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Ohne das überwältigende Engagement vieler Tausender Bürger stünde es schlecht um die Flüchtlingshilfe in Deutschland. Die Menschen packen an, halten vielfältige Hilfsinitiativen am Laufen und springen für die überlasteten staatlichen Einrichtungen in die Bresche. Doch Ehrenamt braucht Geld. Staatliche und private Förderprogramme gibt es reichlich, aber das Geld kommt nicht überall an. Fehlsteuerungen in der Förderstruktur lassen ein Drittel der Flüchtlingsinitiativen leer ausgehen. Stattdessen kommt das Geld vor allem größeren, etablierten Organisationen zugute, hat das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) für die Bertelsmann Stiftung herausgefunden. Warum das so ist und wie Abhilfe geschaffen werden kann, untersucht vorliegende Studie.*
37 Prozent der untersuchten Initiativen rufen demnach keine Fördermittel ab, obwohl fast 90 Prozent Bedarf haben, ergab die Befragung der Helfer von 556 Gruppierungen. Die Gründe für diese Zurückhaltung sind laut Studie bürokratische Hürden (58 %), zu wenig Zeit (70 %) und mangelnde Informationen über Fördermodalitäten (48 %). Häufig werden die formalen Voraussetzungen der Förderung nicht eingehalten, weshalb es erst gar nicht zur Antragstellung kommt. So erweist sich die amtliche Vorgabe, dass die Projekte nicht bereits vor Antragstellung starten dürfen, als ein sicheres K.o.-Kriterium für jede Akuthilfe. Weiterer Grund: 38 Prozent der Initiativen haben nur geringe Eigenmittel, wollen aber unabhängig bleiben, um nicht zu Lückenbüßern staatlicher Mangelwirtschaft zu werden.
Größere Träger, Vereine und Verbände haben die erforderlichen Kapazitäten, um erfolgreich durch den Dschungel öffentlicher Förderprogramme zu navigieren. Kleinere Willkommensinitiativen hingegen sind vor allem auf private Spenden angewiesen. Eine bedauerliche Konstellation, findet Serhat Karakayali, einer der Autoren der Studie: „Denn vor allem diese Initiativen waren es, die im Angesicht der Überforderung staatlicher Strukturen wesentliche Aufgaben der Versorgung, Betreuung und schließlich Integration geleistet haben.“
Der Flüchtlingszuzug hat erheblich nachgelassen, die Integrationsarbeit vollzieht sich in weitgehend überschaubaren Bahnen. Dennoch bleibt über Jahre hinweg viel zu tun, insbesondere in der schwierigen Wohnungs- und Jobsuche. Kleine Gruppierungen befürchten eine nachlassende Spendenbereitschaft, zugleich erfordern Kostenfaktoren wie Fahrdienste, Unterricht und soziale Aktivitäten verlässlich verfügbare Geldmittel. Angesichts dieser Situation listen die Autoren einige Ideen zur besseren Verteilung von Fördergeldern zugunsten organisatorisch wenig schlagkräftiger Initiativen auf.
Konkrete Bedürfnisse analysieren: Geldgeber sollten Zweck und Umfang des jeweiligen Hilfsprojekts besser im persönlichen Kontakt mit den Engagierten ausloten, als komplexe Förderprogramme mit der Gießkanne „von oben“ auszuschütten, empfiehlt die Studie. Im Sinne von Synergieeffekten kann auch die Einbeziehung weiterer Akteure mit ergänzenden Hilfsangeboten vor Ort sinnvoll sein.
Information ermöglichen: Kommunale Servicestellen und Freiwilligenagenturen sollten darin geschult werden, die Rohdaten eines ehrenamtlichen Projekts in einen formalen Förderantrag zu übersetzen. Auf diese Weise können sie Ehrenamtler wirksam unterstützen. Auch die Selbsthilfeorganisationen von Flüchtlingen sollten angesprochen werden.
Förderung niedrigschwellig halten: Verwaltungen tun gut daran, Förderbedingungen unbürokratisch zu gestalten. Dazu gehört die Vereinfachung formaler Auflagen, etwa die Abkehr von der Vereinsvorgabe oder vom aufwändigen Berichtswesen. Kostenerstattungen könnten beschleunigt und der Spendenzufluss etwa über Bürgerstiftungen gebündelt werden. Diese Einrichtungen verwalten das Geld treuhänderisch, stellen Spendenbescheinigungen aus und leiten das Geld an die Helferkreise weiter.
Finanzhilfen auch nachträglich bewilligen: Es liegt auf der Hand, dass die Dringlichkeit von Problemlösungen in der Flüchtlingshilfe häufig keine vorausschauende Beantragung von Fördermitteln zulässt. Eine Veränderung der Antragsformalitäten in diesem Punkt wäre vor allem für kleinere Initiativen und Projektgruppen mit geringen Eigenmitteln von Vorteil.
Netzwerke bilden: Lokale Initiativen und Vereine tun gut daran, sich mit anderen Gruppierungen zu vernetzen, um ihren Forderungen gegenüber staatlichen und privaten Förderern geschlossen Nachdruck zu verleihen.
Förderverein gründen: Die Studienautoren empfehlen die gemeinsame Gründung eines Fördervereins, um Kommunen in die Pflicht zu nehmen. Beispielgebend ist die Etablierung des „Förderverein Asyl im Oberland“ (Oberbayern), in den Kommunen des Landkreises einen solidarischen Mitgliedsbeitrag einzahlen, selbst wenn sie keine Flüchtlinge aufgenommen haben.
Privatspender und Unternehmen ansprechen: Die Kommunikation zielt vor allem darauf, Spender, die nicht selbst aktiv werden möchten, durch Geld- oder Sachspenden einzubinden. Das kann auf unterschiedlichen Wegen geschehen, etwa durch persönliche Einladungen ins Projekt oder durch die Möglichkeit zum Imagegewinn. „Anders als bei Förderungen aus staatlichen oder Stiftungsmitteln agieren die Geldgeber hier immer auch als bürgergesellschaftliche Akteure“, urteilen die Studienautoren. Ein Aspekt, den vor allem die informell aufgestellten Initiativen und Projektgruppen nicht aus den Augen verlieren dürfen, schließlich sind Privatspenden ihre wichtigste Einnahmequelle.
Bei aller berechtigten Kritik der Studienautoren an bürokratischen Hürden darf der Nachweis der korrekten Mittelverwendung nicht vernachlässigt werden. Auch dafür gibt es Lösungen: Zum einen müssen Förderprogramme von den Beteiligten vor Ort flexibel angepasst werden, zum anderen sollten einzelne Engagierte in den Hilfsprojekten für die vorschriftsgemäße Verwendung der Gelder einstehen.
* Die Studie wurde vom Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität zu Berlin im Auftrag der Bertelsmann Stiftung erstellt. Empirische Basis sind 34 qualitative Interviews mit Initiativen, Trägern und Geldgebern aus vier Bundesländern (Bayern, Berlin, Niedersachsen, Thüringen). Dazu kommt eine bundesweite Online-Befragung unter 556 Organisationen. Die Erhebung datiert von Februar bis April 2017.
Serhat Karakayali / Mira Wallis / Leif Jannis Höfler | Mareike Heller, Fördermittel in der Flüchtlingshilfe. Was gebraucht wird – was ankommt.
Eine Studie des Berliner Instituts für Integrations- und Migrationsforschung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung Gütersloh 2017, 68 Seiten
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