschland (12,2 %) kann seine Pflegekosten nicht selbst aufbringen und ist auf die Sozialleistung „Hilfe zur Pflege“ angewiesen. Das geht aus einer Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW) hervor. Danach hat sich der Anteil der Hilfe-Empfänger unter den Pflegebedürftigen in den letzten Jahren zwar nicht wesentlich verändert. Gestiegen ist jedoch die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt: von rund zwei Millionen im Jahr 2003 auf 2,95 Millionen in 2016.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Ausgaben für die Hilfe zur Pflege immer mehr steigen: Gaben die Sozialhilfeträger 2003 bundesweit rund drei Milliarden Euro dafür aus, waren es 2016 bereits 4,3 Milliarden Euro. Eine zunehmende Herausforderung für die Träger der Sozialhilfe, der vor allem auf regionaler Ebene begegnet werden müsse, so Studienautorin Susanna Kochskämper. Die Hilfe zur Pflege springt dann ein, wenn Pflegebedürftige oder deren unterhaltspflichtige Angehörige die Pflegekosten nicht selbst finanzieren können.
Zwar deckt die Pflegeversicherung einen Teil der Pflegekosten ab, aber eben längst nicht alles: Derzeit müssen Pflegebedürftige in Heimen im bundesweiten Durchschnitt rund 1.300 Euro pro Monat zuzahlen, in der häuslichen Pflege je nach Pflegegrad zwischen 169 und 540 Euro. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (2013) leben rund 71 Prozent der Hilfe-Empfänger in Heimen, 78 Prozent sind älter als 65 Jahre und rund zwei Drittel weiblich.
Besonders prekär ist die Lage in Städten: In Metropolen wie Berlin, Frankfurt am Main, Essen und Hamburg ist rund jeder vierte Pflegebedürftige auf Hilfe zur Pflege angewiesen, in Lübeck sind es sogar 29 Prozent. Das kann zum einen daran liegen, dass die Pflegebedürftigen in den Städten seltener durch Familienangehörige versorgt werden als in ländlichen Regionen; eine andere Vermutung ist, dass die Pflege in Metropolregionen oft besonders teuer ist und die Betroffenen deshalb häufiger auf staatliche Hilfe angewiesen sind.
Unterschiede gibt es nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen den einzelnen Bundesländern. Das hat vor allem zwei Gründe: Die Pflegekosten sind je nach Bundesland unterschiedlich hoch – so müssen Pflegebedürftige in nordrhein-westfälischen Heimen im Schnitt 2.253 Euro monatlich als Eigenanteil berappen, mehr als doppelt so viel wie Heimbewohner in Sachsen-Anhalt. Zum anderen existieren große Divergenzen bei der Wahl der Pflegeart: So leben beispielsweise in Schleswig-Holstein 37 Prozent aller Pflegebedürftigen in Heimen, in Brandenburg dagegen nur 21 Prozent. In Hessen beziehen rund 53 Prozent Pflegegeld, in Hamburg nur etwa 41 Prozent.
Für die Träger der Hilfe zur Pflege, überwiegend Städte (69 %) und Kommunen, bedeutet dies: Je nach örtlichen Bedingungen und Voraussetzungen müssen eigene Lösungen gefunden werden, um ein weiteres Ansteigen der Sozialhilfeausgaben zu vermeiden, meint Studienautorin Kochskämper. Denn die Zahl der Pflegebedürftigen insgesamt wird weiter steigen: So geht der GKV-Spitzenverband davon aus, dass sie bis Ende dieses Jahres auf rund 3,46 Millionen anwachsen könnte.
Konkrete Handlungsempfehlungen für Kommunen gibt die IW-Studie nicht, empfiehlt lediglich eine „geeignete Pflegeinfrastruktur und eine generelle Gesundheitsstrategie“. Exemplarisch wird die Management-GmbH „Gesundes Kinzigtal“ im Schwarzwald genannt.* Sie wurde 2005 mit dem Ziel gegründet, die Gesundheitsversorgung vor Ort zu verbessern. Kommunen sollten „verstärkt Angehörige, Ehrenamtliche und professionelle Dienste einbinden“, so Kochskämper. Dabei dürften die Pflegesätze – die Preise für Pflegeleistungen – nicht zu niedrig gehalten werden, sonst drohten quantitative und qualitative Defizite in der professionellen Pflege.
Der aktuellen Entwicklung zufolge – von der Studie noch nicht erfasst – plant Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Sofortprogramm Pflege. Unter anderem sollen in den Heimen 13.000 neue Stellen für Pflegekräfte geschaffen werden. Sozialverbände wie der VdK und die Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen e.V. (BIVA) begrüßen das zwar grundsätzlich, warnen aber zugleich davor, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen wegen der dadurch entstehenden Mehrkosten weiter steigen könnte.
Experten denken daher darüber nach, ob der Teilkasko-Charakter der Pflegeversicherung noch richtig ist, wie bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages im April deutlich wurde. Der neue Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, fordert gar eine Vollversicherung in der Pflege. Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat kürzlich vorgeschlagen, dass die Pflegeversicherung künftig grundsätzlich mindestens 85 Prozent der Kosten übernehmen soll und der Eigenanteil der Pflegebedürftigen damit auf 15 Prozent gedeckelt wird.
Klar ist in jedem Fall: Die Pflegeversicherung braucht mehr Geld. Bundesgesundheitsminister Spahn hat angekündigt, dass die Beiträge zur Pflegeversicherung ab dem 1. Januar 2019 steigen.
*Dahinter steht die OptiMedis AG, im Selbstverständnis ein „Partner für regionale Integrierte Versorgung“. Gemeinsam mit regionalen Ärztenetzen baut dieser Anbieter Strukturen auf, in denen Ärzte, Therapeuten, Krankenhäuser, Apotheken und weitere Partner in einem Verbund zusammenarbeiten. Das „Gesunde Kinzigtal" war ihr erstes Projekt. Anfang 2017 folgten zwei Stadtteile in Hamburg, ganz aktuell ist ein Projekt im Landkreis Werra-Meißner an den Start gegangen.
Susanna Kochskämper, Wo Pflegebedürftige häufig Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Hilfe zur Pflege in den einzelnen Regionen, in: IW-Report 23/18, Institut der Deutschen Wirtschaft, Juni 2018, 19 Seiten
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