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Kaum jemand würde den Beschäftigten in sozialen Berufen eine Aufwertung ihrer Tätigkeit neiden. Erst recht nicht jene, die als Patienten, Pflegebedürftige oder Eltern von ihrem Engagement profitieren. Doch beim Geld hört das Verständnis auf. Da liegen die Bruttostundenlöhne von Fachkräften in der Altenpflege (14,24 Euro), Krankenpflege (16,23 Euro) oder von Erzieherinnen (15,91 Euro) merklich unter dem Durchschnitt aller Beschäftigten (16,97 Euro) hierzulande. Magere Bezahlung ist nicht der einzige Grund für die Personalknappheit in den sozialen Dienstleistungsberufen. Ihre mangelnde Attraktivität gründet auch in körperlicher und psychischer Überlastung, ungünstigen Arbeitszeiten und mangelnden Aufstiegsperspektiven. Warum ist eine soziale und ökonomische Aufwertung notwendig, worin liegen die Hindernisse? Das untersucht eine aktuelle Studie der Hans Böckler Stiftung.
Die Frage nach dem Warum beantworten die Autorinnen mit dem Hinweis auf eine alternde Gesellschaft und die steigende Erwerbstätigkeit von Frauen: Diese unumkehrbaren Trends erforderten die Weiterentwicklung sozialer Dienstleistungen hin zum servicebasierten Versorgungsmodell nach skandinavischem Vorbild. In Pflege und Erziehung setze der deutsche Sozialstaat hingegen noch stark auf familiäre Unterstützungsstrukturen unter der Prämisse möglichst flexibler und kostenloser Verfügbarkeit.
Die Autorinnen nennen vier Stellschrauben zur Aufwertung sozialer Dienstleistungsberufe: Personalbemessung, Einkommen, Arbeitszeit und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten für Fachkräfte. Diese Bereiche unterziehen sie zunächst einer gründlichen Status-Quo-Analyse. Ein besonders wichtiger Bereich, die Notwendigkeit valider Kriterien zur Personalbemessung, soll im Folgenden das Anliegen der Studie verdeutlichen.
Der zweite Teil der Studie widmet sich 13 „Stolpersteinen“, politisch-organisatorischen Hindernissen für die Aufwertung von Dienstleistungsberufen. Den Abschluss der Studie bildet die Zielperspektive einer Aufwertung sozialer Dienstleistungen im gesellschaftlichen Kontext der digitalen Transformation.
Die Personalpolitik in der Kranken- und Altenpflege steht in engem Zusammenhang mit der Versorgungsqualität und der Mitarbeiter-Gesundheit. „Eine zu knappe Personalbemessung ist der Knackpunkt für Beschäftigte und Einrichtungen in sozialen Dienstleistungen“, stellen die Autorinnen fest und untermauern diese These mit ausführlichem Zahlen- und Studienmaterial. Eine Aufstockung der Personalressourcen halten sie für die wichtigste Aufwertungsmaßnahme, um den Teufelskreis von Personalknappheit, Versorgungsdefiziten, Überlastung der Beschäftigten, Krankheit und frühzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu durchbrechen. Dabei zeigt ein Blick über den nationalen Tellerrand, dass es auch anders geht: Während eine Pflegefachkraft in Deutschland für 13 Patienten zuständig ist, sind es in den Niederlanden 6,9 und in den USA 5,3. Die Crux: „Effektive Indikatoren- und Messsysteme für ein angemessenes Verhältnis zwischen Arbeitsmenge und Personalbemessung gibt es in sozialen Dienstleistungen bislang kaum. In der industriellen Arbeit haben sie eine hundertjährige Tradition.“
Gleich drei Stolpersteine bestimmen den Faktor Personalbemessung: Die Einführung verbindlicher Mindestgrößen und Richtwerte für die personelle Ausstattung sowie die Schaffung von Mechanismen, mit denen sich die Einhaltung verbindlicher Richtwerte überprüfen und einfordern lässt. Doch selbst wenn die Aushandlung konkreter Vereinbarungen zur Personalbemessung im Rahmen der Expertenkommission „Pflegepersonal im Krankenhaus“ erfolgreich verläuft und das zweite Pflegestärkungsgesetz verbindliche Indikatoren und Messsysteme hervorbringt, ist der dritte Stolperstein noch nicht aus dem Weg geräumt, geben die Autorinnen zu bedenken – der akute Mangel an Pflegefachkräften. An dieser Stelle sind neue Konzepte der Personalrekrutierung und Mitarbeiterführung gefragt, aber auch die Bedienung der anderen oben genannten Stellschrauben.
Der grundlegende Schritt hin zur Aufwertung sozialer Dienstleistungen beginnt mit einer veränderten Sichtweise, einer „anderen Erzählung“, fordern die Autorinnen. Weg vom Vorbehalt gegenüber diesen Berufen als Kostenträgern in einem vermeintlich überbordenden Sozialstaat hin zu einer Perspektive, die soziale Dienstleistungen als Teil der gesellschaftlichen Infrastruktur begreift. Investitionen in die Sozial- und Gesundheitswirtschaft könnten dann im Kontext der digitalen Transformation neu bewertet werden, ähnlich wie für die Industrie 4.0: als Verbesserung der Versorgung, Aufwertung qualifizierter menschlicher Arbeit und Steigerung des volkswirtschaftlichen Nutzens. Davon würde nicht nur die Branche selbst profitieren. Beschäftigte aus anderen Branchen könnten sich durch die Verfügbarkeit professioneller Serviceangebote stärker in den Arbeitsmarkt einbringen, die Erwerbsbeteiligung steigern und so die Einnahmen des Staates und der Sozialversicherungen verbessern. „Die Erzählung von der gesellschaftlichen Weiterentwicklung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland ist lange ohne die Bedeutung und den Wert sozialer Dienstleistungen erzählt worden“, kritisieren die Studienautorinnen und hoffen, mit ihrer Untersuchung eine Kurskorrektur anzustoßen.
Christina Schildmann / Dorothea Voss: Aufwertung von sozialen Dienstleistungen. Warum sie notwendig ist und welche Stolpersteine noch auf dem Weg liegen. Hans Böckler Stiftung, Forschungsförderung Report Nr. 4, Juni 2018, 44 Seiten
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