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Viele Kommunen zwischen Rügen und Erzgebirge stemmen sich seit 30 Jahren gegen den Strudel unbewältigter Strukturbrüche und Krisen. Wirtschaftliche Talfahrt, Bevölkerungsschwund und klamme Kassen bestimmen ihren Alltag. Einigen aber ist die Kehrtwende gelungen. Von ihnen berichtet die neue Studie des Berlin-Instituts. Diese Städte und Gemeinden sahen sich mit dem Rücken zur Wand, Erfolgsrezepte gab es nicht. „Wir haben einfach gemacht“, lautete die Devise. Was haben diese Kommunen richtig gemacht – und sind sie jetzt besonders krisenfest? Die Antworten haben bereits bundesweit Nachahmer gefunden.
Die Studie untersucht beispielhaft zwölf über Ostdeutschland verteilte kleine bis mittelgroße Kommunen. Die Wissenschaftler*innen befragten Bürgermeister*innen, Gemeinde- und Stadtratsmitglieder sowie Verantwortliche aus Vereinen, Hochschulen und Unternehmen. „Wir wollten wissen, wie die Erfahrungen der Nachwendejahre und der Umgang mit wiederkehrenden Umbrüchen sie geprägt haben und welche Ansätze und Lösungen für ihre Kommunen daraus entstanden sind“, umreißen sie die Leitidee der Untersuchung.
Geradezu mustergültig zeigen die Verantwortlichen in Wittenberge, wie wichtig die Offenheit für neue Ideen ist. Die brandenburgische Kleinstadt (heute ca. 17.000 Einwohner*innen), zu DDR-Zeiten ein bedeutender Industriestandort, durchlebte nach der Wende einen rasanten Niedergang. Mittlerweile ist sie dabei, sich mit Hilfe eines staatlichen Entwicklungskonzepts und neuer Firmenansiedlungen aus dem Tal der Tränen herauszuarbeiten. Zum regelrechten Leuchtturmprojekt entwickelte sich der 2019 ausgerufene „Summer of Pioneers“. 20 urbane Digitalarbeiterinnen und -arbeiter waren eingeladen, einige Monate auf Probe in Wittenberge zu leben und sich im bereitgestellten Co-Working Space einzurichten, erläuterte Bürgermeister Oliver Hermann. Das Ergebnis: Die Pioniere brachten digitales Know-how in die Stadt, gründeten Start-ups und riefen das Netzwerk „elblandwerker“ ins Leben, das weitere Städter für Wittenberge gewinnen will.
Das Beispiel Wittenberge mache deutlich, dass auch kleine Städte und ländliche Orte Chancen haben, innovative Unternehmen wissensbasierter Branchen zu gewinnen, loben die Studienautor*innen. Zumal der „Summer of Pioneers“ zum Exportschlager wurde. „Fast der Hälfte der Projektteilnehmer gefiel es in Wittenberge so gut, dass sie ihren Aufenthalt verlängern oder sogar ein zweites Standbein in der Stadt aufbauen wollten“, berichtet Susanne Dähner vom Berlin-Institut. „Mittlerweile wurde das Projekt in Nordrhein-Westfalen, in Nordhessen und im Süden des Schwarzwalds übernommen.“
Die Recherchen ergaben eine große Bandbreite der Herangehensweisen in den Kommunen. So setzt das Dorf Nebelschütz im sächsischen Landkreis Bautzen auf ein stringentes Umwelt- und Klimaschutzkonzept. Herzstück ist ein Öko-Konto nach dem Prinzip des Handels mit CO2-Emissionszertifikaten: Unternehmen und Investoren müssen bei Eingriffen in Natur und Landschaft auf Kompensationsmaßnahmen wie Streuobstwiesen, Hecken oder die Renaturierung vormals trockengelegter Feuchtgebiete einzahlen. Für die Gemeinde ein dreifacher Gewinn: Das System bringt Geld in die Kasse, schützt die Natur und versorgt die Bürger*innen mit lokal erzeugten Lebensmitteln. Die Kleinstadt Stendal in Sachsen-Anhalt baut auf bürgerschaftliches Engagement. Nachbarschafts-Netzwerk, Freiwilligenagentur Begegnungszentrum sowie eine Tagesstätte für Demenzkranke stiften Lebensqualität und Gemeinsinn. Die örtliche Wirtschaft habe sich stabilisiert und die Geburtenzahlen stiegen wieder an, vermeldete Bürgermeister Klaus Schmotz. Auch in Herzberg (Brandenburg) tut sich Gutes. Der Erhalt mehrerer Schulen mit großem Einzugsgebiet sorgt für eine intakte kommunale Infrastruktur, außerdem erprobt die Kleinstadt moderne Bürgerbeteiligung mittels einer Online-Plattform.
Die Lösungen der ostdeutschen Kommunen für ihre Probleme waren bzw. sind nicht spezifisch ostdeutsch. Mit einem großen Vorteil, urteilen die Studienautor*innen: „Dieses Wissen kann für lokale Akteure in Ost wie West nützlich sein, wenn sie aktuelle und auch zukünftige Herausforderungen bewerkstelligen müssen.“ Einige Empfehlungen aus dem Fundus der Fallbeispiele:
Von anderen lernen: „Für die meisten Probleme gibt es schon Lösungsbeispiele, da wäre es Quatsch zu sagen, jetzt erfinde ich das Rad neu“, sagte Bürgermeister Karsten Eule-Prütz aus Herzberg frei heraus. Tatsächlich spielt das Abschauen guter Lösungen in anderen Kommunen eine große Rolle für die befragten Verantwortlichen. Modellprogramme und Wettbewerbe sind gute Gelegenheiten für Wissens- und Erfahrungstransfer.
Offen für Neues von außen sein: Das wachsende Interesse am Landleben und die Digitalisierung der Arbeitswelt bringen Zuzügler mit bislang unbekannten Vorstellungen in die Gemeinden. „Kommunen sollten dieses Potenzial nutzen und die neuen Akteure einbinden“, so die Empfehlung.
Ehrenamt fördern:Gerade Kommunen mit geringem Etat sollten das Engagement ihrer Bürger*innen unterstützen, zum Beispiel, indem sie ihnen helfen, Fördermöglichkeiten zu finden.
Verstärkung holen: Kleinere Kommunen können sich zusätzliche Ressourcen erschließen, indem sie sich Partner*innen aus Zivilgesellschaft, Universitäten und Wirtschaft suchen. Außerdem sollten sie größere Projekte möglichst gemeinsam mit anderen Kommunen angehen. Dies gilt auch für die Krisenvorsorge hinsichtlich der Corona-Pandemie, des demografischen Wandels und der Erderwärmung.
Eigene Einnahmen generieren:Vor allem in abgelegenen Gebieten wird es kaum gelingen, große Unternehmen anzusiedeln, die mit ihren Steuern die Stadtkasse füllen, hält die Studie fest. „Kommunen können aber nach Alternativen suchen. Beispielsweise eröffnet die Energiewende neue Möglichkeiten.“ So ließe sich durch Gründung kommunaler Unternehmen oder Genossenschaften Energie aus erneuerbaren Quellen gewinnen, was Kosten spare und Einkünfte verschaffe.
Digitalisierung als Chance:Der Ausbau der digitalen Infrastruktur und der digitalen Kompetenzen in den Rathäusern und Verwaltungen eröffne Möglichkeiten, zukunftsträchtige Unternehmen anzusiedeln, den Dialog mit den Bürger*innen zu verbessern und neue Bewohner in die Gemeinde zu holen.
Susanne Dähner / Sabine Sütterlin / Lilian Beck / Catherina Hinz,
Von Umbrüchen und Aufbrüchen. Wie ostdeutsche Kommunen steten Wandel meistern. Hg.: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung, Berlin 2021, 60 Seiten
www.berlin-institut.org/studien-analysen/detail/von-umbruechen-und-aufbruechen
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