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In Deutschland leiden aktuell mehr als 1,6 Millionen Menschen an Demenz, zwei Drittel von ihnen werden von ihren Angehörigen zu Hause versorgt. Die Pflege dieser Menschen ist physisch und psychisch sehr belastend. Folge: Angehörige sind oft überfordert, Demenzkranke können nicht länger in ihren eigenen vier Wänden gepflegt werden. Das Entlastungsangebot der Kurzzeitpflege kann dazu beitragen, die häusliche Versorgung der Betroffenen zu verbessern. Der Caritasverband Paderborn e.V. erprobt derzeit das Demenzspezifische Kurzzeitpflegekonzept (DESKK) – die innovative Verknüpfung eines Mobilitätsprogramms für Demenzkranke mit intensiver Angehörigenberatung. Das Modell soll 2019 bundesweit einsetzbar sein. Ein Zwischenbericht.
„Zentrales Ziel ist, den Pflegebedürftigen bestmöglich auf die Rückkehr in sein Zuhause vorzubereiten“, sagt Birgit Hasenbein, Leiterin des Caritas-Zentrums für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen. Kurzzeitpflegeeinrichtungen richten sich an Menschen, die einen stationären Pflegeaufenthalt für einen begrenzten Zeitraum von wenigen Tagen bis zu maximal acht Wochen planen. In dieser Zeit erhalten sie eine möglichst aktivierende Versorgung, die ihre Pflegebedürftigkeit reduzieren und die allgemeine Versorgungssituation verbessern soll. Das DESKK-Programm wird vom Caritasverband Paderborn e.V. geleitet, vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Witten (DZNE) wissenschaftlich entwickelt und von der Stiftung-Wohlfahrtspflege NRW gefördert.
Maßnahmen der Mobilitätsförderung haben sich etwa in der stationären Langzeitpflege darin bewährt, bei Demenzkranken die Selbstständigkeit zu fördern und den Eintritt von Pflegebedürftigkeit zu verzögern. „In der Kurzzeitpflege jedoch gibt es bisher keine implementierten und strukturierten Konzepte“, konstatiert Steffen Heinrich, Projektkoordinator am DZNE. Ein echtes Problem, da zahlreiche Nutzer von Kurzzeitpflege kognitive Einschränkungen haben oder an Demenz leiden. Außerdem übersteigt die Nachfrage nach dieser Versorgungsform die vorhandenen Kapazitäten. Gerade singuläre, also eigenständige Kurzzeitpflegeinrichtungen sind Mangelware.
Die DESKK-Studie wird im Caritas-Haus St. Antonius in Paderborn durchgeführt. Es handelt es sich um eine Kurzzeitpflegeeinrichtung mit zehn Plätzen, die bereits auf spezielle Bedürfnisse von Menschen mit Demenz ausgerichtet ist. Dazu gehören im Umgang mit Demenz geschulte Pflege- und Betreuungskräfte sowie bauliche Maßnahmen (runde Gänge, zirkadianes Licht). „Das Mobilitäts- und Beratungsprogramm setzt auf den bestehenden Kurzzeitpflegestrukturen auf und entwickelt sie weiter“, erklärt Heinrich. Der Fokus liegt dabei auf der praxisnahen Entwicklung des Konzeptes mit folgenden Schwerpunkten:
Das Mobilitätsprogramm lässt sich individuell an Fähigkeiten und Vorlieben von Demenzkranken anpassen und kann einzeln oder gruppenweise praktiziert werden. Es wird von Pflegefach- oder Betreuungskräften angeleitet. Die Übungen sollen spielerisch umsetzbar sein und die Motivation fördern. Das Training – täglich bis zu 30 Minuten – reicht von Ballspielen mit Händen und Füßen bis hin zu Knetübungen oder Gleichgewichtsübungen mit der Spielkonsole Nintendo Wii. Alle Einheiten beinhalten auch Aufgaben zum Gehirnjogging.
„Bisher wurde von den Mitarbeiterinnen bestätigt, dass das Programm gut in den Pflegealltag integrierbar ist und die Übungen von den meisten Menschen mit Demenz gut angenommen werden“, berichtet Hasenbein. Übungen, die nicht wie gewünscht funktionieren, werden im Laufe der Testphase, welche noch bis Ende September 2018 läuft, verändert oder ersetzt. Diese neuen Übungen wurden von den Mitarbeiterinnen angeregt und von den Wissenschaftlern übernommen. „Die vorläufigen Daten zum Mobilitätsprogramm zeigen, dass die Probanden mit Demenz ihren Mobilitätsstatus während des Kurzzeitpflegeaufenthaltes tendenziell verbessern konnten“, äußert Heinrich vorab. Bei der Rückkehr nach Hause werden dem pflegenden Angehörigen Trainingsempfehlungen zur Weiterführung der Übungen mitgegeben. Detaillierte Ergebnisse zur Umsetzbarkeit von DESKK in der Häuslichkeit stehen noch aus.
Das individualisierte Beratungsprogramm für den pflegenden Angehörigen wird u.a. durch einen Test strukturiert. Dabei werden die persönliche Belastung, der Wissenstand zu Demenz und die häusliche Versorgungssituation eingeschätzt. Die Fragebögen fördern auch Problembereiche der häuslichen Pflegesituation zutage, die den Angehörigen mitunter selbst nicht bewusst sind, aber in die Beratung einbezogen werden sollten.
Nach Ende der Testphase wird das DESKK-Konzept mit allen Bestandteilen in einem praxisfreundlichen Manual beschrieben. Dabei werden auch die vorgefundenen Rahmenbedingungen der Kurzzeitpflegeeinrichtung des Hauses St. Antonius thematisiert. Vor Projektende im April 2019 soll dazu noch eine Homepage entstehen, damit andere Kurzzeitpflegeeinrichtungen das Konzept möglichst leicht übernehmen können. „Insgesamt kann DESKK ein wichtiger Schritt sein, um die zielgerichtete Rehabilitation von Menschen mit Demenz in Kurzzeitpflegeinrichtungen zu optimieren“, ist Heinrich optimistisch. Die Daten, inwiefern DESKK tatsächlich den Mobilitätslevel der Betroffenen oder die Belastung der pflegenden Angehörigen beeinflusst, werden zu einem späteren Zeitpunkt ausgewertet und wissenschaftlich publiziert.
Weitere Informationen:
Haus St. Antonius - Kurzzeitpflege, Ansprechpartnerin: Birgit Hasenbein
www.haus-antonius-paderborn.de
DZNE Witten, Ansprechpartner: Steffen Heinrich
https://www.dzne.de/forschung/studien/projekte-der-versorgungsforschung/deskk/
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