
Der Deutsche Caritasverband feiert 125. Geburtstag. Gegründet am 9. November 1897 in Köln, hat sich die Caritas in ihrer Geschichte Schritt für Schritt mehr zu dem entwickelt, was sich ihre Gründer erträumten.
Als Interessenvertretung für über 25.000 soziale Einrichtungen und Dienste – von der Jugendhilfe bis zur Hospizarbeit, als Solidaritätsstifterin für mehrere hunderttausend freiwillig Engagierte – in der U25-Suizidberatung ebenso wie in Patenschaftsprogrammen für Geflüchtete aus aller Welt, als anwaltschaftliche Stimme für Menschen in Not – für Wohnungslose, Suchtkranke oder Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen – und als Motor sozialer Innovationen ist der Deutsche Caritasverband heute der größte Wohlfahrtsverband in Deutschland. Als Partner der öffentlichen Hand hilft er verlässlich, das Netz der Daseinsvorsorge ausreichend dicht zu knüpfen. Weltweit gibt es inzwischen nationale Caritas-Organisationen in 160 Ländern, regelmäßig kommen neue dazu – zuletzt die Fidschi-Inseln. Und überall ist es das Flammenkreuz, das als Markenzeichen für Soziale Arbeit steht, die sich vom Beispiel des barmherzigen Samariters anstecken und begeistern lässt.
Die Geschichte der Caritas ist eine Geschichte der Hilfen in Not. Immer dann und immer dort, wo Krisen und Kriege lange Schatten auf den Alltag der Menschen werfen, ist die Arbeit der Caritas besonders gefordert. Damals und heute.
Hilfen für (Durch-)Reisende
Die Geschichte der Caritas ist unmittelbar verknüpft mit dem Schicksal von Menschen fern der Heimat. Gestrandet auf Bahnhöfen, bedroht von Zwangsprostitution oder ausgebeutet und geschunden in menschenverachtender Arbeit sind Zu- und Auswandernde diejenigen, denen die Fürsorge der Caritas von Anfang an galt. 1,2 Millionen Italienerinnen und Italiener kamen zwischen 1851 und 1915 ins Deutsche Kaiserreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg kommen noch mehr Menschen aus Italien, aus Spanien, Portugal und der Türkei und, manchmal zeitlich versetzt, auch ihre Familienangehörigen. Einige Jahrzehnte später treibt heute der Krieg Russlands gegen die Ukraine hunderttausende Frauen und ihre Kinder in die Flucht. Sie brauchen ein Dach über dem Kopf, einen Kindergartenplatz, einen Sprachkurs und schließlich einen Arbeitsplatz, um hier nach den traumatisierenden Schrecken neu beginnen zu können. Auch Russen fliehen vor der Mobilmachung in den Westen. Und es kommen Menschen in großer Zahl über das Mittelmeer und die Balkanroute, die vor Bürgerkriegen (in Syrien), Verfolgung (in Afghanistan), Klimakatastrophen (in Äquatorialafrika), Armut und fehlenden Perspektiven fliehen. Allein im Jahr 2015 reisten über 1 Million Menschen in Deutschland ein. Und aus der Ukraine werden am Jahresende 2022 mehr Geflüchtete in Deutschland angekommen sein.
Was brauchten die Italienerinnen und Italiener in den ersten Jahren der verbandlichen Caritas? Was brauchen die Menschen aus Syrien, aus Afghanistan, aus der Ukraine, die heute zu uns kommen? Die Antwort gestern wie heute: eine ausgestreckte Hand. Ein freundliches Willkommen in der neuen Heimat. Aufklärung zu behördlichen Rechten und Pflichten. Beratung und Begegnung. Heute setzt sich die Caritas bundesweit mit hundertenn, z. T. muttersprachlichen Mitarbeitenden im Migrationsdienst (MBE) für die Belange von Geflüchteten, Migrantinnen und Migranten ein. In den Beratungsgesprächen geht es um aufenthalts- und asylrechtliche Fragestellungen, Familienzusammenführungen oder Einbürgerungen, Wohnungssuche, Spracherwerb, Arbeitsaufnahme, Vermittlung von Traumatherapien. Die Beraterinnen und Berater sind in kommunale Integrationsnetze eingebunden, haben Kontakte zu Behörden, zu spezialisierten Beratungsstellen oder Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, analog und digital.
National und international zusammendenken
Die internationale Hilfe nahm im Deutschen Caritasverband bald nach der Anerkennung durch die Bischofskonferenz 1917 Fahrt auf. Der Versand von Hilfsgütern für das von Hunger geplagte Russland markiert 1921 die erste großangelegte internationale Hilfsaktion. Die Hilfen im Vietnamkrieg ab 1965, die Luftbrücke mit Hilfsgütern für Biafra ab 1968, die Rekordspenden nach der Hungerkatastrophe in Äthiopien 1984, der Wiederaufbau nach dem verheerenden Tsunami 2003 in Süd(ost)asien waren weitere Meilensteine der Auslandshilfe der deutschen Caritas.
Caritas international, die Katastrophenhilfe des Deutschen Caritasverbandes, arbeitet heute anders als vor 100 Jahren, auch anders als zu Zeiten der Biafra-Krise. Die Hilfsprojekte sind umfangreicher geworden, Prävention und Katastrophenvorsorge spielen eine zunehmend wichtige Rolle. Wie die nationale Arbeit ist die internationale Arbeit der Caritas Teil einer sozialen Innovationsgeschichte, in der sich die Krisenphänomene wiederholen, die Hilfe aber an die (technischen) Möglichkeiten der Zeit jeweils optimal angepasst ist. In der Ausführung der Projekte kann sich Caritas international auf ein weltweites Netzwerk aus lokalen Partnerorganisationen stützen. Nicht selten ist der Partner vor Ort die lokale Caritas. Denn ausgehend von Deutschland ist die Caritas längst zu einer weltweiten Bewegung geworden und der Blick für die Herausforderungen über die Grenzen hinweg ist charakteristisch für die Caritas- Arbeit. Und er ist wichtiger denn je.
Ko-Produktion von Hauptamt und Ehrenamt
Tätig zu bleiben im Angesicht von Erschütterung und Zerstörung durch den Einsatz gemeinsamer Kräfte und Kompetenzen – das ist der Caritas zum Glück nicht neu. Man kann vielleicht sogar sagen, dass es sie ausmacht. Es war eine Grundmotivation für die Gründung des Verbandes. Die Caritas ist hierbei nichts ohne ihre überzeugten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Das gilt für die Hauptamtlichen ebenso wie für hunderttausende ehrenamtlich Engagierte, die sich im Altenzentrum, bei der Hausaufgabenbetreuung, in den Sozialkaufhäusern und Bahnhofsmissionen, als Telefonseelsorgerinnen oder Paten für Flüchtlingskinder engagieren. Im Caritasverband fanden und finden zivilgesellschaftliche Initiativen ein förderndes Umfeld und professionelle Partner. Auch wenn das Verhältnis von hauptberuflich zu freiwillig Engagierten sich zahlenmäßig in den 125 Jahren ihrer Geschichte umgedreht hat, so bleibt das Zusammenwirken von Professionalität und bürgerschaftlichem Engagement auf Augenhöhe das Markenzeichen des Selbstverständnisses der Caritas. Den Herausforderungen der Zeit begegnet der Deutsche Caritasverband durch gemeinsames Handeln von Ehren- und Hauptamt. Vor 125 Jahren und auch in Zukunft.
Bildnachweis: Deutscher Caritasverband