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Ja, es gibt ihn noch – den Acht-Stundentag mit geregelter Arbeitswoche. Doch er wirkt zunehmend wie ein Relikt aus der guten alten Zeit, zusammen mit Stechuhr und Stempelkarte. Längst bieten Unternehmen im Kampf um rare Fachkräfte flexible Zeit-Arrangements wie Gleitzeit, Teilzeit und Home Office an. Sozialer Schmierstoff solcher Regelungen ist das Vertrauen aller Beteiligten in wechselseitige Leistungsbereitschaft und Verlässlichkeit. Doch Vertrauen bedeutet noch mehr, arbeitet eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) heraus: Es fördert die Produktivität und kann sogar ein Wettbewerbsvorteil sein.
Manche Chefs befürchten, durch Home Office & Co. an Kontrolle über Mitarbeiter und Arbeitsprozesse zu verlieren. Dagegen erfordert der digitale Wandel der Arbeitswelt den in hohem Maße eigenverantwortlichen Mitarbeiter. Steigende Regulierungsauflagen und innerbetriebliches Compliance-Management wiederum stärken gegenläufige Tendenzen des Kontrolldrucks und erschweren eine wertebasierte Unternehmenskultur. In dieser Gemengelage gilt es, Vertrauen und Vertrauensbildung als wertvolles Sozialkapital zu fördern, führt die IW-Studie aus.
Vertrauen bildet die Grundlage zahlreicher sozialer und ökonomischer Interaktionen, erleichtert zwischenmenschliche Beziehungen durch emotionale Stabilität, verringert Transaktionskosten und reduziert komplexe Betriebsabläufe, fassen die IW-Autoren zusammen. Doch was sagt der Homo oeconomicus dazu, die nüchterne Grundannahme vom eigennützigen Menschen? Wird ihn der Egoismus nicht viel eher auf seinen persönlichen Vorteil lenken als auf die schwankende Brücke des Vertrauens zu Vorgesetzen und Kollegen?
An dieser Stelle greift die Studie auf Daten des sozioökonomischen Panels (SOEP, 2014) zurück. Daraus ergibt sich ein negativer Zusammenhang zwischen Kontrollen und Arbeitszufriedenheit: Bei strengen Regulierungen und Kontrollen haben 32 Prozent der Beschäftigten Konflikte mit ihrem Vorgesetzten, ohne Kontrollen sind es nur 13 Prozent. Die Autoren deuten diesen Befund „als einen sich selbstverstärkenden Zirkel aus Kontrollen, Konflikten, Misstrauen, Unzufriedenheit und Leistungsdefiziten.“ Das bedeutet auch, dass Menschen nicht ausschließlich ökonomisch motiviert handeln, sondern sich durchaus auch an das Fairnessprinzip halten.
Anschließend kontert die Studie die verbreitete These, wonach Kontrollen zu einer besseren und schnelleren Erledigung der Arbeit führen. Demnach zeigen Zahlen des European Working Conditions Survey (2017), dass nur bei zwei Prozent der Arbeitnehmer das Arbeitstempo von der direkte Kontrolle des Chefs abhängt. Weitaus wichtigere Antriebsfaktoren sind die Arbeitshaltung von Kollegen (35 %), Anforderungen der Kunden (26 %) und vorgegebene Produktions- und Leistungsziele (18 %). „Ein leistungssteigernder Effekt auf das Arbeitstempo der Mitarbeiter durch Kontrollen der Führungskraft ist somit nicht zu erwarten“, resümiert die IW-Untersuchung.
Weitere Vorteile einer Vertrauens- gegenüber einer Kontrollkultur sehen die IW-Autoren durch Studien belegt, wonach Vertrauen kooperatives Verhalten, Offenheit und Ehrlichkeit fördert sowie Kreativität und Lernbereitschaft verbessert. Diese Charakteristika begünstigen persönliche Entfaltungs- und Gestaltungsspielräume, die zur Sicherung der Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit immer wichtiger werden, stellt die Studie fest. Das gilt vor allem für stark digital getriebene Unternehmen.
Wie gelingt es Unternehmen, den Prozess aus Kontrollen und Misstrauen zu durchbrechen, um eine Vertrauenskultur mit den genannten Vorteilen zu etablieren? Die Studie setzt auf das Wirken und Vorbild von Nachwuchskräften – offenbar, weil sie besonders lernfähig und offen für Neuerungen sind. Basis der Erkenntnisse ist eine Umfrage zu den sozialen Präferenzen unter 282 Studierenden und Promovierenden aller Fachrichtungen zwischen 20 und 35 Jahren sowie weitere wissenschaftliche Publikationen. Das Ergebnis: Auch hier macht der Homo oeconomicus keine gute Figur. Die getesteten Personen erwiesen sich als vertrauensvoll und vertrauenswürdig, zeigten sich kooperationswillig und bereit, Geld, Informationen und Güter mit anderen zu teilen. Die IW-Studie leitet daraus die Empfehlung ab, vermehrt Führungskräfte und Mitarbeiter einzustellen, „die neben fachlicher Expertise vor allem die nötigen sozialen und persönlichen Eigenschaften mitbringen.“ Zur Personalpolitik gehöre auch, „extreme Egoisten“ zu bändigen.
Das berühmte Lenin-Zitat „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ glauben die IW-Verhaltensökonomen widerlegt zu haben. Dennoch räumen sie ein, dass Vertrauenskultur ein Prozess sei, der immer wieder hinterfragt und mit vertrauensbildenden Impulsen auf Führungs-, Mitarbeiter- und Teamebene gestärkt werden müsse. Und selbst dann ist der Erfolg kein Selbstläufer: Das Modell flexibler Arbeitszeiten könne nur mit Mitarbeitern funktionieren, „die sich sozial verhalten, und Kooperationsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit in ein Unternehmen einbringen“. Überdies gestehen die Autoren zu, dass Kontrollen nicht per se negativ seien. Frei übersetzt: Der Ton macht die Musik. Eine wertschätzende Kontrolle durch die Führungskraft – zum Beispiel durch Vorbildwirkung, persönliche Rücksprache oder kooperationsfördernde Anreize – könne regelkonformes Verhalten fördern, ohne gleich direkte Kontrolle auszuüben.
Dominik Enste / Mara Grunewald / Louisa Kürten: Neue experimentelle und verhaltensökonomische Ergebnisse – Vertrauenskultur als Wettbewerbsvorteil in digitalen Zeiten, IW-Trends 2/2018, hg. von Institut der Deutschen Wirtschaft, Köln 2018, 22 Seiten
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