Im Pflegesektor stehen die Zeichnen auf Veränderung. Das zeigte der 2. Kongress Betreutes Seniorenwohnen, der am 14. November 2019 auf Einladung der Bank für Sozialwirtschaft, der BFS Service GmbH und des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) in Berlin stattgefunden hat. Pflegeexperte Prof. Dr. Heinz Rothgang von der Universität Bremen stellte auf der Tagung seine Reformempfehlungen vor: eine sektorenübergreifende Versorgung und eine Umkehrung der Finanzierungslogik der Pflegeversicherung. Dr. Martin Schölkopf, Unterabteilungsleiter Pflegesicherung im Bundesgesundheitsministerium, kündigte einen Vorschlag für eine Pflegereform im kommenden Jahr an.
„Der mit rund 200 Teilnehmern bundesweit größte Kongress zum Betreuten Wohnen spiegelt das hohe Interesse bei Investoren, Anbietern, Kommunen und der Politik wider“, erklärt Britta Klemm, Leiterin des Kompetenzzentrums Sozialwirtschaft der BFS Service GmbH. „Dies verwundert nicht, entspricht das Betreute Wohnen doch den Wünschen der Generation zukünftiger Pflegebedürftiger nach Wohnen und Pflege im Alter. Die Pflegebranche muss sich mit den veränderten Ansprüchen dieser Generation auseinandersetzen und die Politik die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen, damit die Versorgung finanzierbar bleibt.“
Prof. Dr. Heinz Rothgang plädiert in seinem Reformvorschlag für eine Pflegewelt ohne Sektorengrenze zwischen ambulant und stationär und für eine völlige Neuordnung der Finanzierung: Unabhängig davon, wo jemand wohnt, sollte die Pflegeversicherung die Kosten für Grundpflege und Betreuung, die Krankenkasse Behandlungspflege und Rehabilitation und der Versicherte die Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung übernehmen. Im Gegensatz zum bisherigen Ansatz der Pflegeversicherung wird der Eigenanteil der Pflegebedürftigen auf einen Sockelbetrag begrenzt, während die Kostenträger die Mehrkosten tragen. Dieses Modell setzt voraus, dass alle Leistungen modularisiert werden. Einen Vorschlag für einen Leistungskatalog haben Rothgang und sein Team entwickelt.
Dr. Martin Schölkopf kündigte auf dem Kongress an, dass im ersten Halbjahr 2020 ein Vorschlag für eine Pflegereform zu erwarten sei. Die Politik habe in den letzten Jahren Anreize gesetzt, um die Pflege für ein eigenständigeres Leben zu flexibilisieren. Der Grundsatz laute nicht nur „ambulant vor stationär“, sondern im Grunde „flexibler vor weniger flexibel“. Angesichts der hohen Kosten und des Fachkräftemangels könne man jedoch nicht einfach so weiter machen, sondern müsse Alternativen finden. „Dabei wollen wir nicht die Vielfalt der Settings behindern oder wieder zerstören“, beteuerte Schölkopf.
Mit drei Diskussionsrunden, Vorträgen und Workshops bot der Kongress einen 360°-Blick auf das Betreute Seniorenwohnen. Investoren, Betreiber und Mitarbeitende berichteten über ihre Erfahrungen; Entscheider und Leistungsträger diskutierten über Herausforderungen der Umsetzung. Auf dem Kongress wurde nicht über die Nutzer*innen und Pflegenden, sondern mit ihnen gesprochen: Nutzer*innen stellten dar, welche Erwartungen sie an diese Wohnform haben; aus der Praxis für die Praxis wurden zahlreiche Lösungsbeispiele zu unterschiedlichen Organisationsformen (u.a. Verbundmodelle), neuen Leistungsbausteinen (u.a. Digitalisierung, Teilhabesicherung durch Öffnung im Quartier), Finanzierungswegen und Personalentwicklung (Mitarbeiterfindung und -bindung) vorgestellt.