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Ausgedörrte Böden und schmelzende Gletscher – wuchtige Bilder aus fernen Kontinenten stehen für den Klimawandel. Auch in unseren Breiten häufen sich extreme Wettereignisse wie Hitzewellen und schwere Gewitter. Doch die gesundheitlichen Schäden sind hierzulande noch zu wenig bewusst, belegt der aktuelle Versorgungsreport „Klima und Gesundheit“ des wissenschaftlichen Instituts der AOK (WidO). Die Auswirkungen des Klimawandels werden zunehmen – vor allem auf Ältere und chronisch Kranke. Der Handlungsbedarf ist groß: Informationsstand und Schutzverhalten der Bevölkerung sind darauf noch nicht eingestellt.
Mit Hitzestress, Herzinfarkten und exotischen Infektionskrankheiten greift der Klimawandel die Gesundheit an. Der vorliegende Report stützt sich auf die Analyse von Abrechnungsdaten von AOK-Versicherten durch das Klimaforschungsinstitut Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Demnach kam es zwischen 2008 und 2018 bei Temperaturen ab 30 Grad Celsius zu durchschnittlich 40 hitzebedingten Klinikeinweisungen pro Jahr je einer Million Menschen über 65 Jahren – zusätzlich zum normalen Tagesschnitt von 1.350 Einweisungen. Die Wissenschaftler zeichnen ein düsteres Szenario: „Wenn die Erderwärmung ungebremst voranschreitet, dann könnte sich bis zum Jahr 2100 die Zahl der hitzebedingten Klinikeinweisungen versechsfachen.“
„Auf höhere Durchschnittstemperaturen kann sich der Mensch einstellen, gefährlich sind extreme Wetterereignisse“, sagt Klima-Expertin Dr. Alexandra Schneider vom Helmholtz Zentrum München und Mitherausgeberin des Reports. Diese Ereignisse können Atmung, Herz-Kreislaufsystem und Psyche angreifen. Hitzewellen beeinträchtigen daher vor allem Ältere und Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Atemwegserkrankungen. Weitere Faktoren beeinflussen die individuelle Gefährdung: medizinische Versorgung vor Ort, Bodenversiegelung, Begrünung und bei alten Menschen die Pflegequalität. Schneider weist darauf hin, dass wir künftig auch mit mehr tropischen Viruserkrankungen rechnen müssen. „Wegen der zunehmenden Erwärmung können sich die Überträger von Infektionskrankheiten immer weiter ausbreiten. Inzwischen erkranken Menschen auch in Deutschland an Dengue-Fieber, Zika oder infizieren sich mit dem West-Nil-Virus.“
Die zunehmenden gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels erfordern verstärkte Maßnahmen bei Gesundheitsschutz und Prävention, legen die Autor*innen nahe. Eine deutschlandweite Befragung durch das WidO ergab noch großen Aufklärungsbedarf: Fast die Hälfte der Teilnehmer sah sich über Umweltereignisse, deren gesundheitliche Auswirkungen durch den Klimawandel verstärkt werden, nicht ausreichend informiert – zum Beispiel Luftverschmutzung und Pollenallergene. Wichtig ist auch die weitere Erforschung sogenannter Co-Benefits – positiver Begleiterscheinungen von Klimaschutz-Maßnahmen. So wirkt sich die Schadstoffreduktion auf die Häufigkeit chronischer Erkrankungen vorteilhaft aus, trägt der Wechsel vom Auto aufs Rad zur Fitness bei.
Eine strikte Klimapolitik, die den weiteren Temperaturanstieg begrenzt, bildet den effektivsten Schutz für das Gesundheits- und Pflegesystem, unterstreichen die Wissenschaftler*innen. Doch auch auf der individuellen Ebene bestehen Handlungsmöglichkeiten: Informationsstand und individuelles Schutzverhalten der Bevölkerung könnten besser werden, ergab die WIdO-Befragung. Die meisten Teilnehmer passen zwar ihr Trinkverhalten an heißen Tagen an (87 %), der Sonnenschutz (46 %) und der Schutz mit hautbedeckender Kleidung (32 %) lässt aber erheblich nach. Selbst unter Pollenallergikern haben drei Viertel kein Interesse an der Nutzung des Polleninformationsdienstes oder kennen das Angebot schlichtweg nicht. Auch Ärzt*innen sollten genau hinschauen: Bei hohen Temperaturen muss die Dosierung bestimmte Medikamente angepasst werden.
Christian Günster / Jürgen Klauber / Bernt-Peter Robra u. a. (Hg.), Versorgungs-Report „Klima und Gesundheit“, Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Berlin 2021, 272 Seiten, Download
Der Sammelband enthält 16 Fachbeiträge renommierter Wissenschaftler*innen zur globalen Bedeutung des Klimawandels für die Gesundheit und zu den Herausforderungen für die medizinische Versorgung in Deutschland.
Der Zusammenhang von Klima und Gesundheit rückt zunehmend in den Fokus von Wissenschaft und Aufklärung. Wegweisend für die Thematik ist der „Lancet Countdown“. Dieser 2017 gestartete jährliche Monitor untersucht anhand von 41 Indikatoren die Auswirkungen des globalen Klimawandels auf die Gesundheit und gibt Empfehlungen an die Politik. 35 internationale Forschungsinstitute und einige UN-Organisationen wirken daran mit, von deutscher Seite u. a. Helmholtz Zentrum, Charité Berlin, Bundesärztekammer und Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Überblick über den aktuellen Policy Brief für Deutschland (2020): Lancet Countdown: Vier Empfehlungen für die Gesundheit, gegen den Klimawandel, in: Ärzteblatt, 03.12.2020
Unterrichtseinheit für Grundschule und Sekundarstufe: „Klimawandel – Mögliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Vorsorgemaßnahmen“, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, 12/2019.
Zu Anpassungs- und Schutzmöglichkeiten für sich selbst und andere siehe das neue Informationsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA):
Gesundheit
AOK-Studie warnt vor Klimafolgen
Wohnen
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