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Das Leben lässt sich wie ein Buch lesen, bestehend aus Abschnitten und Kapiteln. Dazwischen liegen Übergänge, sanft oder abrupt. Sie verändern den Lauf der Dinge spürbar – in Richtung neuer Entwicklungschancen oder bedrohlicher Krisen. Eine aktuelle Expertise des Berliner Instituts für Gerontologische Forschung, erstellt im Auftrag der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), setzt sich mit Lebenseinschnitten älterer Menschen auseinander: mit dem Übergang in Ruhestand und Pflegebedürftigkeit sowie mit der Verwitwung. Die Expertise analysiert Risikofaktoren für einen persönlich belastenden Verlauf dieser Einschnitte und rückt Anknüpfungspunkte für Prävention und Gesundheitsförderung in den Blick.
Phasen des Umbruchs krempeln den Alltag um und stellen die Lebensplanung in Frage. Wie sie erlebt und verarbeitet werden, hängt wesentlich von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen und seiner Verankerung in der räumlichen und sozialen Umwelt ab. Zur Berücksichtigung dieser Faktoren für die untersuchten Lebenseinschnitte greifen die Autoren auf Modelle der Mensch-Umwelt-Beziehung sowie der Salutogenese von Antonovsky zurück. Daraus leiten sie ab, welches Gesundheits- bzw. Krankheitspotenzial die unterschiedlichen Zäsuren haben und welche gesundheitsfördernden Maßnahmen gefragt sind.
Von den drei untersuchten Einschnitten ist das Chance-/Risikoverhältnis beim Ruhestand noch recht ausgeglichen. Das Ereignis ist planbar und für viele Menschen mit angenehmen Erwartungen verbunden. Beruflicher Stress entfällt, neue Ziele können die gewonnene Zeit mit Freude und Sinn erfüllen. Dieser Übergang setzt die meisten Menschen nicht der Gefahr einer verschlechterten Gesundheit oder erhöhten Sterblichkeit aus.
Es kann aber auch anders kommen. Personengruppen mit niedrigem sozio-ökonomischen Status, finanziellen Belastungen oder chronischer Krankheit sowie Alleinlebende ohne soziales Netzwerk sind gefährdet. Der Ruhestand setzt sie dem Risiko mangelnden finanziellen Spielraums, geringer Mobilität, eingeschränkter Gesundheitsvorsorge und sozialer Isolation aus.
Schwindende Selbstständigkeit, erschüttertes Selbstvertrauen, Scham und nachlassende Sozialkontakte – wer zum Pflegefall wird, muss lernen, mit unwiederbringlichen Verlusten zu leben. Inwieweit das gelingt, hängt von den Umständen ab: „Pflegebedürftigkeit kann graduell und unter guter Verfügbarkeit benötigter Ressourcen eintreten oder plötzlich und unerwartet mit zudem ungenügenden materiellen und immateriellen Ressourcen“, beschreibt die BZgA-Expertise das Spektrum der Möglichkeiten. Wichtig: Unterstützung sollte Pflegebedürftigen und Pflegenden gleichermaßen zugute kommen.
Der Tod des Partners bedeutet nicht nur einen emotionalen Schlag für den Hinterbliebenen. Er bringt häufig auch einen Verlust wichtiger Ressourcen mit sich, zum Beispiel finanzieller Mittel und unterstützender Sozialkontakte. Dieser Einschnitt beeinträchtigt häufig die psychische Gesundheit. Gerade einkommensarmen Haushalten und Frauen, die über keine ausreichende Rente verfügen, droht die finanzielle Schieflage. Männer hingegen erkranken öfter psychisch bis hin zu Depression und Suizidgefährdung. Das Risiko vermehrter Medikamenteneinnahme, darunter Psychopharmaka und Schlafmittel, ist erhöht.
Ziel vorliegender Expertise ist, das professionelle Wissen über kritische Lebensereignisse im Alter zu bündeln, um adäquate Unterstützungs- und Selbsthilfearrangements zu schaffen. Das Thema wird künftig eine wachsende Rolle spielen, wie aktuell auch mehrere Expertenbeiträge auf dem Public-Health-Kongress am 20./21. März 2018in Berlin belegen (www.armut-und-gesundheit.de).
Die wichtigste Empfehlung der Expertise zielt auf die Schaffung kommunaler Präventionsnetze entlang der kritischen Lebensübergänge älterer Menschen. Angesprochen sind vor allem Hausärzte, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, Vereine und Bildungsträger, Kirchen und ehrenamtliche Initiativen. Regelmäßige präventive Hausbesuche und zugehende Angebote bei den Betroffenen erleichtern es, soziale Kontakte aufzubauen und belasteten Personen einen niedrigschwelligen Zugang zur Hilfe anzubieten. Der Kommunalverwaltung als zentraler Einrichtung obliegt es, das Präventionsnetz zu unterstützen und auf eine breite Basis lokaler Akteure zu stellen.
Annette Franke / Josefine Heusinger / Nadine Konopik / Birgit Wolter,
Kritische Lebensereignisse im Alter – Übergänge gestalten. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hg.), Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung, Band 49, Köln, 131 Seiten.
Kostenlos erhältlich über die Bestelladresse BZgA, Maarweg 149-161, 50825 Köln und unter www.bzga.de
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