Suche
Eine Horrorvision treibt die Industriegesellschaften um: Sind Maschinen, Roboter und Algorithmen gefräßige Jobkiller? Vor kurzem erst griff Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Thema auf dem DGB-Bundeskongress auf. Automatisierung und Digitalisierung bedeuten ihm zufolge nicht, dass die Arbeit ausgehen wird. Die Frage sei eher: Wie sieht sie künftig aus? Auch eine gemeinsame Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) gibt Entwarnung.
Bis 2035 fallen demnach 1,5 Mio. Arbeitsplätze weg, fast ebenso viele entstehen neu. Allerdings sind Branchen und Regionen unterschiedlich betroffen. Wegen ihrer bis 2035 reichenden prognostischen Perspektive soll diese Studie ausführlich betrachtet werden. Auch eine – auf die Gegenwart bezogene – Analyse des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) widerspricht der These vom flächendeckenden Abbau von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung und rät: „Keine Angst vor Robotern.“
Die digitale Transformation einseitig auf ihre technische Machbarkeit zu reduzieren, laufe zwangsläufig auf das falsche Ergebnis einer hohen Substitution menschlicher Arbeit durch Maschinen hinaus, geben die IAB-Autoren zu bedenken. Tatsächlich wirke die Digitalisierung höchst komplex auf den Arbeitsmarkt der ein: „Arbeitsplätze verschwinden, neue werden geschaffen, Anforderungen und Tätigkeiten wandeln sich, (die) Produktion wird effizienter, neue Produkte entstehen, zusätzliches Einkommen wird generiert und gelangt in den volkswirtschaftlichen Kreislauf, Arbeitsangebote und -nachfrage wie auch Löhne und Preise passen sich an.“
Die IAB-Studie vergleicht modellhaft eine im Jahr 2035 vollständig digitalisierte Arbeitswelt (Wirtschaft 4.0) mit einem Industrieszenario auf der Basis des herkömmlichen Strukturwandels (Basisprojektion). Demzufolge werden in der digitalisierten Welt 1,46 Millionen Arbeitsplätze wegfallen, die in der Basisprojektion erhalten bleiben. Dem Verlust in der Wirtschaft 4.0 stehen jedoch 1,4 Mio. neue Jobs gegenüber – was einen sehr geringen Negativsaldo (0,06 Mio.) bei den Jobs ergibt.
Soweit die bundesweite Betrachtung. Bei näherem Hinsehen unterscheiden sich die beiden Szenarien je nach Branche, Region und Beruf dann doch erheblich voneinander.
Fazit: Einzelne Regionen und Berufe dürften von der digitalen Transformation ihrer Wirtschaft stärker als andere betroffen sein. Doch insgesamt werden sich Verluste und Zugewinne in allen bundesdeutschen Regionen fast die Waage halten, sind die Forscher zuversichtlich.
Was beim Blick auf das Große und Ganze leicht aus dem Blick gerät: Der Wandel der Arbeitswelt greift erheblich in das Leben vieler Menschen ein. So reicht laut IAB-Analyse der Anteil aller betroffenen Arbeitsplätze (Gewinn plus Verlust) an der Gesamtbeschäftigung einer Region von 6,1 Prozent in Norddeutschland über 6,5 Prozent in NRW bis zu 6,7 Prozent in Baden-Württemberg. Für NRW etwa sind das in absoluten Zahlen 590.000 Arbeitsplätze, die wegfallen oder neu entstehen.
Auch die IW-Studie sieht keine Belege für Horrormeldungen über massenhaft wegbrechende Arbeitsplätze. Allerdings: „Welche Auswirkungen die Digitalisierung auf die Beschäftigungsentwicklung haben wird, bleibt eine offene Frage.“ Es fehle ein „systematischer Trend“, der klare Aussagen erlaube. Womöglich liegt das auch am kurzen Beobachtungszeitraum der Studie. So zeigt der IW-Personalpanels der Jahre 2014, 2015 und 2017 zwar, dass digitalisierte Firmen ihre Belegschaften häufiger aufgestockt haben als weniger digitalisierte Unternehmen. Offen bleibe allerdings, ob die Digitalisierung für den Beschäftigungsaufbau verantwortlich sei. Weitere Gründe für die unsichere Einschätzung von Beschäftigungseffekten sieht die Studie im Fachkräftemangel und in der sektoral unterschiedlichen Wirkung der Digitalisierung (z. B. Informationswirtschaft: Zunahme; Banken und Versicherung: Abnahme).
Trotz aller prognostischen Unsicherheit betont die IAB-Studie die Schlüsselrolle von Bildung und Weiterbildung bei der Steuerung des tiefgreifenden Wandels in der Arbeitswelt. Arbeitsmarkt- und Strukturpolitik sind besonders gefragt. Die große Politik sollte dabei auf regionale Akteure setzen, damit die unausweichlichen Anpassungen der Arbeitswelt auch sozialverträglich verwirklicht werden.
Die IW-Studie unterstreicht, dass der digitale Wandel kein Schicksal, sondern menschengemacht und darum Gestaltungsaufgabe aller Beteiligten ist. Unter Hinweis auf Komplexität, Tempo und betriebsspezifische Besonderheiten dieses Prozesses enthält sich der Autor detaillierter Empfehlungen. Nur soviel: Die Politik könne die Unternehmen unterstützen, indem sie ihnen Flexibilität ermögliche und beschäftigungsfördernde Anreize biete. Gegenwärtig stünden die Zeichen dafür nicht eben günstig, moniert der Autor und wird dann doch sehr konkret: „Man muss darauf hinweisen, dass die Re-Regulierung des Arbeitsmarktes in den letzten Jahren und die im Koalitionsvertrag angekündigten arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, insbesondere in Sachen Befristung, Arbeit auf Abruf und Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit keinen Beitrag leisten, die Anpassungskapazität am Arbeitsmarkt zu erhöhen oder aufrechtzuerhalten.“
Gerd Zika / Robert Helmrich / Tobias Meier / Enzo Weber / Marc I. Wolter, Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung bis 2035. Regionale Branchenstruktur spielt eine wichtige Rolle, IAB-Kurzbericht 9/2018, 11 Seiten
Download
Detailliertes statistisches Material nach Berufsfeldern, Qualifikationen, Anforderungen und Regionen gibt es unter www.qube-data.de.
Oliver Stettes, Keine Angst vor Robotern. Beschäftigungseffekte der Digitalisierung – eine Aktualisierung früherer IW-Befunde, IW-Report 11/2018, 38 Seiten
Download
Digitalisierung
Die Jobs gehen nicht aus – sie werden nur anders
Pflege
Hightech funktioniert nur mit dem Menschen
Bildung
Deutscher Schulpreis für mutiges Inklusionsmodell
Genossenschaften
200 Jahre Raiffeisen: „Was einer allein nicht schafft, schaffen viele“
Sozialwirtschaft
Sozialwesen in Deutschland: Wachstum top, Lohnniveau flop
Globalisierung
Deutsche zwischen Zweifel und Zuversicht
Demokratie
Fakten oder Fake News? Wahlkampf in Zeiten von Social Media
Buchempfehlung
Yascha Mounk: Zerfall der Demokratie. Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail