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Was viele Rechtspopulisten von Klimapolitik halten, machte der AfD-Bundestagsabgeordnete Marc Jongen kürzlich in einem Verbalangriff auf Greta Thunberg deutlich. Er sprach die Autismus-Störung der jungen schwedischen Aktivistin an und befand: „Der Fall Greta ist von höchster Symbolkraft für die wahnhafte Klimarettungspolitik im Ganzen.“* Wenn rechte und rechtspopulistische Parteien bei der Europawahl am 26. Mai 2019 erwartungsgemäß zulegen, dürften sie die europäische Klimaschutz- und Umweltpolitik gezielt torpedieren. Eine Studie der Berliner Denkfabrik adelphi analysiert die zugrundeliegenden Positionen.
„Diese Studie untersucht erstmalig empirisch den Zusammenhang von Rechtspopulismus und Klimawandel“, schickt das Autorenduo Stella Schaller und Alexander Carius voraus. Das geschieht anhand von Wahlprogrammen, Äußerungen und Abstimmungsverhalten der europaweit 21 stärksten Parteien dieses Spektrums zu klima- und energiepolitischen Themen. Mit brisantem Bezug: Rechte und europaskeptische Parteien könnten laut Eurobarometer mehr als 150 Sitze (rund 22 %) im Straßburger Parlament zufallen, in sieben EU-Staaten regieren sie bereits mit.
Das Autoren-Duo macht unterschiedliche rechtspopulistische Tendenzen aus: „Von Klimawandelleugnern über konservative Umweltschützer bis zu Verfassungsfeinden am extremen rechten Rand“. Die Studie unterscheidet drei Gruppierungen:
„Leugner und Skeptiker“ wie die AfD, die österreichische FPÖ, die britische UKIP und vier weitere Parteien, darunter auch die Schwedendemokraten und die niederländische Partei für die Freiheit. Sie bestreiten oder bezweifeln wissenschaftliche Erkenntnisse über den Einfluss menschlichen Handelns auf das Klima. Kostprobe von AfD-Fraktionschef Alexander Gauland im Dürresommer 2018: „Wir glauben nicht, dass das sehr viel mit dem CO2-Ausstoß durch die Industrieproduktion oder durch menschliches Tun zu tun hat.“*
„Unentschiedene“ und „Vorsichtige“ wie die Schweizerische Volkspartei (SVP), die Nationale Sammlungsbewegung von Marine Le Pen in Frankreich und neun weitere Parteien inklusive der italienischen Lega Nord und der polnischen Regierungspartei PiS. Verbindendes Merkmal ist die Geringschätzung von Klima- und Umweltpolitik und das Fehlen einer klaren Positionierung dazu.
Eine besondere Rolle nehmen die „Zustimmenden“ ein: Die Fidesz-Partei des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, die Partei Die Finnen (PS) und die lettische Nationale Allianz (NA) „erkennen die Gefahr, die der Klimawandel für die Welt und für ihre eigenen Länder darstellt“, schreibt die Studie.
Im nationalen Kontext zeigen sich rechtspopulistische Parteien dem Umweltschutz aufgeschlossen, stehen für einen bewahrenden Konservativismus, einen „grünen Patriotismus“ oder „Öko-Nationalismus“. Ablehnend reagieren sie, sobald es um multilaterale Zusammenarbeit geht, erst recht bei Fragen rund um Klimapolitik, Migration und Entwicklung des Globalen Südens. Zwei Drittel der Abgeordneten der derzeit im Europäischen Parlament vertretenen rechten Parteien stimmten regelmäßig gegen klima- und energiepolitische Richtlinien und Gesetze, fanden Schaller und Carius heraus. Die Autoren sehen eine direkte Verbindung vom Angriff auf die Klimapolitik zur Diskreditierung der Klimawissenschaft, der freien Presse, der liberalen Demokratie und ihrer Institutionen.
Der Rechtspopulismus orientiert sich jenseits dieser europaweit verbindenden Ideologie an jeweiliger nationaler Interessenpolitik. Die Polen etwa favorisieren die Kohleverstromung in ihrem Land, die Nationale Sammlungsbewegung von Marine Le Pen steht für Atomkraft und eine Abkehr von fossilen Brennstoffen, weil das die Abhängigkeit von Ölimporten vermindert. Überdies würden die Golfstaaten „uns mit ihrem Öl auch ihre Ideologie schicken“, meint die Parteichefin. In Tschechien, der Slowakei und Italien argumentieren Rechtspopulisten gegen vermeintliche Konzern-Interessen, Windräder und Solaranlagen aufzustellen und die Landschaft zu verschandeln.
Die Studie weist darauf hin, wie leicht Klimapolitik sozialpolitisch instrumentalisiert, als wirtschaftsfeindliches Elitenprojekt diskreditiert und zur Kampfansage an das Establishment umgemünzt werden kann. Frei nach der Devise: Die Kosten internationaler Klimapolitik bedrohen den nationalen Wohlstand. Diese Strategie kommt durchaus an, wie der Gelbwesten-Protest in Frankreich beweist – dort begannen die Unruhen als Protest gegen eine ökologisch begründete Erhöhung der Benzinsteuer. „Solche Wut entsteht, wenn einzelne klimapolitische Maßnahmen nicht in eine breitere soziale und Umverteilungs-Politik eingebettet sind und strukturelle Probleme außer acht lassen, wie (…) mangelndes Gespür für jene, die von solchen Maßnahmen am stärksten betroffen sind“, schreiben die Studien-Autoren.
Zwar dürfte es dem rechtspopulistischen Lager nach der Europawahl schwer fallen, in der Klimapolitik trotz ablehnender Haltung geeint aufzutreten. Die Autoren sehen aber die Gefahr, dass die EU der erstarkenden nationalistischen Rhetorik entgegenkommt und ambitionierte Klimaschutzziele aufgibt. Sie fordern daher eine grundlegend neue Erzählweise zukunftsweisender Klima- und Energiepolitik: chancen- statt defizitorientiert, als gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die Kreativität und Kompetenz des Einzelnen anspricht. „Es ist notwendig, eine europäische Erfolgsgeschichte der Klimapolitik zu erzählen, die eine gesunde Umwelt und saubere Luft, vernetzte und günstige Mobilität, Energiesicherheit und zukunftsfähige Arbeitsplätze garantiert und sozialen Zusammenhalt und Entwicklung in den Vordergrund stellt.“
*Die Klimapolitik der AfD, Persönliche Angriffe und Falschaussagen, Deutschlandfunk vom 29.03.2019
Stella Schaller / Alexander Carius, Convenient Truths. Mapping climate agendas of right-wing populist parties in Europe, Hg.: adelphi Consult GmbH, Berlin 2019, 99 Seiten, Download
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