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Das Sozialwesen boomt: Die Wirtschaftsleistung im Bereich der Altenpflege, Kinder- und Jugendhilfe ist in den vergangenen 25 Jahren um 140 Prozent gestiegen (Gesamtwirtschaft plus 40 Prozent). Die Zahl der Beschäftigten hat sich in diesem Zeitraum nahezu verdoppelt (Gesamtwirtschaft plus 11 Prozent). Doch die Löhne liegen immer noch weit unter dem Durchschnitt und erreichen nur knapp 60 Prozent des allgemeinen Lohnniveaus hierzulande. Attraktivere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne seien aber unumgänglich, um ausreichend qualifiziertes Personal gewinnen zu können, konstatiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in einer aktuellen Studie zum Sozialwesen in Deutschland.
„Der entscheidende Grund für diesen Boom ist die Alterung der Gesellschaft – so ist die Zahl der Pflegebedürftigen seit der Jahrtausendwende um 40 Prozent von 2 Millionen auf fast 2,9 Millionen gestiegen“, so Studienautor Karl Brenke. Die Folge sei eine erhebliche Nachfragesteigerung nach entsprechenden Leistungen. Dies zeigt sich auch in der Beschäftigtenstruktur im Sozialwesen: Knapp die Hälfte ist in Heimen tätig, ein Viertel allein in Pflegeheimen. Ein Drittel arbeitet in der ambulanten Pflege oder in Tagesstätten, ein weiteres knappes Viertel in anderen Bereichen wie der Familien- oder Jugendhilfe. Rund 75 Prozent der Beschäftigten sind weiblich. Die Teilzeitquote ist mit rund 50 Prozent relativ hoch, Mini-Jobs spielen jedoch eine viel geringere Rolle als in der Gesamtwirtschaft.
Dabei fällt eine Verschiebung in der Beschäftigtenstruktur der vergangenen Jahre auf: Während der Anteil der Vollzeitkräfte in Heimen und auch im sonstigen Sozialwesen teilweise deutlich zurückgegangen ist (z.B. in Pflegeheimen 2008 rund 57 Prozent, 2017 nur noch knapp 41 Prozent), wird in der ambulanten Pflege zunehmend Vollzeit gearbeitet (2008: 52,9 Prozent; 2017: 64,8 Prozent). Auffällig ist auch die Zunahme der Helfer in der ambulanten Pflege: Ihre Zahl stieg in den letzten drei Jahren von 29 auf fast 47 Prozent. In den anderen Bereichen wuchs deren Anteil nur marginal. „Offenbar kam es in der ambulanten Pflege zu einer starken Verschiebung der Personalstruktur hin zu wenig qualifizierten Beschäftigten in Vollzeit“, schreiben die Studienautoren.
Zwar sind die Stundenentgelte in der Pflege in den letzten Jahren gestiegen, das Lohnniveau ist in Deutschland jedoch noch immer niedrig – ähnlich wie in Estland, Griechenland oder England. Deutlich besser sieht es hier in den skandinavischen Ländern und Benelux aus (80-92 Prozent des allgemeinen Lohnniveaus). Die niedrigen Löhne haben unterschiedliche Ursachen. Zum einen gibt es relativ viele einfache Tätigkeiten in der Pflege, zum anderen handelt es sich um einen besonderen Markt: Die Nachfrage hängt größtenteils vom Staat oder den Pflegeversicherungen ab. „Um die Beitragssätze in der Pflege niedrig zu halten, werden beispielsweise über die Pflegesätze Preise und damit auch Löhne gedeckelt.“
Ein Dilemma, denn gleichzeitig wächst die Nachfrage nach qualifizierten Kräften. Schon jetzt kommen auf eine arbeitslose Pflegefachkraft 1,3 bei den Arbeitsagenturen gemeldete freie Stellen (für Fachkräfte aller Berufe nur 0,6 offene Stellen). Die Ankündigung der Bundesregierung, 8.000 zusätzliche Fachkräfte in der Pflege einzustellen, sehen die Studienautoren allerdings eher kritisch: „Es bleibt abzuwarten, ob man die finden wird, denn wir haben hier nicht mal 3.000 Arbeitslose.“
Für realitätsnäher halten die Autoren die Ziele aus dem Koalitionsvertrag: eine finanziell attraktivere Ausbildung, bessere Weiterbildungsmöglichkeiten und mehr Flächentarifverträge – wie sie kürzlich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gefordert hat. Bei den Arbeitgebern in der Pflege stößt dies auf weniger Begeisterung: „Tarifliche Einheitslöhne für alle bedeuten zunächst allein höhere Kosten für gleiche Leistungen oder weniger Leistungen für die gleichen Kosten“, kritisiert etwa bpa-Arbeitgeberpräsident Rainer Brüderle. Und schiebt eine altbekannte Forderung hinterher: Die Politik müsse endlich sagen, was ihr und der Gesellschaft insgesamt die Pflege wert sei.
Karl Brenke/ Thore Schlaak / Leopold Ringwald, Sozialwesen: ein rasant wachsender Wirtschaftszweig, DIW Wochenbericht 16/2018, Seiten 305-316
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