Suche
Der Fachkräftemangel in Kinderbetreuung und Altenpflege ist ein echtes Dauerbrennerthema. Bis 2025 fehlen in der Kinderbetreuung mindestens 310.000 zusätzliche Fachkräfte (lt. Deutsches Jugendinstitut, DJI), in der Altenpflege 200.000 Fachkräfte* (lt. Statistischem Bundesamt). Die Idee, Berufswechsler und Arbeitssuchende als Quereinsteiger in diese Tätigkeiten zu lotsen, erscheint daher naheliegend. Tatsächlich sind die Erfolgsaussichten dafür nicht schlecht, der Ansatz ist jedoch kein Selbstläufer. Motivation, Qualifikationsbereitschaft und enttäuschte Erwartungen der Kandidaten sind wichtige Stichworte in der Diskussion. Aber auch die Einrichtungen müssen flexibel reagieren.
Diese Überlegungen sind Gegenstand einer aktuellen Studie des Deutschen Jugendinstituts mit Förderung durch die Hans-Böckler-Stiftung. Sie fügen sich in das breite Repertoire zur Entschärfung der Fachkräftekrise ein: von höheren Ausbildungskapazitäten über das Ausschöpfen von Beschäftigungsreserven (weibliche Berufsrückkehrer) bis zur Anwerbung von Fachkräften aus dem Ausland – oder eben durch den Quereinstieg. Bewerber können aus fachnahen (Hort, Heimerziehung) oder -fernen Tätigkeitsbereichen einwechseln und verfügen in der Regel über eine Ausbildung auf Fachkraftlevel. Der Studie liegen Gruppendiskussionen mit Quereinsteigenden zum Beginn und zum Ende sowie Experteninterviews mit Schul- und Einrichtungsleitungen zugrunde. Das folgende Fazit fasst zentrale Ergebnisse thesenartig zusammen.
Fachkräftemangel und Quereinstieg betreffen zwar gleichermaßen Kindertagesbetreuung und Altenpflege, treffen dort aber auf unterschiedliche strukturelle Zusammenhänge. In der Kindertagesbetreuung ist der Abschluss als staatlich anerkannte Erzieherin immer noch Goldstandard. Der Zugang zur Kinderpflegerin ist auf einer niedrigeren Ausbildungsstufe angesiedelt, das Nachrücken von akademisch gebildeten Pädagoginnen und Quereinsteigern ruft eine Abwehrhaltung der etablierten „Amtsinhaber“ hervor, verdeutlicht die Studie: „So schildern auch Quereinsteiger den Eindruck, die langjährige, unbezahlte ErzieherInnenausbildung würde ideologisch überhöht und zum einzig hochwertigen Ausbildungsweg stilisiert.“
Die Altenpflege hingegen agiert in einem wesentlich stärker ökonomisierten Beschäftigungsbereich, der zusätzlich zur etablierten Fachkraftausbildung zahlreiche niedrigschwelliger Zugänge vorhält. Neben der Beschäftigung von Fremdfirmen, ausländischen Fachkräften und Pflegehelferinnen besteht eine beträchtliche Durchlässigkeit für Quereinsteigende unterschiedlicher fachlicher Herkunft und Vorbildung.
Die Expertenbefragung der Studienautorinnen zu quereinsteigenden Bewerbern fördert für beide Berufsfelder eine gewisse Ambivalenz zutage: „Es wird befürchtet, dass die Berufe abgewertet werden, wenn öffentlich ein Bild vermittelt wird, dass Jede und Jeder hierfür geeignet sei.“ Das Stichwort: „Schleckerfrauen“ rührt hier an herben Empfindlichkeiten.
Doch jenseits dieses allgemeinen Vorbehalts werden die Chancen und Risiken des Quereinstiegs sehr differenziert gesehen. Praktische Erfahrungen der Bewerber (vorherige Berufstätigkeit, Freiwilliges Soziales Jahr, Elternschaft, Pflege von Angehörigen) sind für Schul- und Einrichtungsleiter ein dickes Plus. Vor allem in der Altenpflege zählt, ob der Quereinstieg auf Initiative der Bewerber oder auf Betreiben der Arbeitsagentur zurückgeht. Letzterer eilt der Ruf häufig nicht sonderlich passgenauer Vermittlungen voraus. Die Autorinnen fordern daher eine enge Kooperation zwischen den Arbeitsagenturen und Einrichtungen zur Definition von Standards bei der Bewerberauswahl.
Beim Blick in den Arbeitsalltag schätzen Führungskräfte an Quereinsteigenden typische Haltungen und Kompetenzen: die erhebliche intrinsische Motivation aufgrund des gezielt gewählten engen Umgangs mit Kindern bzw. alten Menschen und die Belastbarkeit durch eine (Zweit-) Ausbildung. Quereinsteigenden werden große informelle Kompetenzen wie Handlungssicherheit, Empathie und Selbstreflektion zugeschrieben.
Quereinsteigende sind oft älter und lebenserfahrener als der Durchschnitt der Belegschaft und zeigen sich weniger gewillt, unreflektiert vorgegebenen Konzepten zu folgen, hält die Untersuchung fest. Dieser positive Umstand birgt auch Gefahren: Probleme im Team und enttäuschte Berufserwartung. Das gilt vor allem für die Altenpflege. Bewerber sind daher auf eine qualifizierte Berufsberatung angewiesen. Die Betriebe sind gut beraten, den frischen Wind zu nutzen, den Quereinsteigende bisweilen mitbringen. „Damit können von ihnen innovative Impulse und ein Qualitätsbewusstsein ausgehen, das zur Weiterentwicklung der Praxis beiträgt“.
Überhaupt verlangt die erfolgreiche Integration von Quereinsteigenden den Einrichtungen selbst, ihrer Personalführung und Arbeitsorganisation einiges ab. So kommt es der Studie zufolge oft zur Überforderung von Quereinsteigern. Jüngere Mitarbeiter werden normalerweise schrittweise an neue Aufgaben herangeführt, ältere Beschäftigte oft schon nach kurzer Zeit ins kalte Wasser geworfen. Ältere tun sich mitunter schwer, Rat und Fachwissen von jüngeren Kolleginnen oder Vorgesetzten anzunehmen. Hier sind individuell zugeschnittene Konzepte der Einarbeitung gefragt, unabhängig von altersbezogenen Zuschreibungen.
Die DJI-Untersuchung macht deutlich, dass der Quereinstieg ein solider Weg in den Beruf sein kann und die Chance bietet, oftmals hochgradig motivierte und kompetente Mitarbeiter zu gewinnen. Keiner der befragten Experten betrachtet diesen Berufszugang jedoch als Patentlösung zur signifikanten Milderung des Fachkräftemangels. „Trotz des großen Fachkräftemangels vor allem in der Pflege wählen Einrichtungsleitungen restriktiv aus, wenn sie Ausbildungsplätze vergeben.“ Vorbehalte gegen Quereinsteigende betreffen häufig die Unübersichtlichkeit neuer Ausbildungsmodelle und das – trotz aller Wertschätzung – höhere Alter der Bewerber.
Mariana Grgic / Birgit Riedel / Lena Sophie Weihmayer / Nina Weimann-Sandig / Lisa Wirner, Quereinsteigende auf dem Weg zur Fachkraft. Ergebnisse einer qualitativen Studie in den Berufsfeldern Kindertagesbetreuung und Altenpflege.
Studie der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 392, Düsseldorf 2018, 152 Seiten, Download
Die aktuelle Studie beruht auf der DJI-Untersuchung von 2016: Quereinstiege in Kindertagesbetreuung und Altenpflege. Ein Bundesländervergleich. Studie der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 335, Düsseldorf, 125 Seiten, Download
Arbeitswelt
Not macht erfinderisch – Wie Krankenhäuser Fachkräfte umwerben
Non-Profit-Management
Sozialunternehmer: Weltverbesserer mit Innovationsgeist
Gesellschaft
Die Zivilgesellschaft wird immer wichtiger für den Arbeitsmarkt
Bildung
Kinder mit Migrationshintergrund früher, besser, mehr fördern!
Arbeitswelt
Quereinstieg hilft, löst aber nicht alle Probleme
Bildung
Große Studie über Waldorf-Eltern: Viel Lob, mancher Tadel
Inklusion
Inklusion im Alltag: 44 Leuchttürme weisen den Weg
Buchempfehlung
Ulrich Schnabel: Zuversicht
Susanne Bauer
Senior Referentin Unternehmenskommunikation
Konrad-Adenauer-Ufer 85
50668 Köln
T 0221 97356-237
F 0221 97356-477
E-Mail