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Blessing Verlag 2018, 240 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-89667-513-2
Wie bewahrt man seinen Lebensmut, wenn sich die Welt so radikal wandelt? „Die Angst kommt von alleine, um das Zuversichtlich werden müssen wir uns bemühen“, so Ulrich Schnabel (56). Der Wissenschaftsjournalist, der seit 1993 bei der Wochenzeitung „Die Zeit“ arbeitet, hat zwei Jahre dem Phänomen Zuversicht nachgespürt. Er will mit seinem Plädoyer für mehr Zuversicht ein Gegengewicht zu den politischen Angst-Strömungen schaffen. Weil er weiß, wie wichtig in der komplexen gegenwärtigen Gesellschaft ein positiver Blick in die Zukunft ist. In seinem Buch arbeitet Ulrich Schnabel heraus, welchen Antrieb die Zuversicht braucht: „Die Kraft der inneren Freiheit“, heißt es um Untertitel
Zuversicht ist für Schnabel nicht gleichzusetzen mit Hoffnung oder plattem Optimismus, obwohl das im normalen Sprachgebrauch häufig durcheinandergeht. Das alles ist es gerade nicht. „Der Optimist geht davon aus, dass am Ende alles gut geht. Der Zuversichtliche betrachtet die Zukunft nüchterner, realistischer. Er sieht sowohl die Chancen als auch die Schwierigkeiten. Zuversicht und Optimismus werdend zwar gern synonym verwendet, Zuversicht hat für mich eine positivere Energie“, sagt Ulrich Schnabel im Gespräch mit unserer Autorin. „Gerade in der heutigen Zeit, wo eine ängstliche, besorgte Stimmung in der Bevölkerung herrscht, ist es wichtig, sich auf die Suche nach den inneren Quellen zu machen, die uns Zuversicht vermitteln.“
Die Zuversicht speist sich für Ulrich Schnabel definitiv nicht aus äußeren Bedingungen, sondern verbündet sich vor allem mit der inneren Haltung: Wie stelle ich mich zu äußeren Lebensbedingungen, selbst wenn diese fatal sind? Eine schwere Krankheit, ein Schicksalsschlag. Man entscheidet immer selbst, sagt der studierte Physiker, lasse ich mich deprimieren, wenn die Lage schlecht ist? Oder bleibe ich gelassen. „Ich habe die innere Freiheit und die Wahl zu sagen, ich setze etwas dagegen und entscheide mich für den konstruktiven Umgang.“
Um in der heutigen Zeit so etwas wie Zuversicht und Gelassenheit entwickeln zu können, ist es wichtig, diese innere Freiheit in sich zu entdecken. Anstatt nur auf die äußeren Veränderungen zu starren – bin ich beliebt, habe ich Erfolg, besitze ich das neueste Handy, kann ich mir das schnellste Auto leisten? – lieber nach den Quellen suchen, „die einem innerlich Kraft geben“. In jungen Jahren spürt man eher überschäumend viel Zuversicht, im Alter sieht man vor allem die Schwierigkeiten. Wichtig ist, sich auf seine inneren Zuversichtsquellen zu besinnen, wie Familie, Natur, Kunst oder soziales Engagement.
Als Ulrich Schnabel vor gut zwei Jahren anfing zu recherchieren, wusste er zunächst gar nicht, wie der Zustand genau heißt, nach dem er suchte. Das kam erst beim Schreiben. Ursprünglich war „Zuversicht“ gar nicht so positiv konnotiert wie heute. Zuver-SICHT bedeutete: Mit klarem Blick, mit klarer SICHT auf die Zukunft schauen. „Ein nüchterner Blick, ohne Illusionen über den Ernst der Lage“, erläutert der Publizist. Über die Jahre wandelte sich die Bedeutung erst hin zum Religiösen („Jesus meine Zuversicht“), dann lag der Fokus auf den menschlichen Fortschritt. „Zuversicht“ ist kein schrilles Think-positive-Denken, sondern bedeutet für Ulrich Schnabel, „selbst unter schwierigen Handlungsbedingungen noch Möglichkeiten zu sehen.“
„Ich habe gemerkt, wenn ich in der ZEIT-Redaktion viel Nachrichten las, fühlte ich mich abends niedergedrückt“, so der Wissenschaftsjournalist. „Wir sind darauf getrimmt, automatisch eher auf Probleme und Gefahren zu starren, als auf das Gute und Positive. Wir erinnern uns stärker an Niederlagen als an Erfolge.“ Für den Autor ist das ein Grundzug der menschlichen Psyche, ein Erbe aus unserer Evolution. „Damals haben eher die Bedenkenträger überlebt, die hinter jedem Busch eine Gefahr vermuteten. Dieser Grundzug kippt heute ins Negative.“ Hinzu kommt: „In der globalen Mediengesellschaft werden wir mit sämtlichen Büschen auf der ganzen Welt konfrontiert. Wenn wir vor allen Büschen Angst haben, ist das ein wahnsinniges Negatividentitätspotential. Angst bekommen wir automatisch, für die Zuversicht müssen wir uns entscheiden. “
Für das Buch über die Zuversicht gab es mehrere Anlässe. Neben den eigenen Erfahrungen, von den Nachrichten niedergedrückt zu werden, steht auch der professionelle Blick: „Wieso herrscht eine so ängstliche, bedrückte, beinah panische Stimmung in der Bevölkerung, obwohl es uns so gut geht? Telefoniere ich mit unseren Korrespondenten“, erzählt der Autor, „sind die ganz fassungslos und sagen: Hier geht es den Menschen wirklich schlecht, was ist bei Euch eigentlich los? Das hat mich auch umgetrieben und das Thema innere Freiheit.“
Doch Obacht: Ulrich Schnabel hat keinen Ratgeber geschrieben. Vielmehr verknüpft er psychologische Erkenntnisse mit politischer Analyse. In den ersten beiden Kapiteln erklärt der Wissenschaftsjournalist die Proteste der Gelbwesten in Frankreich, den anstehenden Brexit, die Erfolge der AfD und den großen Frust der Wählerinnen und Wähler hierzulande. „Da passiert etwas sehr Grundsätzliches, und ich habe versucht, das mit reinzuweben. Es geht mir nicht nur darum, was kann ich tun, um zuversichtlich zu werden.“ Und der Publizist erzählt erstaunliche Geschichten von Menschen, denen ihre Zuversicht half zu überleben.
Bürgerrechtler Nelson Mandela hatte gleich zwei innere Quellen, die seine Zuversicht über drei Jahrzehnte im Gefängnis speisten: den Zusammenhalt mit den Mitgefangenen und den politischen Kampf gegen die Apartheid. Für den Publizisten hängen die Zuversicht und der Sinn des Lebens sehr eng zusammen. Wer sein Leben als sinnvoll erlebt, eine sinnvolle Aufgabe hat, der ist „zuversichtsbevorzugt“, wie Ulrich Schnabel es nennt.
Ein „Extrembeispiel“ für den Unterschied zwischen Zuversicht und simplem Optimismus ist für den Naturwissenschaftler Stephan Hawking. Aufgrund seiner Muskelerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) hat er klugerweise das gemacht, was in solchen Situationen immer zu empfehlen ist: „Er hat sich nicht mit dem Problem beschäftigt, sondern mit den Dingen, die ihm noch möglich waren.“ Gemeint ist, „die innere Freiheit entdecken, wenn es im Äußeren keinen Veränderungsspielraum gibt“. Der im vorigen Jahr verstorbene Stephen Hawking hatte null Überlebenschance – und starb nach einem langen erfüllten Leben mit 76 Jahren.
Sein Leben etwas Sinnvollem widmen, das gab auch Juliane Koepcke Zuversicht. Sie überlebte 1971 als 17-jährige einen Flugzeugabsturz im peruanischen Regenwald, macht sich alleine auf den Weg und stand am zehnten Tag, fast verhungert, vor der Frage: Wie geht es weiter? Der Teenager beschloss, sein Leben der vom Vater gegründeten Forschungsstation Panguana zu widmen. „Sie stellte ihr Leben in den Dienst einer guten Sache, überlebte und hielt Wort.“ 2011 wurde Panguana dank dem Engagement der Tochter zum Naturschutzgebiet erklärt.
Gleichzeitig schaffte Juliane Koepcke es, trotz doppeltem Kreuzbandriss im Knie, zehn Tage keine Schmerzen zu haben. Im Buch beschreibt Ulrich Schnabel den positiven Einfluss der Zuversicht auf die seelische und körperliche Gesundheit. Er belegt mit einer Übersicht an medizinischen Studien, wie sie den Umfang und Verlauf von Krankheit beeinflussen kann. „Selbst bei körperlichen Verletzungen hat der Körper einen gewissen Spielraum an Reaktionsmöglichkeiten. Das finde ich stark.“
Liest man die positiven, konstruktiven Geschichten, was Menschen durchgemacht haben, spürt man: Der Blick auf die Welt ändert sich. Auch der Autor selbst erlebt den positiven Effekt: Liest er die Episoden während eines Stimmungstiefs nochmal, sehen die eigenen Sorgen plötzlich anders aus.“ Das Gegenteil von Zuversicht wäre für Ulrich Schnabel „wahrscheinlich die Depression, die Unfähigkeit eine Zukunft zu konstruieren. Alles ist düster, man sieht keine Handlungsmöglichkeiten, sitzt in einem tiefen Loch, fühlt sich unfähig und ohnmächtig. Genau dann braucht man andere Kraftquellen.“
Für Ulrich Schnabel sind die Resonanz mit anderen und das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun, wichtiger als materieller Besitz: „Soziale Beziehungen sind die wichtigste Ressource seelischer Widerstandskraft. Eine riesige Zuversichtsquelle. Wenn man etwas hat, was Resonanz beschert oder Sinn vermittelt, hat man schon fast gewonnen.“ Das kann ein erfüllter Beruf sein, eine ehrenamtliche Tätigkeit, Meditation oder der Glaube. Aber auch die Beschäftigung mit Musik oder Literatur. Die Wege zu einem zuversichtlichen Leben sind für Ulrich Schnabel vielfältig.
Der Autor selbst pflegt mittlerweile seine Zuversichtsquellen: Die Familie mit den beiden Kindern. Das Gefühl, seine Arbeit als Autor und Journalist ist sinnvoll – auch für andere. Er meditiert jeden Morgen, „um den Kopf frei zu kriegen“, spielt abends zur Entspannung amateurhaft (Silent-)Klavier, „was stumm geschaltet ist. Das sichert den Hausfrieden“.
Im Grunde ist Ulrich Schnabels Buch ein Plädoyer für die Kunst der Gelassenheit. Ein Highlight des Buches sind die vielen konkreten, psychologisch gut recherchierten und tragfähigen Ratschläge am Ende des Buches. Eine Art „Erste-Hilfe-Programm für Fälle akuter Hoffnungslosigkeit“, die „zuversichtlichen Zehn gegen chronische Stimmungstiefs“. Zuversicht heißt für Ulrich Schnabel nichts weiter als trotz widriger Umstände den Mut zu behalten.
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