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Der renommierte Umweltforscher Josef Settele wurde Mitte vorigen Jahres von der Bundesregierung in den Sachverständigenrat für Umweltfragen berufen, nicht zuletzt, weil der Insektenexperte als Co-Vorsitzender des Weltbiodiversitätsrats, abgekürzt IPBES, schon länger die Politik zur biologischen Vielfalt und zu Ökosystemleistungen berät. Der Professor für Ökologie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle an der Saale hat gemeinsam mit Kollegen in Zahlen gefasst, wie Artensterben, Klimawandel und Pandemien zusammenhängen und fordert die Umweltpolitik auf, dringend zu handeln. In „Die Triple-Krise“ beschreibt der Agrarökologe Josef Settele, weshalb Menschen in großem Maße schuld am Zustand der Natur sind.
Die eigentliche Tragödie ist für Josef Settele der Schwund der Insekten, den viele Menschen im eigenen Alltag durchaus wahrnehmen. Der Wissenschaftler und seine Kollegen am Helmholtz-Institut untersuchen bereits seit über 15 Jahren, ob Flora und Fauna schnell genug mitziehen können, wenn sich die Klimazonen durch die Erderwärmung verschieben. Sie fanden heraus, dass viele Tierarten versuchen, sich mit einer Verschiebung ihrer Verbreitungsgebiete nach Norden vor dem Vorrücken der Heißzeit zu schützen – oder sogar davon zu profitieren. Schmetterlinge dagegen liegen in Europa schon heute mehr als 100 Kilometer hinter dem Klimawandel zurück und auch das Verbreitungsgebiet der Hummeln ist bereits geschrumpft.
Zuletzt leitete Josef Settele drei Jahre lang die Arbeit an der größten Bestandsaufnahme zum Zustand der Natur und der Ökosysteme. Im globalen IPBES-Bericht von Mai 2019 heißt es: „Die globale Rate des Artensterbens ist mindestens um den Faktor zehn bis hundert Mal höher als im Durchschnitt der vergangenen zehn Millionen Jahre, und sie wächst.“. Für Wissenschaftler in aller Welt gibt es längst eindeutige Beweise, die den erheblichen Schwund von Hummeln, Faltern, Käfern oder Bienen auf allen Kontinenten belegen. Vor allem Hummeln gelten für Josef Settele als ebenso wichtige Bestäuber wie Honigbienen, sie sind weltweit mit die wichtigsten Helfer in der Landwirtschaft. Aber von etwa 30 Hummelarten, die allein in Deutschland vorkommen, stehen mehr als die Hälfte auf der Roten Liste der bedrohten Arten.
Der Eindruck, viele Hummeln zu sehen und zugleich das Phänomen zu haben, dass viele Arten zurückgehen, widerspricht sich für den Forscher zunächst nicht. „Das ist eigentlich nur für den erkennbar, der sich auch mit Arten intensiver beschäftigt“, sagte Josef Settele im Skype-Gespräch mit unserer Autorin. „Wo man genau sieht, welche Arten werden weniger und welche halten sich noch ganz gut. Das heißt, der Verlust an Biomasse, kann man sagen oder der Menge von Hummeln ist nicht unbedingt dasselbe wie der Verlust an Artenvielfalt.“
Für den weltweit anerkannten Insektenforscher, der im Ostallgäu aufwuchs und bereits mit sieben Jahren anfing Schmetterlinge zu sammeln, ist das, was wir derzeit erleben, global der größte Rückgang an Arten. Besonders schlecht geht es Vögeln und Insekten, die in der Agrarlandschaft leben, beobachtet der Umweltforscher. Der Bestand an Kiebitzen und Feldlerchen sei in den letzten 30 Jahren dramatisch eingebrochen. Vor allem agrarlandtypische Wildbienen und Schmetterlinge kämpfen um ihr Überleben. Einer der Gründe: „Die Landschaft ist zu aufgeräumt“, wie Josef Settele es nüchtern nennt. Jeder Zentimeter Boden wird effektiv für Monokulturen genutzt, sodass viele Arten ihren Lebensraum verlieren.
Hinzu kommt: Die industrielle Landwirtschaft ist ohne den flächendeckenden Einsatz von Pestiziden zur Schädlingsbekämpfung kaum noch vorstellbar. Für den promovierten Agrarwissenschaftler, der früher in landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet und Traktoren getestet hat, ist es „sehr essentiell“, sich mit Landwirten auszutauschen. Für Josef Settele ist ohne Landwirtschaft sehr wenig in Sachen Klimaschutz, in Sachen Naturschutz, in Sachen Artenschutz zu erreichen.
„Ich differenziere sehr stark zwischen der Landwirtschaft als eine Art und Weise, wie unsere Gesellschaft wirtschaftet. Und dem Landwirt, der eigentlich nur ausführendes Organ dessen ist, was anscheinend viele Menschen gerne haben wollen.“ Für den Wissenschaftler mit Schwerpunkt Insekten und Biodiversität macht der Landwirt „ja nicht absichtlich irgendwelche Insekten platt“. Vielmehr will er Ertrag erzielen unter gewissen Bedingungen, die ökonomischgegeben sind. „Da müssen wir als Gesamtgesellschaft aktiv werden und alle mit an Bord nehmen, und deshalb finde ich es immer wesentlich, sich auf Augenhöhe miteinander zu unterhalten.“
Der Artenschwund hat sich beschleunigt und wir verlieren auch in Europa einen großen Teil der Natur, beobachtet Josef Settele. In „Die Triple-Krise“ analysiert und erläutert der Umweltforscher vor allem anhand des epochalen Insektensterbens die Gründe und die Folgen dieser dreifachen Krise. Die unkontrollierte Ausbeutung der Natur, die immer intensivere Landnutzung und die wachsende Verstädterung gehören für den Ökologie-Professor mit zu den wesentlichen Ursachen für den Ausbruch der Corona-Krise. Hinzu kommen ungebremste Abholzungen und Feuerrodungen wie im brasilianischen Amazonasgebiet, die den Klimawandel verstärken. Pandemie, Klimawandel, Artensterben befeuern sich gegenseitig, analysiert Joseph Settele und klingt angesichts der Brisanz erstaunlich zuversichtlich.
Sein Optimismus komme sicher daher, „dass mich das einfach alles sehr fasziniert, ich alles spannend und wertvoll finde, was Natur ausmacht“. Dem Helmholtz-Forscher hilft es, gewisse Dinge partiell zu ignorieren, um nicht zu verzweifeln, wie er es nennt.In „Die Triple Krise“ versucht der Wissenschaftler, für alle, die nach Antworten oder Ideen für hochkomplexe ökologische Fragen suchen, „als Gesprächspartner bereitzustehen und Informationen zu liefern“. Dabei gehe es ihm gar nicht so sehr darum, „Verhaltensregeln nahezulegen oder missionarisch tätig zu sein“. Für Josef Settele „eine Gratwanderung, die ich nach wie vor versuche anzustreben“.
„Erst gehen die Insekten, es folgen Amsel, Drossel, Fink und Star, denen das Futter fehlt“, schreibt Josef Settele. „Dann sterben Karpfen, Frösche und Mäuse.“ Für den Autor sitzen wir „alle in einem riesigen Glashaus voller Rotklee, in dem sich auch ein paar Viren befinden, gegen die Corona wie ein linder Frühlingshauch erscheinen wird“. Insektenschutz ist für denAgrarbiologen „Selbstschutz, denn ohne Insekten gibt es auch uns bald nicht mehr, weil ganze Ökosysteme kollabieren“.
Seit vielen Jahren organsiert Josef Settele das bundesweite Tagfalter-Monitoring, bei dem Freiwillige Schmetterlingsarten zählen. Insekten sind für den Wissenschaftler „der Dreh- und Angelpunt im Ökosystem“ und „das Fieberthermometer des Planeten“. Eigene Studien macht der Biodiversitätsforscher seit über 30 Jahren auch mit dem Großen rotleuchtenden Feuerfalter, der auf dem Buchcover zu sehen ist. „So kriege ich mit, wie sich Landschaft verändert, wie sich Arten zum Teil ausbreiten. Der Feuerfalter hat interessanterweise zugenommen, er profitiert somit vom Klimawandel.“ Er beobachtet eine ungefähr gleichbleibende Stückzahl von Schmetterlingen. Das ist für Josef Settele „das erste Phänomen, was gegen diese Biomassegeschichte spricht, nämlich, dass überall Biomasse zurückgeht; sie sei vielmehr halbwegs konstant geblieben. „Was wir dagegen quer durch Deutschland in letzten zehn Jahren haben, ist ein Verlust an Arten um etwa zehn Prozent auf jede Flächeausgerechnet. Das ist der Mittelwert, das ist schon sehr viel.“
Wissenschaftliche Daten über Insekten zu erheben, braucht Geduld, Fleiß und jahrzehntelange Ausdauer. Zu den Grundvoraussetzungen, um die Triple-Krise zu bewältigen, gehört für den Umweltforscher der respektvolle Umgang miteinander und eine Art Überlebensrecht für Insekten, um die Balance auf diesem Planeten zu wahren. „Wir sindTeil dieses Systems“, mahnt Josef Settele, „und wir müssen das einfach hinbekommen, zu überlegen, wie wir als Art überleben wollen.“
„Good Quality of Life“ ist für den Agrarökologen ein Terminus, „den wir uns beim globalen Assessment auch im Wesentlichen als Ziel gesetzt haben“. Diese gute Lebensqualität hat für den Autor damit zu tun, „sich der Natur zu nähern und ihr offen gegenüberzustehend, sie als positiv zu empfinden, um agieren zu können“.
Trotz der überbordenden Fülle von wissenschaftlichen Studien, Fakten und persönlichen Beobachtungen beschreibt Josef Settele gut verständlich, wie das Artensterben und die Vernichtung von Ökosystemen mit der gegenwärtigen Pandemie zusammenhängen. Er analysiert die komplexen, einander manchmal wiedersprechenden Zusammenhänge und konzentriert sich bei seinem Weckruf auf ökologische und ökonomische Aspekte. Eindrucksvoll erläutert der Autor, wie Biodiversität eine Versicherung für unsere Zukunft sein kann. Anders ausgedrückt: „Natur als positive Empfindung zuzulassen und sie als beschützenswürdig zu empfinden, ist ein ganz wichtiger Schritt.“
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Josef Settele: Die Triple Krise. Artensterben, Klimawandel, Pandemien
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