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Wie sehr beeinflussen Facebook, Twitter & Co demokratische Entscheidungsprozesse wie etwa Wahlen durch Desinformationen und Fake News? Das Thema wird derzeit bei Politik und Wissenschaft heiß gehandelt: Mitte März hat eine Expertengruppe der Europäischen Kommission ihren Abschlussbericht zu „Fake News und online-gestützter Desinformation“ vorgelegt. Fast zeitgleich brachte die Grünen-Fraktion eine Anfrage zu „Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Politischer Desinformation im Internet“ in den Bundestag ein. Daneben befassen sich zwei aktuelle Studien mit dem Thema: „Social Media im Wahlkampf“, eine Untersuchung des Politikwissenschaftlers Simon Hegelich von der TU München über Social-Media-Aktivitäten zur Bundestagswahl 2017, und „Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017“ von der Stiftung Neue Verantwortung (SNV).
Die zentrale Botschaft der Studien lautet: Alle Parteien haben ihre Social-Media-Präsenz für den Wahlkampf 2017 massiv ausgebaut. Die große Flut von Fake News, gesteuert aus dem Ausland, ist jedoch ausgeblieben. Es gab zwar ähnliche Manipulationsformen wie im US-Wahlkampf – beispielsweise Leaks (Enthüllung vertraulicher Informationen), Trolle (Provokateure), hyperaktive Nutzer oder Social Bots (falsche Accounts) – allerdings in deutlich geringerem Maße als befürchtet. Stattdessen gab es viele kleine Fake News aus den Themenfeldern „Innere Sicherheit“ und „Flüchtlinge und Kriminalität“.
Die Desinformationen seien vor allem von den Rechten, Rechtspopulisten und Rechtsextremen verbreitet worden, so die Autoren der SNV-Studie „Fakten statt Fakes“. Im Rahmen der Studie wurden zehn konkrete Fake News-Fälle (u.a. Stadtfest Schorndorf/„Migranten-Randale“, kostenlose Führerscheine für Flüchtlinge, Augenverletzung eines Polizisten bei G20) unter die Lupe genommen. Besonders auffällig hätten hier Vertreter der Alternative für Deutschland (AfD) agiert: Sieben der zehn Fälle wurden von AfD-Accounts verbreitet – darunter die reichweitenstarke Facebook-Seite der Bundespartei oder das Profil des Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen.
Diese Dominanz der AfD in den sozialen Netzen bestätigt auch die im Auftrag der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung entstandene Studie „Social Media im Wahlkampf“ von Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der Münchener Hochschule für Politik. Neben den Facebook-Aktivitäten der Parteien hat der Politikwissenschaftler 350 Millionen Tweets aus den sechs Monaten vor der Bundestagswahl untersucht. Bei Facebook erhielt die AfD die meisten Likes. Die Partei nutze die Plattform gezielt, um die traditionellen Medien zu umgehen, so Hegelich. Die Anhänger trauten den klassischen Medien nicht, bauten sich daher eigene Kanäle auf und bewegten sich in ihren eigenen Echokammern. Teil dieser Strategie ist die offensive Aufforderung zum Weiterverbreiten von Inhalten („TEILEN! TEILEN! TEILEN!“). Zwar hat die AfD deutlich weniger Twitter-Follower als die anderen Parteien, generierte aber die meisten Retweets von Nutzern, die Beiträge der Partei teilten.
Verstärkte Nutzer-Aktivität in den sozialen Netzwerken ist aber nur eine Möglichkeit, Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen. Im US-Wahlkampf wurden beispielsweise auch „Social Bots“ (Fake-Accounts in sozialen Netzwerken, die vorgeben, echte Menschen zu sein), Verschwörungstheorien (Clintons „Pizzagate“) und Microtargeting (direkte Ansprache einzelner Nutzer/Wähler) eingesetzt. Wegen einer Ansprache auf Facebook änderten die meisten Menschen zwar vermutlich nicht gleich ihre politische Meinung, so Hegelich – sie gingen aber vielleicht eher zur Wahl oder verweigerten sich, wenn ihre Facebook-Freunde dies auch täten. „Die Trump-Kampagne hat alles getan, um Bevölkerungsgruppen, die Clinton unterstützten, zu demobilisieren – zum Beispiel durch die Verbreitung eines Clinton-Videos, das sich negativ über junge Afroamerikaner äußerte.“
Zwar sei die Polarisierung der Gesellschaft in den USA viel deutlicher ausgeprägt als hierzulande, sagt Politikwissenschaftler Hegelich. Er konstatiert jedoch auch hier zunehmend Profilierungsversuche der Parteien: „Möglicherweise reagieren sie damit bereits unbewusst darauf, dass in Zeiten von Facebook und Social Media die Polarisierung das eigentliche Wesensmerkmal eines Profils ist“. Nötig sei es nun, „ein Konzept zu entwickeln, wie sich die digitale Revolution gestalten lässt“. In Deutschland höre man immer die Schlagworte „Breitband und Medienkompetenz“ – aber das sei vermutlich nicht genug gegen Breitbart und Plattformökonomie.
Fake News als Symptom gesellschaftlicher Probleme bekämpfen
Auch die Autoren der Studie „Fakten statt Fakes“ haben sich Gedanken über den Umgang mit der digitalen Revolution gemacht: Neben möglichen Regulierungen von Medienplattformen stellen sie die Frage, ob es nichtkommerzielle, öffentliche, von der Allgemeinheit getragene aufklärende Alternativen zu den auf Datensammlung basierenden Sozialen Netzwerken brauche. „Fake News sind letztlich auch Symptom tiefgehender gesellschaftlicher Probleme, wie Postfaktizität, Populismus oder Rechtsextremismus, auf die es Antworten von Politik und Zivilgesellschaft bedarf, statt sich ihrer selbst zu bedienen“, meinen die Autoren. Bis dahin müssten die Plattformen weitaus transparenter agieren, damit nachvollziehbar werde, wie in den Echokammern kommuniziert wird. Journalistische Aufklärung und Debunking (Gegenerklärung) allein könnten ganz sicher nicht helfen.
Alexander Sängerlaub / Miriam Meier / Wolf-Dieter Rühl,
Fakten statt Fakes – Verursacher, Verbreitungswege und Wirkungen von Fake News im Bundestagswahlkampf 2017, Stiftung Neue Verantwortung, Berlin 2018, 103 Seiten
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Simon Hegelich, Social Media im Wahlkampf – die digitale Revolution der Meinungsbildung, Hanns-Seidel-Stiftung, München 2018, 60 Seiten
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Europäische Kommission, A multi-dimensional approach to disinformation, Brüssel 2018
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Kleine Anfrage der Grünen zu politischer Desinformation im Netz, Bundestagsdrucksache 19/1713
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