Suche
Plastik ist ein wahres Multitalent: Es ist langlebig, leicht, elastisch und erschwinglich. Doch seine Schattenseiten sind nicht länger zu übersehen. Plastik vermüllt die Weltmeere, bedroht die Tierwelt und zersetzt sich kaum. In winzigen Partikeln, als Mikroplastik, ist es längst auch in unserem Essen und im Organismus nachgewiesen, wo es im Verdacht steht, Hormonstörungen und Krebs zu verursachen. Nur was hilft gegen die Plastikflut? Selbst umweltbewusste Menschen können den verhängnisvollen Wunderstoff nicht völlig aus ihrem Alltag verbannen. Antworten gibt das spendenfinanzierte Forschungsprojekt des Freiburger Öko-Instituts: „Ohne Plastik leben – aber wie!?“ Es steht auch als mehrteiliger Blog „#plastikfrei leben“ zur Verfügung.
„Wir betrachten in unterschiedlichen Szenarien, was eine konsequente Einschränkung der Kunststoffnutzung mit sich bringt“, erklärt Andreas Köhler, Senior Researcher am Öko-Institut. „So analysieren wir, was ein radikaler Verzicht auf Plastik für unsere Lebensweise bedeuten würde, aber auch, wie sich ein schrittweiser Ersatz auswirkt.“ Dabei werden ökologische, soziale und ökonomische Vor- und Nachteile erforscht. Das Projekt nimmt drei große Verursacher unter die Lupe: den Abrieb von Autoreifen, Kunstfasern aus Kleidung und Plastikverpackungen von Lebensmitteln.
In der Diskussion um Plastikvermeidung spielen Fahrzeugreifen bislang kaum ein Rolle, obwohl sie mit 100.000 Tonnen Mikroplastik oder etwa einem Drittel des Gesamtaufkommens pro Jahr die größten Verursacher von Kunststoffpartikeln in der Umwelt sind. Der Reifenabrief ist aufgrund der vielen Beschleunigungs- und Bremsvorgänge in den Innenstädten besonders hoch und gelangt von hier über die Kanalisation in die Gewässer. Lösungsansätze ergeben sich auf drei Ebenen: Zum einen können Verbraucherinnen und Verbraucher durch schonende Fahrweise, richtigen Reifendruck und eine Einschränkung des Autofahrens zur Reduzierung schädlicher Kunststoffpartikel beitragen. Zum anderen könnten Möglichkeiten, auch ohne eigenes Auto mobil zu sein, stärker genutzt werden: durch Radfahren, Carsharing, Mitfahrgelegenheiten und den öffentlichen Nahverkehr. Schließlich empfehlen die Studienautoren, Verbraucherinnen und Verbrauchern mittels standardisierten Tests auf Abrieb sowie einem EU-weiten Label schon beim Reifenkauf umweltfreundliche Entscheidungskriterien an die Hand zu geben.
Synthetische Fasern wie Polyester sind über den gesamten Lebenszyklus hinweg eine große Umweltbelastung: von der Produktion der Chemiefasern über die Herstellung der Kleidung bis zur Verbreitung von Mikropartikeln während des Tragens, Waschens und Trocknens. So werden bei jedem Waschvorgang Millionen von Mikrofaserbruchstücken aus dem Textil gelöst und über das Abwasser in die Natur geleitet. Schnell drehende Modezyklen sorgen dafür, dass massenhaft abgelegte Kunstfasertextilien als Second-Hand-Ware ins Ausland exportiert werden und dort schließlich auf riesigen Müllkippen landen. „Anstatt der Kleidung sollten wir unsere Einstellung wechseln“, legen die Studienautoren nahe. Weniger kaufen! heißt die Devise.
Die Hersteller können durch Verzicht auf fluorhaltige Beschichtungen – in Outdoor-Kleidung verbreitet – und durch den Einsatz zellulosebasierter Faserwerkstoffe und biologischer Materialien (z. B. Merinowolle und Seide) ein Zeichen setzen. Nur: „Diese Materialien haben ihren Preis. Der Markterfolg alternativer Textilmaterialien und Kleidung ohne giftige Chemikalien entscheidet sich deshalb an der Kasse.“ Konsumentinnen und Konsumenten können abwägen, ob teure Hightech-Funktionen in der Alltagskleidung wirklich nötig sind. Politisch ließe sich verändertes Kaufverhalten durch eine ermäßigte Mehrwertsteuer auf Reparatur und Aufbereitung gebrauchter Kleidung unterstützt werden.
Plastikverpackungen gehen mit Bequemlichkeit und Zeitgewinn einher, weshalb sie so beliebt sind. Convenience-, Fast Food- und To-go-Kultur prägen unseren Lebensstil und produzieren Riesenmengen an Plastikmüll. Teil des Problems ist das „Littering“, das Wegwerfen des Abfalls in die Umwelt. Zdem akzeptieren Konsumentinnen und Konsumenten, dass viele abgepackte Lebensmittel weniger Vitalstoffe haben und durch Konservierungsmittel und Farbstoffe „konsumfreundlich“ getrimmt werden. Welche Lösungen empfehlen die Autoren? Zunächst einmal den Ersatz von Plastik- durch genormte Mehrweg-Behälter, den Einkauf in Unverpacktläden und eine frische Zubereitung des Essens. Auch der Staat solle regulierend eingreifen, etwa über die Ausweitung des EU-Verbots von Einweg-Kunststoffen als Verpackungsmaterialien und durch gesetzliche Vorgaben zugunsten recyclingfähiger Verpackungen.
Die Forscher des Freiburger Öko-Instituts richten einen eindringlichen Appell an Zivilgesellschaft, Industrie und Wissenschaft, sich der „Plastokalypse“ – ein unser Leben bedrohendes Ausmaß an Umweltplastik – entgegenzustellen. „Bisherige technische Lösungsstrategien wie Ökodesign, biobasierte Kunststoffe, kompostierbare Kunststoffe, Verpackungsrecycling sind keine Lösung für das Problem, da trotzdem immer mehr Kunststoffabfall entsteht“, stellen sie fest.
Das Problem müsse an der Wurzel gepackt werden: durch kalten Konsum-Entzug, durch ein Mehr an Zeit statt mehr Konsum. Es gelte, durch Reparieren, Wiederverwenden und Teilen eine längere und intensivere Nutzung von Kunststoffprodukten zu erzielen.
Nicht nur Verbraucherinnen und Verbraucher sind gefordert: Die Politik müsse endlich einen ordnungsrechtlichen Rahmen schaffen, um Plastikverzicht zu belohnen: indem die Kosten für plastikbedingte Umweltschäden auf die Preise von Kunststoffprodukten aufgeschlagen würden. Industrie und Handel müssten plastikfreie Alternativen anbieten und effektive Pfand- und Mehrweg-Kreisläufe einrichten.
Dr. Andreas Köhler / Moritz Mottschall / Martin Möller, #plastikfrei leben. Mikroplastik in der Umwelt: Warum ein kalter Entzug nötig ist. Hg.: Öko-Institut e. V., Institut für angewandte Ökologie, Freiburg
Die Ergebnisse des Spendenprojekt „Ohne Plastik leben – aber wie!?“ stehen jetzt in vier Texten zum Thema #plastikfrei im Blog des Öko-Instituts zur Verfügung:
Soziales
„Gutes richtig machen und Richtiges gut machen“
Fundraising
Gemeinnütziges Vererben im Aufwind
Fundraising
Uni-Kliniken: Wer spendet und warum?
Gesundheit
Schwächen Fitness-Apps das Solidarprinzip der Krankenversicherung?
Pflege
Fachkräfte: Kaum gekommen, schon zerronnen
Bildung
Drastischer Personalmangel in der Kita-Betreuung
Ökologie
Mikroplastik: Letzter Ausweg kalter Entzug
Buchempfehlung
Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail