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In der frühkindlichen Erziehung hat sich hierzulande viel getan: Rechtsanspruch auf einen Krippen- und Kitaplatz, Elterngeld, Ganztagsschule und mancherorts beitragsfreier Kitabesuch. Gleich zum Amtsantritt im März legte die neue SPD-Familienministerin Franziska Giffey nach. Das sogenannte Gute-Kita-Gesetz sieht ein ganzes Bündel von Verbesserungen vor – von weiterer Gebührenbefreiung über einen kindgerechten Betreuungsschlüssel bis zur Sprachförderung. Dafür waren im Gesetzesentwurf zunächst 3,5 Mrd. Euro für die aktuelle Legislaturperiode vorgesehen. Am 3. Juli beschloss der Bundestag noch einmal 2 Mrd. Euro mehr Budget, also insgesamt 5,5 Mrd. Euro. Immer noch zu wenig, hält eine Studie der Bertelsmann-Stiftung dagegen. „Mehr Kita-Qualität und Beitragsfreiheit kosten jährlich 15 Mrd. Euro“, errechnen die Verfasser. Ein schonungsloser Blick auf die Finanzen, so legen sie nahe, erfordert realistische Prioritäten.
Grundlage der Studie ist eine bundesweite Befragung von Kita-Eltern (ElternZoom) und ein nicht-repräsentatives Stimmungsbild unter Familien. Armutsgefährdete Eltern, die über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügen, sind laut Studie durch Kita-Beträge doppelt so stark belastet wie bessergestellte: Sie zahlen durchschnittlich 118 Euro pro Monat für die Kita, fast zehn Prozent (9,8 %) ihres Haushaltseinkommens. Bessergestellte Eltern hingegen wenden mit 178 Euro nur die Hälfte auf (5,1 %) – trotz einkommensabhängiger Gebührenstaffelung. Gleiches gilt für die Zusatzgebühren – monatlich rund 45 Euro – für Mittagessen, Ausflüge und Bastelbedarf (3,3 % vs. 1,4 %).
Dazu kommt: Die Belastung der Familien hängt vom Wohnort ab. So reicht die Elternbeteiligung an der Finanzierung der Kinderbetreuung von 7 Prozent in Berlin bis 23 Prozent in Sachsen-Anhalt. Der Anteil der Kita-Gebühren am Nettoeinkommen der Eltern reicht von 2 Prozent in Berlin bis zu 9 Prozent in Schleswig-Holstein. Das bevölkerungsreichste Bundesland NRW liegt mit 6,6 Prozent über dem Bundesschnitt (5,6 %).
Kita-Kosten und -Qualität sind länder- und wohnortbezogen höchst unterschiedlich. So trumpft Berlin zwar weitgehend mit Beitragsfreiheit, liegt aber beim Betreuungsschlüssel weit unter dem Bundesdurchschnitt, heißt es in der Studie. Anders in Baden-Württemberg: Den bundesweit besten Personalschlüssel finanzieren die Eltern dort mit sieben Prozent des Durchschnittseinkommens mit.
Die völlige Befreiung der Eltern von Kita-Aufwendungen würde der Studie zufolge Kosten von schätzungsweise 7,3 Mrd. Euro pro Jahr verursachen: 5,7 Mrd. Euro Kita-Beiträge plus 1,6 Mrd. Euro für Zusatzgebühren. Dieser aktuell von Eltern geschulterte Kostenbeitrag zur Kita-Betreuung müsste also künftig aus öffentlichen Finanzmitteln bestritten werden.
Damit nicht genug. Auf die öffentlichen Kassen kämen noch gewaltige Kosten für den bundesweiten Qualitätsausbau zu, wie Einzelstudien der Stiftung in den vergangenen Jahren detailliert ermittelt haben: für einen kindgerechten Personalschlüssel 4,9 Mrd. Euro, für eine angemessene Leitungsausstattung 1,3 Mrd. Euro und für ein kostenfreies Mittagessen 1,8 Mrd. Euro – insgesamt 8 Mrd. Euro jährlich.
Wunsch und Wirklichkeit klaffen also weit auseinander: Den gesamten Kosten für Beitragsfreiheit (7,3 Mrd. Euro) und Qualitätsausbau (8 Mrd. Euro) von 15,3 Mrd. Euro stehen nur die schon genannten 3,5 Mrd. Euro gegenüber, die der Bund gemäß Koalitionsvertrag der Kinderbetreuung zusätzlich zur Verfügung stellen will. „Allein im Jahr 2021 fehlen nach aktuellen Planungen 13,3 Mrd. Euro“, monieren die Verfasser.
Einerseits sollten Kita-Beiträge keine Barriere für einkommensschwache Eltern sein, andererseits können nur gute Kitas ihrem Erziehungsauftrag vollends gerecht werden. Zwar profitieren alle Familien von guten Kitas, für arme, bildungsferne oder Familien mit Migrationshintergrund sind sie aber essenziell. Daher rät die Studie davon ab, die völlige Beitragsbefreiung für alle zu forcieren. „Bundesweit fehlen Erzieherinnen, und die Betreuungsschlüssel stimmen in vielen Kitas nicht. Jetzt alle Eltern zu entlasten, würde den politischen Handlungsspielraum für den Qualitätsausbau unnötig verengen“, heißt es.
Die Studie empfiehlt, zunächst alle armutsgefährdeten Familien von Kita-Beiträgen und Zusatzgebühren zu befreien. Das ergäbe Kosten von 730 Mio. Euro. Auch für Eltern mit höherem Einkommen sei eine Staffelung der Beiträge sinnvoll. Das restliche Geld solle in die Verbesserung der Kita-Qualität fließen. Oberste Devise künftiger Kita-Politik müsse sein: „Erst die Qualität und dann die Beitragsfreiheit“.
53 Prozent der ärmeren und 59 Prozent der wohlhabenderen Eltern teilen gemäß Umfrage diese Prioritätensetzung. Sie sind bereit, für eine hochwertige Betreuung mehr auszugeben. „Das zeigt deutlich, dass den Eltern die Kita-Qualität für ihr Kind sehr wichtig ist“, schlussfolgern die Wissenschaftler. Die hohe Wertschätzung der Kindertagesbetreuung als Bildungsressource zeigt sich nicht zuletzt darin, dass mittlerweile fast alle drei- bis unter sechsjährigen Kinder eine entsprechende Einrichtung besuchen (93,8 %). Diese Normalisierung dürfte die Forderung nach völliger Beitragsfreiheit künftig immer wieder auf die politische Tagesordnung setzen.
ElternZOOM 2018. Schwerpunkt: Elternbeteiligung an der KiTa-Finanzierung, hg. von der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2018, 24 Seiten
Siehe auch: Franziska Giffey, „Mit dem Gute-Kita-Gesetz für bessere Kinderbetreuung sorgen“, Interview am 30.04.2018.
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