Suche
2015 gilt als das Jahr, das Deutschland veränderte. So viele Menschen wie nie zuvor suchten hier innerhalb weniger Monate Schutz vor Krieg, Verfolgung und Armut. Im Herbst jährt sich diese Zäsur zum fünften Mal. Noch zu früh für eine Bilanz, aber Anlass genug, auf „erhebliche Fortschritte“ bei der Integration in den Arbeitsmarkt hinzuweisen, meinen die Autor*innen einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Danach hat die Hälfte der Geflüchteten fünf Jahre nach ihrer Ankunft hierzulande einen Job. Ein erfreuliches Bild, das aber auch Grautöne aufweist.
Datengrundlage der Studie ist eine Umfrage des IAB, des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) am DIW Berlin unter rund 8.000 Geflüchteten der Jahre 2013 bis 2016. Rund die Hälfte der Befragten ist fünf Jahre nach dem Zuzug erwerbstätig. 68 Prozent dieser Zuwanderer üben eine Voll- oder Teilzeitstelle aus, 17 Prozent machen eine Ausbildung und drei Prozent ein bezahltes Praktikum. Zwölf Prozent sind geringfügig beschäftigt.
Im Vergleich zu den in den frühen 1990er Jahren aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens nach Deutschland gekommenen Menschen ergibt sich eine interessante Erkenntnis: „Die Arbeitsmarktintegration erfolgt im Durchschnitt einige Monate schneller als bei der Fluchtmigration der 1990er Jahre.“ Damals waren den Experten zufolge die Voraussetzungen hinsichtlich Sprache, Bildung und Ausbildung günstiger, heute sei die Arbeitslosigkeit niedriger und das Beschäftigungswachstum höher. Außerdem werde seit 2015 deutlich mehr in Sprach- und andere Integrationsprogramme für Asylbewerber und anerkannte Geflüchtete investiert.
85 Prozent der Geflüchteten hatten im zweiten Halbjahr 2018 an Sprachkursen teilgenommen, zwei Drittel von ihnen diese auch abgeschlossen. Die Deutschkenntnisse sind gegenüber den ersten Jahren nach dem Zuzug deutlich gestiegen, der geschlechterbedingte Unterschied bei der Kursteilnahme geht zurück, stellt die Studie fest. Insbesondere Frauen mit Kindern unter vier Jahren haben jedoch erheblichen Nachholbedarf.
Bildung gilt neben der Sprache als das Nadelör schlechthin auf dem Weg zur Integration. 62 Prozent der Geflüchteten hatten beim Zuzug mindestens neun Jahre und 40 Prozent mindestens zwölf Jahre lang allgemeinbildende und berufliche Bildungseinrichtungen in ihrer Heimat besucht (in Deutschland geborene Bevölkerung: 97 bzw. 49 %). Aber rund ein Viertel der Geflüchteten hatte keine Schule oder lediglich eine Primarschule absolviert.
Rund 23 Prozent der Erwachsenen haben bisher in Deutschland eine allgemeinbildende Schule, eine berufliche Bildungseinrichtung, eine Hochschule oder Universität besucht oder eine berufsqualifizierende Weiterbildung absolviert, ermittelte die Studie. „Damit ist der Anteil der Bildungsteilnehmer gegenüber dem Vorjahr um 5 Prozentpunkte gestiegen“.
Dennoch gibt es erheblichen Nachholbedarf – erst ein knappes Viertel der Geflüchteten hat eine Bildungseinrichtung besucht. Der Anteil steigt allerdings mit zunehmender Aufenthaltsdauer, und 77 Prozent der Befragten wollen in puncto Bildung zulegen (Männer: 80 %, Frauen: 67 %).
Zu den verbesserten Integrationschancen trug nicht zuletzt auch der steigende Anteil der abgeschlossenen Asylverfahren bei. Das BAMF hatte zwölf Monate nach Antragstellung bei den 2014 oder vorher zugezogenen Geflüchteten 43 Prozent der Asylanträge erstinstanzlich entschieden, bei den 2016 und später Geflüchteten aber bereits 73 Prozent. Die Folge: „Mit höherer Rechtssicherheit über den Aufenthaltsstatus steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Unternehmen in Beschäftigungsverhältnisse investieren und Geflüchtete in den Erwerb von Sprachkenntnissen und anderem Humankapital.“
Die Autor*nnen werten den Erfolg erhöhter Erwerbstätigkeit als starken Hinweis auf das verbesserte Angebot an Integrations- und Sprachkursen sowie an Maßnahmen zur Qualifizierung und Arbeitsvermittlung. Allerdings mache sich bei allen diesen Maßnahmen der sog. Lock-in-Effekt bemerkbar: Sie erschwerten und verzögerten die Arbeitsaufnahme zunächst, um sie dann zu beschleunigen. Erfreulicherweise gelingt es vielen Zuwanderern, ihre Berufserfahrung auch ohne formalen beruflichen Bildungsabschluss in ihren Herkunftsländern zumindest teilweise in den deutschen Arbeitsmarkt zu transferieren.
Trotz der Fortschritte bei der Integration in den Arbeitsmarkt dürften zusätzliche Anstrengungen nicht nachlassen, sind sich die Autor*innen einig. Zur Selbstgefälligkeit bestehe kein Grund, schließlich seien auch aus Skandinavien und Österreich vergleichbare Entwicklungen überliefert. Überdies gebe ein florierender Arbeitsmarkt Rückenwind. Konkret sollten vorhandene Sprachlücken der Geflüchteten durch berufsbegleitende Sprachprogramme geschlossen werden, so die Empfehlung. Das erst ansatzweise ausgeschöpfte Potenzial zur Allgemein- und Berufsbildung müsse weiter entwickelt werden. „Davon werden vermutlich die Aufstiegschancen der Geflüchteten im deutschen Arbeitsmarkt wesentlich abhängen“, äußern die Wissenschaftler*innen.
Herbert Brücker / Yuliya Kosyakova / Eric Schuß, Fünf Jahre seit der Fluchtmigration 2015: Integration in Arbeitsmarkt und Bildungssystem macht weitere Fortschritte, in: IAB-Kurzbericht, 4/2020, 16 Seiten, Download
Digitalisierung
Schwachstelle Digitalkompetenz: Mittelstand unter Druck
Soziales
Fridays for Future: Protestbewegung unter der Lupe
Integration
Vom Flüchtling zum Mitarbeiter – in fünf Jahren
Soziales
Zuwandern und Bleiben im ländlichen Raum
Arbeitswelt
Wer von zu Hause arbeitet, ist kein Minderleister!
Arbeitswelt
Sabbatical: Gut geplant raus aus dem Hamsterrad
Bildung
Kitas heftig gefordert: Selbstregulation als Super-Skill
Buchempfehlung
Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail