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Nachhaltige Lebensmittel, Tierwohl und billig: Für Dr. Willi Kremer-Schillings – besser bekannt als Blogger „Bauer Willi“ – ist dieser Dreiklang eine Illusion. Tier- und umweltfreundliche Landwirtschaft muss bezahlt werden, sagt der konventionelle Landwirt aus Rommerskirchen. 2016 veröffentlichte der studierte Agraringenieur sein erstes Buch „Sauerei! – Bauer Willi über billiges Essen und unsere Macht als Verbraucher“, in dem er lesenswert über das Spannungsfeld zwischen Landwirt*innen und Verbraucher*innen schreibt. Nun hat Willi Kremer-Schillings mit „Satt und unzufrieden. Bauer Willi und das Dilemma der Essensmacher“ nachgelegt: Unsere Autorin Maicke Mackerodt hat mit Bauer Willi über Preisverfall, zu strenge Umweltauflagen sowie fehlende gesellschaftliche Akzeptanz und Wertschätzung der Landwirtschaft gesprochen.
In Umfragen geben viele Menschen an, Bio-Produkte zu kaufen. Die Realität sieht anders aus, und das ärgert Willi Kremer-Schillings, besser bekannt als streitlustiger Agrar-Blogger „Bauer Willi“. Für den promovierten Agraringenieur haben sich Konsumenten und Bauern auseinandergelebt. Willi Kremer-Schillings bewirtschaftet seinen 40 Hektar großen Steinbrückerhof in Rommerskirchen ganz konventionell, plädiert sogar für den Einsatz von Pestiziden und wird dafür oft angegriffen. Die Verbraucher haben hohe Anforderungen an die Bauern, stellt der 68-jährige Familienvater fest, und kaufen dann doch nur die preiswerten Lebensmittel im Discounter. Wunsch und Wirklichkeit klaffen weit auseinander, und genau das ist für Bauer Willi das Dilemma der Essensmacher. „Wir Landwirte können alles, mehr nachhaltigen Natur- und Klimaschutz, mehr Artenschutz – es muss uns nur jemand bezahlen“.
„Jeder Lebensmittelkauf ist der Auftrag an uns, das Produkt in der gleichen Qualität wiederherzustellen. Schreiben Sie diesen Satz bitte unbedingt auf“, sagt Willi Kremer-Schillings am Ende des Interviews. „Der Verbraucher soll so handeln und einkaufen, wie er es als Bürger selbst fordert.“ Es gibt zudem offenbar ein Kommunikationsproblem zwischen Stadt- und Landmenschen, so nennt der Autor eines der wesentlichen Dilemmata der Essensmacher. „Wenn ich mich mit Menschen unterhalten, die nichts mit Landwirtschaft am Hut haben, wünschen sie sich zu allererst eine bäuerliche Landwirtschaft zurück: idyllischer Bauernhof, auf dem es Kühe, Schweine, ein paar Hühner, gerne noch ein Pferd gibt. Ziegen und Schafe wären auch nicht schlecht. Und der Bauer hält, in Gummistiefeln und mit Mistgabel in der Hand, einen Schwatz mit den Verbrauchern, während sie ihre zehn Eier für die Woche kaufen.“
Mit seiner Realität hat das für Landwirt Kremer-Schillings nichts zu tun. 1983 übernahm er von seinen Eltern den Steinbrückerhof im niederrheinischen Rommerskirchen und führte ihn bis zu seinem Ruhestand 2014 im Nebenerwerb weiter. Seit 2014 bewirtschaftet er den 40 Hektar großen Ackerbaubetrieb, dessen „sehr fruchtbare Böden zwischen Köln und Düsseldorf liegen“, mit Zuckerrüben, Raps und Getreide. Anfangs in Kooperation mit seinem Nachbarn, inzwischen selbst – und hat daneben Zeit zu schreiben. Seine Wirklichkeit gleiche eher einer Agrarfabrik: „Da steht eine 27-Meter-Pflanzenschutzspritze, der Schlepper wird per GPS gesteuert, ich dünge mit Kunstdünger, spritze (wenn auch nicht oft) Glyphosat und falls ich Tiere hätte, würden diese in riesigen Ställen mit ein paar Tausend Tieren gehalten. Massentierhaltung. Und auf meinen Äckern nur Monokulturen, Getreide, Raps, Zuckerrüben.“
Bauer Willi schreibt und bloggt über kritische Themen wie Massentierhaltung und Nitrat, über Glyphosat, das er Pflanzenschutzmittel nennt, über Insektensterben und Gentechnik, über widersprüchliche Umfragen und fragwürdigen Studien sowie über die Neigung der Politik, nationale Sonderwege mit erheblichen Kostensteigerungen für die Landwirte umzusetzen. „Wenn in Deutschland der Marktanteil von Bio-Schweinefleisch nur 1,6 Prozent beträgt, gleichzeitig aber Massentierhaltung massiv kritisiert wird, stimmt etwas nicht“, schreibt Bauer Willi.
Im seinem Blog klärt Bauer Willi genauso eloquent und transparent wie in seinem Buch über die Realitäten der Landwirtschaft auf. Er wirbt für mehr Wertschätzung für Lebensmittel, für die Arbeit der Bauern – und verteidigt die konventionelle Landwirtschaft. Die biologische lehnt Willi Kremer-Schillings zwar nicht generell ab, hält sie aber für überbewertet. Es sei keine Geldgier, sagt Bauer Willi, weshalb er seinen eigenen Betrieb nicht auf Natur- und Klimaschutz umstelle. „Ich habe nur 40 Hektar, darauf kann ich Lebensmittel anbauen oder Natur- und Klimaschutz machen. Wenn ich statt Zuckerrüben auf 5 Hektar Naturschutz mache, müssten diese 5 Hektar das gleiche Entgelt einbringen. Ich will keine Prämien oder Subventionen, das klingt wie Almosen, das regt mich wahnsinnig auf. Ich will ein Entgelt für meine Leistung“, so der Landwirt.
Weil Kremer-Schillings für den Einsatz von Pestiziden, für konventionelle Landwirtschaft und Tierhaltung plädiert, bezeichnete ihn die Berliner taz 2019 als „Chemie-Lobbyisten“, der nur vorgebe, einfacher Landwirt zu sein, stattdessen „Teil der Agrarindustrie“ sei. Richtig ist, dass der Agrarwissenschaftler nach dem Studium für ein Pflanzenschutzunternehmen in Düsseldorf gearbeitet hat und 20 Jahre bis zu seinem Ruhestand 2014 für den drittgrößten deutschen Zuckerproduzenten. Und er gehörte bis 2020 dem Vorstand der Buir-Bliesheimer Agrargenossenschaft an, die u.a. mit Agrarchemikalien handelt. „Etwa 50 Prozent aller Bauern in Deutschland sind Nebenerwerbslandwirte, weil ihre Betriebe zu klein sind, da gibt es nichts zu beschönigen. Aber ich bin kein Lobby-Teufel,“ so der zweifache Familienvater im Interview.
Der streitlustige Landwirt war 2019 Initiator der grünen Kreuze, ein Symbol, das jetzt auf seinem Buchcover wieder auftaucht. Damals war es eine Protestaktion der Landwirtegegendas „Agrarumweltpaket“. Dabei ging es, verkürzt formuliert, darum, dass in der Landwirtschaft Tierwohl und Insektenschutz stärker berücksichtigt werden sollten. „Grundsätzlich vernünftig", sagt Kremer-Schillings, „nur war kein finanzieller Ausgleich für die Umweltmaßnahmen der Bauern vorgesehen." Jetzt fordert Blogger Willi wieder auf, grüne Kreuze aufzustellen. Diesmal geht es um den Gesellschaftsvertrag der „Zukunftskommission Landwirtschaft“, kurz ZKL, den Landwirte mit 30 gesellschaftlichen Gruppen verhandelt haben. Der Autor fordert die Regierung auf, endlich nach den ZKL-Vorgaben zu handeln. Anderenfalls könnte Deutschland seine Selbstversorgung verlieren und noch abhängiger von Importen werden.
Ein weiteres Dilemma, das dem Landwirt vom Steinbrückerhof am Herzen liegt, ist die EU-Strategie „Farm to Fork“, vom Hof auf den Tisch. „Wir sollen 50 Prozent Pflanzenschutzmittel reduzieren und zu 30 Prozent Bio anbauen“, erläutert Bauer Willi. „Das bedeutet, wenn wir auf die Hälfte der Pflanzenschutzmittel verzichten, wird der Ertrag niedriger sein. Das muss klar sein, wir spritzen ja nicht aus Jux und Dollerei.“ 30 Prozent Bio mache nur Sinn, wenn der Markt für Bio da ist. „Der Ansatz muss sein: Bio-Lebensmittel müssen gekauft werden.“
Mal angenommen, in Deutschland würden alle Lebensmittel nachhaltig produziert, von welchem Preisanstieg reden wir dann? „Lebensmittel sind ja bereits eindeutig teurer, dem Verbraucher zu teuer geworden“, weiß der Autor. „Bei Obst und Gemüse wäre es ein Preisanstieg von hundert Prozent, beim Fleisch ist es, je nach Tier, ein Aufschlag um das Drei- bis Vierfache. Rentner werden sich das nicht leisten können, es muss also weiter billige Lebensmittel geben“, so das Resümee von Bauer Willi.
Im letzten Kapitel schaut der Autor optimistisch nach vorn, zeigt Lösungsvorschläge und Modelle für die Zukunft der Ernährungswirtschaft im Jahr 2040 auf. Es werde weiter eine Landwirtschaft geben, die Masse macht – zu niedrigsten Preisen. Das werde sehr schwierig für viele, dabei mitmachen zu können, schreibt Kremer-Schillings. Zweitens, und das ist die Hoffnung des Landwirts: Eine große Reihe von bäuerlichen Nischenproduzenten, die für sich ein erfolgreiches Geschäftsmodell gefunden haben, von dem sie die nächsten 20 Jahre existieren können. „Und drittens die industrielle Produktion, etwa Laborfleisch oder Kunstmilch, Alternativprodukte zu heutigen Lebensmitteln – Stichwort Haferdrink –, die mit der Landwirtschaft als Primärproduzenten fast nichts mehr zu tun haben. Das werden Konzerne sein – ob das den Verbrauchern gefällt, bezweifle ich.“
Der Autor verschont in „Satt und unzufrieden“ auch nicht die „Vollgas-Bauern“, wie Kremer-Schillings sie nennt – und schon gar nicht die vorgelagerte und nachgelagerte Industrie: Die vier großen Discounter, die Supermärkte, die Politiker und den Bauernverband. Das Buch ist überbordend voll mit Informationen, die aufgrund der kleinen Schrift manchmal schwer zu lesen sind. Er weist lesenswert auf die Zielkonflikte der Landwirte hin: Umweltschutz, Klimaschutz, Artenschutz und Tierschutz auf der einen Seite und hochwertige Lebensmittelproduktion zu Billigpreisen auf der anderen Seite. Das klappt nur, wenn sich Essensmacher und Gesellschaft einig werden, welche primäre Aufgabe Landwirte in Zukunft haben sollen: Sichere und bezahlbare Lebensmittel, mehr Tierwohl, mehr Klimaschutz, mehr Artenschutz? Genau da hakt es: „Die Konsumenten stellen hohe Ansprüche, die sie dann nicht bezahlen wollen“, fasst der Autor die Grundproblematik am Lebensmittelmarkt zusammen.
Weiterführende Links:
www.deutschlandfunkkultur.de/bauer-willi-kremer-schillings-100.html
https://taz.de/Umwelt-und-Landwirtschaft/!5906539/
alle abgerufen am 06.03.2023
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