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Beim professionellen Pflegepersonal steht die Ampel auf Rot: „Der Fachkräftemangel in der Altenpflege zeigt sich ausnahmslos in allen Bundesländern“, besagt die aktuelle Statistik. Ende April machte die Bundesregierung in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion eine Bestandsaufnahme: Danach fehlen in der Altenpflege 15.000 Fachkräfte und 8.500 Helfer, in der Krankenpflege gibt es 11.000 offene Fachkräftestellen und 1.500 unbesetzte Helfer-Jobs. Lösungen sind gefragt: Das Institut Arbeit und Technik (IAT) der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen lenkt jetzt den Blick auf eine wenig beachtete Zielgruppe, die Minijobber. Liegt dort verdecktes Potential, um die angespannte Personalsituation in der Pflege zu entzerren?
Pflegeeinrichtungen sondieren schon seit Jahren alle denkbaren Lösungen zur Linderung des Fachkräftemangels. So greifen sie neuerdings verstärkt auf Leiharbeiter zurück, um personelle Engpässe zu überbrücken. Laut Bundesagentur für Arbeit (BA) wurden in der Altenpflege im vergangenen Jahr bundesweit mehr als 7.500 Leiharbeitskräfte beschäftigt, drei Jahre zuvor waren es noch 5.850 Personen. Für Pflegekräfte ist das Zeitarbeitsmodell durchaus eine interessante Option: Hier können sie selbst über das Wann und Wie ihres Einsatzes bestimmen, ohne in Doppel- und Wochenendschichten verschlissen zu werden. Doch kann Leiharbeit eine Lösung für den Fachkräftemangel sein? Bisherige Erfahrungen sind nicht gerade ermutigend. Auch die aktuelle IAT-Studie zu Minijobbern in der Pflege nötigt zu einem eher ernüchternden Urteil.
Der Radius der 2017 entstandenen Studie ist relativ eng, da er sich auf die Region Emscher-Lippe (Bottrop, Gelsenkirchen und Kreis Recklinghausen) beschränkt. Die Autorin untersucht, ob und inwieweit eine Aufstockung der Minijobs den Fachkräftemangel in der Region ausgleichen kann. Dazu wurde zunächst festgestellt, aus welchen Berufen die rund 1.000 Minijobber in der ambulanten Pflege kommen: Knapp die Hälfte hatte einen Abschluss in einem pflegerischen Beruf, rund 41 Prozent einen „sonstigen Berufsabschluss“, etwa sieben Prozent gar keinen Berufsabschluss. 35 Prozent der Minijobber arbeiten in der hauswirtschaftlichen Versorgung, 48 Prozent in der Grundpflege.
Allerdings sind die Betriebe wegen diverser Gesetzesänderungen – unter anderem der Einführung des Mindestlohns 2015 – immer weniger interessiert, Minijobs anzubieten. Der flächendeckende Mindestlohn habe dazu geführt, dass das allgemeine Lohnniveau in der Pflege gestiegen und die Zahl der zu leistenden Stunden für Minijobber gesunken sei, so die Studienautorin. Den Minijob aufzustocken und beispielsweise in ein Teilzeit-Arbeitsverhältnis zu ändern, wäre also durchaus im Interesse der Arbeitgeber.
Für Arbeitnehmer sähe die Sache anders aus. In der untersuchten Region sind fast 90 Prozent der Minijobber in ambulanten Diensten ausschließlich geringfügig beschäftigt (NRW-weit sind es 58 %). Für sie ist eine Aufstockung von Stunden nicht attraktiv, da sie dann über die Verdienstgrenze von 450 Euro monatlich kämen und auf Vorteile wie die Befreiung von Steuern und Sozialabgaben und die Mitversicherung in der Krankenkasse des Partners verzichten müssten. Eine direkte Entlastung des Personals durch Aufstockung von Stundenkontingenten der Minijobber ist daher eher nicht zu erwarten.
Es sei denn, der Arbeitgeber bietet attraktive Dienstmodelle, mit denen Familie und Job besser unter einen Hut gebracht werden können, führt die Studie aus. Zum Beispiel durch sogenannte Mama-Touren mit elternfreundlichen Arbeitszeiten, wo der Dienst erst um 7.30 Uhr beginnt. Im Rahmen von Mitarbeitergesprächen könnten die Beschäftigten über Vor- und Nachteile der verschiedenen Arbeitszeitmodelle informiert und eine gemeinsame Lösung gefunden werden. Hier sehen Arbeitsmarktexperten laut Studie „dringenden Handlungsbedarf“, denn gerade in kleinen Betrieben gibt es offenbar viele Wissensdefizite zu gesetzlichen Möglichkeiten der Arbeitszeitgestaltung.
Weitere Lösungsansätze sieht die Autorin in Gratifikationsmodellen und der Schaffung neuer Gestaltungsräume im Betrieb, die leider wenig konkret werden – vermutlich, weil sie diesen Vorschlägen selbst nicht viele Chancen einräumt.
Weitaus wahrscheinlicher ist, dass Minijobber ihr Stundenkontingent nicht erhöhen wollen. Dann gibt es aber immer noch die Möglichkeit, Arbeitszeiten durch den geschickten Einsatz der geringfügig Beschäftigten verlässlicher zu organisieren – und so die Pflegefachkräfte im Betrieb zu entlasten. Als Beispiel nennt die Studie das Berliner Modellprojekt MoKiS – ein mobiler Kinderbetreuungsservice für Eltern mit besonderen Arbeitszeiten (z.B. am Wochenende oder nachts). Hier ermöglichen geringfügig Beschäftigte ohne pflegerische Grundausbildung den Pflegefachkräften eine Aufstockung ihrer Arbeitszeit, indem sie die Betreuung der Kinder sicherstellen. Minijobber könnten außerdem, je nach Kompetenz, in neue Versorgungsangebote eingebunden werden, zum Beispiel als Präsenzkräfte in Demenz-WGs oder im hauswirtschaftlichen Bereich bei der Seniorenbetreuung. Diese Vorschläge sind gut, allerdings nicht neu.
Laura Schröer, Minijobs in der Altenpflege: Verdecktes Potential zur Kompensation des Fachkräftemangels in der Region Emscher-Lippe? In: Forschung Aktuell, 03/2018, 21 Seiten, hg. vom Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen
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