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Verlag: Kösel, München 2019, 280 Seiten, 20,- Euro.
Wie lässt sich der weltweite Rechtsruck in der Politik erklären? Für den Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster (59) beeinflusst eine autoritäre Erziehung die politische Gesinnung so stark, dass daraus rechtspopulistische Einstellungen im Erwachsenenalter entstehen. Der tiefere Grund liegt für den Evolutionsbiologen in der frühesten Kindheit: Wer macht die Ansagen in der Familie? Wer fühlt sich ohnmächtig? Wer darf mitbestimmen? Das Gespenst des Autoritarismus verschwindet nur, wenn Eltern gute Bedingungen haben, ihren Kindern Anerkennung und Sicherheit zu geben. Damit deren Persönlichkeit, „innerlich unverletzt und mit Mut unter dem Herzen“ wachsen kann, schreibt Herbert Renz-Polster in seinem ersten pädagogisch-politischen Buch „Erziehung prägt Gesinnung. Wie der weltweite Rechtsruck entstehen konnte – und wie wir ihn aufhalten können“.
Was beschert rechtsgerichteten Parteien so enormen Zulauf: Unzufriedenheit mit Regierenden? Sich abgehängt fühlen? Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster (59) sieht vor allem einen engen Zusammenhang zwischen autoritärer Erziehung in der Kindheit und den daraus entstehenden rechtspopulistischen Einstellungen im Erwachsenenalter. „Wer den autoritären Populismus verstehen will, muss dorthin schauen, wo aus kleinen Menschen große Menschen werden – auf die Kindheit“, sagt Herbert Renz-Polster im Gespräch mit unserer Autorin. „Es sind nicht die ökonomisch Abgehängten, die Donald Trump oder die AfD gewählt haben. Es ist der Hang zum Autoritarismus, der diese Menschen antreibt. Dieser Autoritarismus hat viel mit dem zu tun, wie die Kinderstube war.“ Erziehung ist für den Wissenschaftler beileibe keine Privatsache: Das Familienklima von heute ist für den Erziehungsexperten das politische Klima von morgen. Oder wie es der Verhaltens- und Evolutionsforscher formuliert: „Die Kindheit ist immer auch politisch!“
Abstiegs- und Globalisierungsängste spielen für den Autor bei rechtpopulistischer Gesinnung sicher auch eine Rolle. Die meisten, die rechtspopulistisch denken, „sind aber gut gebildet, habe kaum Existenzsorgen, sind nicht abgehängt“. Sie kommen mit dem digitalen Wandel gut klar, selbst wenn sie Globalisierungsverlierer sind. Auffällig ist für den Erziehungsexperten, manche Menschen sind stark auf soziale Dominanz angelegt, andere ordnen sich in Hierarchien eher unter. Aber anstatt sich mit gesellschaftlichen Ungleichheiten auseinanderzusetzen, empören sie sich lieber über Flüchtlinge und fordern: Alle Grenzen dicht machen, die Heimat schützen und eine Mauer bauen. Für Herbert Renz-Polster ein klarer Hinweis auf ein „inneres Vakuum“, wie er es nennt. „Die Haltungen, die da nach oben gespült werden, haben einen tieferen Grund, und der wird für mich in der Kindheit angelegt.“
Zeitgleich erstarken weltweit rechtspopulistische Bewegungen und offen autoritäre Staatenlenker. „So was kommt nicht aus dem Nichts.“ Das Erstarken der AfD bewertet Herbert Renz-Polster mit Blick auf die deutsche Geschichte ganz gelassen. „Wir hatten immer rechte Haltungen und einen riesigen Autoritarismus-Sockel in der Gesellschaft.“ Der sei in der Nachkriegszeit zwar abgeschmolzen, wurde später vor allem in etablierten Parteien wie der CDU/CSU ausgelebt. „Wir haben aktuell die liberalste Gesellschaft in Deutschland, die es jemals gab. Die AfD wird für mich nur zum Scheinriesen aufgeblasen. Deren heutigen Inhalte waren doch früher Bestandteil der bürgerlichen Parteien.“
Gewidmet hat Herbert Renz-Polster sein pädagogisch-politisches Buch seiner 90-jährigen Mutter, die den „Irrsinn der autoritären Unterwerfung als Schülerin auf einem Nazi-Internat erlebt hat“. Sie repräsentiert für den Autor „diese ganze Geschichte, die wir als Deutsche in uns tragen“. Autoritäre Haltung und Unterwerfung war während der Nazizeit Mainstream, durch alle Gesellschaftsschichten hindurch. „Hitler wäre nicht an die Macht gekommen, ohne die unterdrückende Behandlung der Kinder. (…) Deshalb steht meine Mutter für den Aufwind. Sie kommt aus einem autoritären Elternhaus, wurde 1958 Mutter mit meiner Schwester und wollte ihre Kinder anders erziehen: Gernhaben, stillen, nicht schreien lassen.“ Die befreiende emanzipatorische Welle, die durch den Westen lief, kam langsam. Dazu gehörte auch, Mütter dürfen sich ihren Kindern zuwenden. „Das kann man nicht genug feiern, weil wir heute in Deutschland die Früchte ernten von dieser neuen Erziehungshaltung. Der Großtrend unserer Zeit ist der Liberalismus.“
Eines der spannendsten Kapitel: „Je härter die Kindheit, desto härter die Politik“. Oder wie Herbert Renz-Polster es nennt: „Landkarten der kindlichen Not". Der Kinderarzt erzählt, dass er geschockt war, dass die politischen Landkarten – gemeint ist das Wahlverhalten in Demokratien, autoritären Staaten oder Diktaturen – weltweit mit den Erziehungshaltungen übereinstimmen. Autoritäre Regime wie Afrika sind „der Hot Spot an schrecklichen, widrigen, autoritären Kindheiten“. Das Wahlverhalten in diesen Ländern unterstützt aber die harte Politik auch noch. Wie sich Haltungen und politische Gesinnungen auf die nächste Generation übertragen, nennt der Autor Transmission, „Bei Konservativen liegt die Transmission bei 80 Prozent, bei Linken und Alternativen wie den Grünen ist die Transmissionsrate fast 100 %. Grüne Eltern haben grüne Kinder.“
„Selbst im demokratischen Vorzeigeland USA wollen sie einen autoritären Führer“, empört sich der vierfache Vater. „Wir haben sieben Jahre in den USA gelebt, unser letztes Kind ist dort geboren. Donald Trump ist das Gegenbild eines zivilisierten Menschen. Seine Wahl hat mich tief aufgewühlt. Das ist eine Zeitenwende.“ Auch in den USA stehen die Zustimmungsraten zu Körperstrafen gegen Kinder eng in Zusammenhang zum konservativen Wahlverhalten. Bei Umfragen in allen Bundesstaaten, ob man seine Kinder schlagen darf, stellte sich heraus: Die ersten 22 Staaten, die einer harten, bestrafenden Erziehung zustimmten, sind alle an Trump gegangen. Der Rechtspopulismus wird in den allermeisten Ländern deutlich von Älteren getragen.
Ähnlich geht Herbert Renz-Polster mit Blick auf Ostdeutschland vor. Um in der Tiefe zu erklären, weshalb im Osten deutlich rechtspopulistischer gewählt wird als im Westen, analysiert der Autor das autoritäre Erziehungssystem, inklusive der Krippenbetreuung in der ehemaligen DDR. „Die Landkarte wurde nach dem Fall der Mauer angelegt. Kinder wurden bis dahin gepolt auf Sozialismus und Völkerverständigung, folglich müsste das rechtspopulistische Wahlverhalten niedriger sein. Die Landkarte kindlicher Not zeigt aber, autoritäre Haltungen haben auch etwas mit Sozialisation zu tun. „Bei Gewalt denkt man an Schläge, an Unterdrückung. Das war in der DDR nicht mehr als in der BRD.“ Der Unterschied war die autoritäre Sozialisation in den Einrichtungen, die wenig kindgerecht waren. „Kinder waren in Hörigkeitspositionen, eigene Initiative war verpönt, es galt zu funktionieren. Nichts Tröstendes, keine individuelle Zuwendung. Kinder wurden autoritär gepolt.“ Diese Ergebnisse findet Herbert Renz-Polster „umwerfend“.
„Kein Mensch wird hasserfüllt mit dem Wunsch nach Ausgrenzung geboren. Nur wer sich selbst als wertvoll ansieht und sich für sich selbst nicht schämen muss, kann auch anderen einen Wert zugestehen. Und er kann gütig sein, wenn andere Menschen in Not sind.“ Am Ende des Buches stellt der Forscher fest: „Kinder brauchen verlässliche, freundliche Bezugspersonen, denen sie etwas bedeuten, die Zeit für sie haben. Auch in Kindergärten und Schulen werden tagtäglich Herrschafts- und Regierungsmodelle verhandelt. Fühlen sich die Kinder dort geborgen und dürfen mitbestimmen? Haben sie Entwicklungsraum? Dann ist es möglich, Kinder gegen Ideologien zu stärken, die Angst schüren und Hass, Strafe oder Härte predigen.
Für Herbert Renz-Polster erleben Heranwachsende „in der Kindheit ein erstes „Gesellschaftsmodell“. Wie wird in der Familie mit Macht und Herrschaft umgegangen? Zu den kindlichen Bedürfnissen gehören Anerkennung, Zugehörigkeit und innere Sicherheit. Für den Erziehungsexperten sind das die wichtigsten Schlüssel. Gute Antworten auf diese Fragen schützen das Kind – auch vor ideologischen Verlockungen nach Ersatzsicherheiten im Erwachsenenalter.
„Kindheit wagen!“ ist die Quintessenz des erkenntnisreichen Buches: Das Problem des Rechtspopulismus lässt sich für Herbert Renz-Polster weder politisch, noch ökonomisch oder technisch lösen. Schutzfaktoren gegen die Verlockungen des Rechtspopulismus sind das Gefühl von Zugehörigkeit, von innerer Sicherheit, von Anerkennung. „Kinder, die ihre Kindheit innerlich unverletzt verlassen, mit Selbstvertrauen, wachen Augen, Einfühlungsvermögen und Mut unter dem Herzen, sind widerstandsfähig gegen die Verlockungen des Rechtpopulismus.“
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