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„Ich möchte einfach so akzeptiert werden, wie ich bin!“ Diesen tiefen Wunsch äußern viele Menschen mit Behinderung, wenn sie nach ihren Inklusionserwartungen gefragt werden. Das Menschenrecht auf Zugehörigkeit, Solidarität und gleiche Entwicklungschancen wird in unserer Gesellschaft häufig beschworen, doch im Alltag hapert es an der Umsetzung. Ein innovatives Fortbildungsprojekt der Fortbildungs-Akademie des Deutschen Caritasverbandes e. V. in Freiburg lässt den Worten Taten folgen. Das Resultat liegt jetzt in einer Sammlung alltagserprobter InkIusionsprojekte mit Leuchtturmqualität vor.
„Unsere Beobachtung hat ergeben, dass in der Behindertenhilfe und den Verwaltungen ein großer Nachholbedarf an Inklusion besteht“, erklärt Gabriele Ruck, Dozentin an der Fortbildungs-Akademie der Caritas. Es stehe nicht infrage, dass es mehr Inklusion geben müsse, sondern wie man sie lebensnah gestalten könne. „Angesichts knapper Mittel und Zeitbudgets werden inklusive Projekte häufig als zu kosten- und personalintensiv gar nicht erst zugelassen oder einfach auf Eis gelegt.“
Vor diesem Hintergrund entstand die Weiterbildungsreihe „Kompetent für Inklusion“: sechs Kurse zwischen 2015 und 2017 mit 73 Teilnehmenden. Die Liga Baden-Württemberg, das Land Baden-Württemberg und Aktion Mensch leisteten finanzielle Unterstützung. Die Kursteilnehmenden kamen aus der Behindertenhilfe und Psychiatrie; sie waren entweder selbst Betroffene, also Menschen mit körperlichen und geistigen Handicaps, mit Sinnesbehinderungen, Psychiatrie-Erfahrene oder Fach- und Führungskräfte sowie Bezugspersonen von Betroffenen. „Das Besondere der Weiterbildung war, dass sie von Menschen mit und ohne Behinderung für Menschen mit und ohne Behinderung erarbeitet wurde“, sagt Ruck.
Es gibt nichts Gutes, es sei denn, man tut es – frei nach dieser Devise wurden 44 Projekte initiiert. In den Herkunftskommunen und den Einrichtungen der Beteiligten wurden die Vorhaben während oder nach der Weiterbildung umgesetzt. 19 Projektbeispiele liegen jetzt in einer Publikation vor.* Wichtige Charakteristika sind ein geringer Grad an Institutionalisierung, große Wirkung und ein hohes Maß an Eigenständigkeit der behinderten Menschen. Einige Beispiele:
Menschen mit Behinderung beteiligen sich am Firmenlauf, der in Freiburg jedes Jahr im Rahmen der Deutschen Firmenlaufmeisterschaft stattfindet. Dabei starten behinderte und nichtbehinderte Sportler in Zweierteams. Gemeinsames Lauferlebnis, hierarchiefreie Atmosphäre und beste Stimmung kennzeichnen das Großereignis.
Behinderte, Betreuer und ein Schreiner bauten im „Workshop Cajón“ in Donaueschingen einige Exemplare des peruanischen Musikinstruments. Anschließend lernten sie bei einem Profi das Spiel mit den klangvollen Kistentrommeln, das seither auch bei öffentlichen Auftritten zum Einsatz kommt. Der Kurs wird inzwischen weitergeführt und von Außenstehenden besucht. Dieses Projekt macht das Wechselspiel von Teilhabe und Teilgabe beispielhaft deutlich: Behinderte erwerben Qualifikationen und wirken aktiv in die Gemeinschaft hinein.
Der „Torepfad“ in den Grünanlagen rund um die Wohnanlage der St. Jakobus Behindertenhilfe im bayrischen Wangen benötigte noch einen Publikumsmagneten. Also bauten behinderte Kinder und Jugendliche des Heims zusammen mit ihrem Betreuer und Kindern aus dem Ort eine Gefühlsdusche: eine Holzkonstruktion mit herabhängenden, bunt angemalten Alltagsgegenständen, die beim Durchlaufen überraschende Sinneserfahrungen anstößt.
www.st-jakobus-behindertenhilfe.de
Bei diesem Projekt legten die Bewohner und Mitarbeiter des St. Jakobus-Hauses in Villingen-Schwenningen, einem Heim für Menschen mit psychischen Erkrankungen, eine Boule-Anlage an. Mit Unterstützung durch die Heimleitung entstand die Bahn auf einem brachliegenden Volleyball-Spielfeld direkt am Haus. Der eigens gegründete Boule-Bahn-Beirat wacht seitdem über den Betrieb, Bürger aus dem Stadtteil dürfen mitspielen.
Ringwurfspiel, Schwungtuch, Buttonmaschine und Rollstuhlparcours – diese und weitere motorisch-therapeutisch nützlichen Anreize bietet das OH! Spielmobil. Es gehört zu den Offenen Hilfen im Landkreis Schwäbisch Hall und schafft Begegnungsangebote für alle Kinder und Jugendlichen. Ein Betreuungsteam aus Menschen mit und ohne Behinderung begleitet das Spielmobil während seines Einsatzes bei Stadt- und Vereinsfesten.
http://gemeinsam-inklusiv.de/offene-hilfen-im-landkreis-schwaebisch-hall
Mittlerweile fanden einige Projekte aus den Herkunftskommunen bereits Nachahmer in anderen Orten oder Einrichtungen. Daneben seien auch wertvolle Kontakte unter den Teilnehmern entstanden, berichtet Gabriele Ruck. So stellte sich eine Kursteilnehmerin, die aufgrund ihrer Behinderung nicht sprechen kann, zur Verfügung, um neu erarbeitete Projekte auf „Leichte Sprache“ zu prüfen. Außerdem wurde das Konzept des gesamten Kurses als Vorlage für die Entwicklung eines Curriculums in der Weiterbildung von Erzieherinnen erfragt.
Inklusion in der Gesellschaft ist eine „Großbaustelle“, so heißt es im Fortbildungsprogramm der Caritas. Um die dort erarbeiteten Praxisprojekte legt sich ein ganzes Bündel notwendiger Maßnahmen. Welche Inklusionsschritte sind aktuell besonders dringlich? Unter Verweis auf entsprechende Überlegungen von Prof. Dr. Jens Clausen, Erziehungswissenschaftler und Heilpädagoge an der Katholischen Hochschule Freiburg, nennt Gabriele Ruck folgende drei Schritte:
Deutscher Caritasverband (Hg.), Kompetent für Inklusion – Gelungene Beispiele inklusiver Projekte, von Gabriele Ruck / Jens Clausen / Manfred Sandkühler, Lambertus Verlag, 2018, 120 Seiten (in einfacher Sprache, mit Online-Zusatzmaterialien), 22 Euro, ISBN 978-3-7841-3088-0
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