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Rowohlt Verlag 2020, 430 Seiten, 24,- Euro
Rutger Bregman gilt als internationaler Shootingstar, seit er bei seinem ersten Besuch beim Weltwirtschaftsforum in Davos im vorigen Jahr die Mächtigsten dieser Welt hart kritisierte. Seine wütende Rede gegen das Establishment, deren Steuervermeidungsmodell er anprangerte, machte den niederländischen Historiker in kürzester Zeit weltbekannt. Das Video seines Auftritts wurde im Netz millionenfach geteilt. In seinem ersten Buch „Utopien für Realisten“ argumentierte der Journalist für das Grundeinkommen für alle. In seiner neuen Geschichte der Menschheit beschreibt Rutger Bregman, weshalb Menschen seiner Meinung nach gar nicht so egoistisch sind, wie oft behauptet wird, sondern: im Grunde gut.
Rutger Bregman verbreitet Optimismus inmitten aller Schreckensnachrichten. Indem er eine ganz zentrale Idee in Frage stellt, die in westlichen Kulturen tief verankert ist und unser Selbstverständnis seit Jahrhunderten prägt. Die These, dass der Mensch des Menschen Wolf und die Zivilisation nur eine dünne Schicht sei. Menschen würden im tiefsten Inneren von dunklen Impulsen geleitet und sobald etwas Außergewöhnliches passiert, breche sich das Animalische Bahn. Aktuelle wissenschaftliche Untersuchungen widerlegen diese Theorie, schreibt der niederländische Historiker. Die Coronakrise kann seiner Meinung nach gut mit der Lage nach Naturkatastrophen wie einem Erdbeben oder einem Tsunami verglichen werden. Meist wird in solchen Extremsituationen über Plünderungen oder Gewaltausbrüche berichtet und somit Menschen in Extremsituationen von ihrer schlechtesten Seite gezeigt. Die Botschaft von Rutger Bregman dagegen lautet: In der Krise finden Menschen einen Sinn für ihr Leben.
„Schaut man sich Hollywood-Filme an, bekommt man den Eindruck, während einer Naturkatastrophe geraten Menschen nur noch in Panik, jeder handelt ganz egoistisch und wird zur Bestie. Aber in Wirklichkeit passiert so ziemlich das Gegenteil“, sagt Rutger Bregman im Skype-Interview mit unserer Autorin. Soziologen haben nach Naturkatastrophen mehr als 500 Fallstudien rund um den Globus durchgeführt. Für den Historiker ist durchweg eine Explosion von Altruismus, von Füreinander da sein zu sehen, viele Menschen sich sozial verhalten und zusammen arbeiten. In den Medien bekommt der Zusammenhalt anfangs dagegen nicht so viel Aufmerksamkeit. „Es lohnt sich offenbar mehr, Panikkäufe zu zeigen und dass die Menschen Unmengen von Sachen horten. Aber gerade in der jetzigen Krise lässt sich erkennen, dass die große Mehrheit ganz naturgemäß sozial handelt und es wirklich eine Menge Leute gibt, die versuchen, einander zu helfen“, sagt der Historiker, der in einer Kleinstadt in der Nähe von Utrecht lebt.
Der Journalist, der für das von Lesern finanzierte Onlinemagazin „The Correspondent“ schreibt, hält ein überaus bemerkenswertes Plädoyer für das Gute im Menschen. Überraschend war für Rutger Bregman dagegen vor allem die Tatsache, dass es auch eine dunkle Seite der Freundlichkeit gibt. Vor allem, wenn Menschen den dringenden Wunsch haben, Teil einer Gruppe, einer Bewegung sein. Im Extremfall entwickelt sich daraus ein großes Misstrauen gegen alle anderen, die nicht dazugehören, sagt der Autor. Manchen fällt es dann sehr schwer, gegen die eigene Gruppe vorzugehen, wenn diese mit ihren Annahmen falsch liegt. Der Historiker erläutert dies am Beispiel von fremdenfeindlichen Konflikten: Wenn da Unrecht geschieht, aber keiner etwas sagt oder eingreift, um nicht als Miesmacher dazustehen. Seine Schlussfolgerung: Es ist einfacher, Mitläufer zu sein, als ein Held.
„Mein Buch ist kein Wohlfühl-Buch“ - kein happy clappy book, wie der Autor es nennt. „Ich gehe definitiv nicht davon aus, alle Menschen sind perfekt und wahre Engel. Ganz sicher nicht.“ Sein Credo: Wir bekommen das von den Menschen, was wir von ihnen erwarten. Wenn wir davon ausgehen, dass die meisten Menschen egoistisch, böse und nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, kann man eine ganze Gesellschaft um diese Idee herum gestalten.“
Schulen, Demokratien, Arbeitsplätze, alles ist für Rutger Bregman so ausgerichtet, dass es nur das Schlechte im Menschen hervorbringt. Dreht man es um und erwartet nur das Beste von den Menschen, geht man also davon aus, dass in den meisten Menschen Zusammenhalt und Freundlichkeit programmiert sind, kann man diese Institutionen auf ganz andere Art und Weise gestalten. Anstatt in der Schule oder am Arbeitsplatz Konkurrenz zu belohnen, wird Empathie und einander helfen anerkannt. „Daran müssen uns jeden Tag auf Neue erinnern.“
Für Rutger Bregman tragen nicht nur Medien und Filme, sondern auch die Literatur zur Legendenbildung des bösen Menschen bei. Viele lesen in der Schule heute noch „Lord of the flies“ („Herr der Fliegen“), William Goldings Roman über eine Gruppe von Jugendlichen, die auf einer einsamen Insel stranden, zu Kriegern werden, einem aggressiven Anführer folgen und andere brutal ausschließen. Der Autor stieß für sein Buch „Im Grunde gut“ auf eine reale Geschichte. In den 1960er Jahren segelten mehrere Schulfreunde von Tonga aus nach Fidschi im Pazifischen Ozean und strandeten auf einer unbewohnten Insel. Über ein Jahr lebten sie dort, bis ein Kapitän namens Peter Warner sie zufällig entdeckte.
Rutger Bregman flog nach Australien, um mit dem Retter der Jungen zu sprechen. Es war für den Journalisten höchst faszinierend. Was Peter Warner erzählte, war für ihn das Gegenteil der "Herr der Fliegen“-Geschichte. Die Buben kochten, arbeiteten und schoben Wache nach einem strengen Zeitplan und ohne großen Streit. Sie waren aufeinander angewiesen, um zu überleben. Die wahre „Herr der Fliegen“-Geschichte ist für den Historiker eine Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt. Die Gestrandeten überleben auf der Insel für 15 Monate und sind Freunde bis heute. „Es war der prägende Moment in ihrem Leben.“ Rutger Bregman schaffte es sogar, einen dieser ursprünglichen „Herr der Fliegen“-Überlebenden zu finden – er ist jetzt 70 Jahre alt, und erzählte ihm die ganze Geschichte.
„Das ist jetzt keine wissenschaftliche Studie, ich sage nur, wenn Millionen Menschen auf der ganzen Welt noch Goldings Roman „Herr der Fliegen“ in der Schule lesen müssen, dann sollten wir ihnen vielleicht auch sagen, was das eine Mal tatsächlich passiert ist, als sich so etwas wirklich ereignete. Denn die wahre Geschichte ist eine von Hoffnung und Resilienz.“ Das belegt Rutger Bregmans These: Katastrophen und Krisen bringen das Beste in vielen Menschen zum Vorschein.
Der Buchtitel hätte auch lauten können „Im Grunde gut, aber Macht korrumpiert“, sagt Rutger Bregman. Für ihn ist Macht eine Droge, mit der man sehr vorsichtig umgehen sollte. Das habe ihn sein Besuch auf dem Weltwirtschaftsgipfel Anfang 2019 in Davos deutlich gezeigt. Der Autor verlangte von den versammelten Millionären höhere und gerechtere Steuern. „Alles andere ist Bullshit!", sagte der Kapitalismuskritiker in Davos. Unendlich viele psychologische, soziologische, historische Beweise belegen seiner Meinung nach, dass Macht korrumpiert. Natürlich gibt es in der Menschheitsgeschichte auch Egoismus, Gewalt, Aggression und Hass.
Der Autor beschreibt auch ausführlich diese dunkle Seite des guten Menschen. Seiner Meinung nach wird aktuell in Demokratien, Schulen und Gesellschaft vor allem der Egoismus gefördert. Die Frage ist für Rutger Bregman: Wer profitiert davon, wenn Menschen als rücksichtslos, egoistisch und böse gelten?
„Diese Idee, dass die meisten Menschen tief drinnen egoistisch und eigennützig sind, war oft im Interesse der Mächtigen. Wenn Sie und ich einander nicht vertrauen können, dann brauchen wir Monarchen, Generäle, Könige, CEOs und Manager, um uns in Schach zu halten. Aber wenn ich sage, die meisten Menschen sind anständig oder Im Grunde Gut, dann ist die Frage, brauchen wir Könige und Manager noch?“ Für den Historiker ist die zentrale Idee seines Buchs „keine Elfenbeinturmphilosophie, sondern ziemlich revolutionär“. Wenn nicht jetzt wann dann, ist es Zeit, sich grundsätzliche Fragen zum Zusammenleben zu stellen. Dazu gehört für Rutger Bregman die Idee des garantierten Mindesteinkommens, bessere Arbeitsbedingungen und Institutionen, die auf das Gute im Menschen setzen.
Am Ende seines Buches hat der Historiker zehn Lebensregeln formuliert, die helfen sollen, an das Gute im Menschen zu glauben. Die wichtigste Regel, die er persönlich versucht zu leben, wie er glaubhaft versichert: Geh im Zweifel vom Guten aus. Sein Tipp: „Nehmen sie im Zweifel das Beste im anderen Menschen an. Erstens liegen Sie damit meistens richtig - und zweitens: Wollen Sie wirklich Ihr Leben so leben, dass sie den meisten Menschen ständig misstrauen?“ Der Preis dafür ist für Rutger Bregman „einfach zu hoch“. Er findet es besser, „den Kollateralschaden zu akzeptieren und ein paar Mal im Leben abgezockt oder getäuscht zu werden“. Besser wäre zudem seiner Meinung nach, „grundsätzlich den meisten Menschen fortwährend zu vertrauen“. „Und wenn Sie noch nie abgezockt wurden, sollten Sie sich die Frage stellen: Ist meine Grundeinstellung zum Leben vertrauensvoll genug?“
„Im Grunde gut“ ist eine überraschend unterhaltsame Reise durch den aktuellen Forschungsstand der soziologischen, biologischen und historischen Geschichte der Menschheit, mit vielen interessanten, amüsanten und tiefschürfenden Anekdoten. Rutger Bregman belegt eindrücklich, dass sich der Mensch im Laufe der Evolution zu einem freundlichen Wesen entwickelt hat und leistet politische Bildungsarbeit im allerbesten Sinne. Der Historiker hinterfragt dabei immer auch seine eigene Weltanschauung und macht Lust, ihm nachzueifern und das eigene Denken beim Lesen zu überprüfen, wie man sich eine gerechtere Gesellschaft vorstellt, was wir Menschen dafür tun können. Oder anders ausgedrückt: Realistisch zu bleiben.
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Susanne Bauer
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