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Die protektionistischen Vorhaben von US-Präsident Donald Trump stellen den jahrzehntelangen Konsens über die Vorteile des globalen Handels in Frage. Ein Zeitenwechsel, schließlich galt doch der möglichst ungehemmte Austausch von Waren, Ideen und Geld als Garant für Freiheit und Wohlstand. Aber schon im Scheitern der TTIP-Verhandlungen und im Brexit verschaffte sich eine wachsende Globalisierungskritik auch in Europa Gehör. Doch was denken die Bürger tatsächlich? Eine aktuelle Bertelsmann-Studie fragte in weltweit zwölf Volkswirtschaften nach, wie die Menschen zu Handel und Globalisierung stehen. Heraus kommt ein differenziertes Meinungsbild: „Handel ist gut, doch Sicherheit tut not“, so lässt es sich auf den Punkt bringen.
Viele Menschen erkennen die Vorteile des internationalen Handels für Verbraucher, Wachstum und Arbeitsplätze an, zeigt die internationale Erhebung mit mehr als 14.000 Personen, darunter 2.000 Deutschen.* Die Zustimmung variiert jedoch erheblich danach, ob entwickelte oder aufstrebende Länder gefragt sind. Dass die Globalisierung einen positiven Einfluss auf die Welt hat, bejahen deutlich weniger Bürger etwa in Deutschland, USA und Japan (40, 42, 40 %) als in den Schwellenländern (64 %). In China bewerten 77 Prozent der Befragten die Globalisierung als Vorteil und 9 Prozent als Nachteil, in Deutschland machen die Pessimisten 31 Prozent aus.
Eine kritische Haltung zur Globalisierung gründet sich auf die Sorge über zunehmende soziale Ungleichheit, Gefährdung von Arbeitsplätzen, Lohndruck und Übernahmen durch ausländische Investoren. Dabei wird der schon erwähnte Trend unterschiedlicher Sichtweisen in Industrie- und Schwellenländern deutlich. Während in den Schwellenändern fast die Hälfte der Befragten (48 %) überzeugt ist, dass die Globalisierung zu Lohnsteigerungen beiträgt (Industrieländer: 26 %), wird das in den Industrieländern von 49 Prozent rundweg verneint (Schwellenländer: 41 %; Deutschland: 57 %). Den Autoren zufolge decken sich die unterschiedlichen Auffassungen über die Wohlfahrtseffekte der Globalisierung mit unumstößlichen Tatsachen: mit Wirtschaftswachstum und Armutsbekämpfung in den Schwellenländern sowie Stagnation der Reallöhne in den Industriegesellschaften.
Ähnlich wie bei der Lohnentwicklung sieht es bei der Sicherung von Arbeitsplätzen aus. „In den aufstrebenden Volkswirtschaften herrscht die Meinung vor, dass die Globalisierung zur Arbeitsplatzsicherheit beiträgt, während auf die Industrieländer das Gegenteil zutrifft.“ Auch bei der Beurteilung von Übernahmen inländischer Unternehmen durch ausländische Investoren besteht Konfliktstoff. Obwohl Auslandsdirektinvestitionen generell als vorteilhaft gelten, werden sie von den Befragten der meisten Länder, auf die eigene Wirtschaft bezogen, negativ beurteilt. In Deutschland fällt die Meinung zu Übernahmen besonders kritisch aus.
Natürlich prägt die Kritik an der Globalisierung die Meinung der Bürger zu notwendigen Konsequenzen. Adressat ihres Erwartungsdrucks sind nicht so sehr die Unternehmen, als vielmehr Staat und Politik: Bieten diese Instanzen ausreichend Schutz vor den Erschütterungen von außen? Deutliche Antwort: 49 Prozent der Befragten in den Industrieländern verneinen diese Frage, nur 27 Prozent sind mit den Maßnahmen der Regierung zufrieden. In den Schwellenländern sind 50 Prozent der Befragten zufrieden, 40 Prozent nicht. „Die Menschen wünschen sich eine Globalisierung mit Sicherheitsgurt“, fasst die Bertelsmann-Studie zusammen.
Die vorliegende Studie bestätigt den legendären Ausspruch des einstigen US-Präsidenten Bill Clinton: „It’s the economy, stupid!“ Die zentrale Bedeutung von Wirtschaft und Handel ist heutzutage in aller Bewusstsein, aber die wirtschaftspolitische und soziale Ausrichtung höchst umstritten. Die meisten Menschen auch im wirtschaftlich erfolgreichen Deutschland sind überzeugt, dass der weltweite Handel neben großen Chancen für Beschäftigung und Lebensstandard zugleich eine Bedrohung für die soziale Sicherheit birgt.
Insbesondere letzterer Aspekt wurde in der Vergangenheit schon mehrfach hervorgehoben, zum Beispiel von Weltbank-Ökonom Branko Milanović. Seine Untersuchungen belegen, dass die unteren Mittelschichten der alten Industrieländer infolge stagnierender Löhne und wachsender Ungleichheit in ihren Gesellschaften zu den größten Verlierern der Globalisierung gehören. Dass der Freihandel weltweit zur Verringerung von Armut beigetragen hat, dürfte die Vorbehalte dieser Menschen nicht verringern. Protektionistische Strömungen und populistische Verlockungen dürften überall dort Zulauf finden, wo es nicht gelingt, die bedrohlichen Auswirkungen des Strukturwandels zu bändigen – auch in Deutschland. Nachhaltige Lösungen müssen erst noch gefunden werden – in einem robusten Wohlfahrtsstaat, der es schafft, den globalen Herausforderungen auf nationaler Ebene zu trotzen.
*Die Umfrage wurde im Februar 2018 von YouGov im Auftrag der Bertelsmann Stiftung in China, Deutschland, Frankreich, Indien, Indonesien, Japan, Kanada, Mexiko, der Türkei, Russland, den USA und Großbritannien durchgeführt.
Mehr Unterstützung für Handel und Globalisierung durch ein Sicherheitsnetz. Internationale Studie 2018: Einstellungen zum Handel und zur Globalisierung, hg. von der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2018, 32 Seiten
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